Seite:Die Gartenlaube (1872) 007.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Denn die Lust an der Kaninchenjagd hatte sich damals aus Frankreich auch nach Deutschland herüber verbreitet, und so wird denn auch wohl der große Kurfürst zu diesem Zwecke manchmal die Insel benutzt haben.

Mit dem Frühjahre des Jahres 1686 konnten die Schiffer, die mit ihren Kähnen auf der Havel fuhren, mitten aus dem niedrigen Bestande des Hochholzes heraus in geringer Entfernung von einander Mauergiebel und Dächer mit Schornsteinen entstehen sehen, die so hoch waren, wie man sie in der Stadt bisher nie erschaut hatte. Diese Schornsteine waren wieder von eisenblechernen Mänteln in wundersamen Formen überbaut. Bald qualmte Tag und Nacht dichter Rauch aus denselben hervor, und wenn über und um die Insel und um die einsamen, schwarzbewaldeten, eng zusammenrückenden düsteren Ufer sich die Schatten der Nacht lagerten, dann fuhren auch Feuerblitze aus den Essen auf und gaben weithin in dem schwarzen Wasser einen blutrothen Widerschein.

Die Schiffer, diese einfachen Naturmenschen, die von Welt und Dingen nichts als das Wasser der Havel und ihren Herd kannten, auf welchem sie unter dem Strohdache ihre Kartoffeln und Fische brieten, überkam beim Vorüberfahren an der Insel Grauen und Entsetzen, und nicht die wenigsten mögen beim Vorüberfahren ein Vaterunser gebetet haben. Die abenteuerlichsten Gedanken und Vermuthungen bemächtigten sich ihres furchtsamen Sinnes, und oft genug mag der Kurfürst, das kräftige Unterkinn bewegend, in ein volles Lachen ausgebrochen sein, wenn er so hörte, welcher argen Dinge man seinen Geheimen Kammerdiener Kunkel bezieh, denn der vermeinte Zauberer und Schwarzkünstler war kein Anderer als der eben Genannte, ein geborener Holsteiner, seines Zeichens ein Apotheker und früher als Alchymist in Diensten des Kurfürsten Johann Georg des Zweiten von Sachsen. Ursprünglich hatte ihn der Brandenburger Kurfürst denn auch wirklich berufen, an Gold und Goldmacherei seine Kunst zu versuchen; bald aber erkannte der nüchterne, klare, praktische Blick des Brandenburgers, daß ihm der Mann nach ganz anderer Richtung nützlich werden konnte, nämlich für die Industrie seines Landes und auch selbst für die Wissenschaft. Er schenkte ihm ein Haus in Berlin, er stellte ihm mehrere Glashütten zur Verfügung, aber das Haupt-Etablissement erbaute er ihm auf dem sogenannten Pfauenwerder. Aus dem Alchymisten schälte sich ein Erfinder und ein Fabrikant heraus. Kunkel legte sich vornehmlich auf die Bereitung des Krystallinglases. Er erfand neue, prächtige Glasflüsse für Perlen und bei der Erwähnung derselben taucht die Erinnerung an ein großartiges Project der damaligen Zeit auf, an die brandenburg-guineische Compagnie, welche in der Vorahnung der Entwicklung Preußens die Absicht verfolgte, im fernen Afrika Colonien zu errichten. Für diese Compagnie lieferte Kunkel die Glasperlen, gegen welche von den Wilden Elfenbein, Specereien und Ebenholz eingetauscht wurden. Später erfand er auch das Rubinglas, etwas bis damals noch nicht Dagewesenes; die Arbeiten, welche er in diesem Zweige machte, als Pokale, Schalen, Schüsseln, Tassen, Flaschen, von denen sich noch zahlreiche Exemplare auf der Kunstkammer in Berlin befinden, zeigen, was Material, Form und Schliff anbelangt, eine merkwürdige Vollendung.

Nach dem Tode des großen Kurfürsten schnürte Kunkel sein Bündel, um in Schweden wiederum ein glänzendes Unterkommen zu finden; aber lange, vielleicht hundert Jahre noch, schlang sich um die Insel die dunkle Sage, daß dort ein Zauberer sein Wesen getrieben habe und daß es dort Nachts nicht ganz geheuer sei. Alles wurde von der Insel gesagt und geglaubt, was die Gänsehaut auftreibt und leichter aus den Köpfen von alten Pferden, als aus der Phantasie der Menschen hinwegzubringen ist. Gerade ein Jahrhundert lagen die Nebel eines düstern Volksglaubens über dem stillen, einsamen Eilande, um welches nur das Wasser mit gleicher Liebe seine blauen Fluthen schlang; da wurde der Bann gelöst, da gingen über seinen hohen Eichenwipfeln ein paar milde strahlende Sterne auf, in den Augen einer Frau, hoch von Geburt, hoch von Gestalt, von Herz und Geist; diese Augen hafteten mit innigem Wohlgefallen auf dem von allem Drange und Geräusch des Lebens losgelösten kleinen Insellande. „Hier ist Grün, Wasser, Himmel, hier ist Ruhe, Stille, Friede und Glück für unsere junge Ehe, hier ist Alles, was ich außer Deinem Herzen und Deiner Liebe vom Leben ersehne, hier ist gut sein, hier lass’ uns Hütten bauen.“

So mag die damalige Kronprinzessin, die spätere Königin Luise von Preußen, zu ihrem Eheherrn, dem Kronprinzen, nachmaligen König Friedrich Wilhelm III., gesprochen haben. Und nun ertönten durch den dichten Holzbestand die Schläge der Axt; die hohen, hundertjährigen Stämme brachen, von ihren Wurzeln abgelöst, krachend zusammen; es wurde licht nach allen Seiten hin und der feine Natursinn des glücklichen Paares fand mit richtigem Gefühl die Stellen heraus, wo die lieblichsten Durchblicke auf das Wasser und die anliegenden Ufer zu gewinnen waren. Wie aus der Fluth emporgehoben, breiteten sich an den Stellen, wo einst der Hochwald stand, weite, lichte Rasenflächen aus, umschattet von den Wipfeln der alten Bäume, unterbrochen von Blumenbeeten, von Fliederbosquets und hier und da von einer hochragenden Eiche, Rüster oder Buche. Durch und um die ganze Insel wurden Wege angelegt, an besonders schönen Punkten Ruhesitze errichtet und an der östlichen Seite, da, wo die dunkeln Waldufer enger zusammenrücken, wo nur Wasser, Bäume und Himmel sichtbar werden, wo die Färbung der Landschaft düsterer, die Umgebung einsamer wird, wo die wunderbare Naturstille nur durch das Auffliegen eines Geiers aus einem Baumgipfel oder einer Wasserente aus dem Röhricht unterbrochen wird: hier legte die Kronprinzessin Luise eine kleine Meierei an. Wie oft landete der Nachen, der den Kronprinzen mit seinem ganzen Glücke, mit Weib und Kind, trug; wie oft wiederhallte die grüne Einsamkeit ringsum von dem Gejauchze der sich unter den Augen der Eltern tummelnden Kinder! Mit jedem Jahre wurde dieses lauter und voller, denn mit jedem Jahre wuchs die Zahl der Sprößlinge dieses fürstlichen Eheglückes, und schon mochte sich der Fährmann mit der Zeit Gedanken machen, wie er sie Alle hinüberbringen, und daß mit der Zeit doch ein zweiter Nachen nothwendig werden möchte.

Mit jedem Jahre wuchs aber auch die Vorliebe der Eltern für diesen Ort, an welchem sie in ihrem Glücke von Niemandem beobachtet, von keinem Anspruch ihrer hohen Stellung gestört, von allen Fesseln der Etiquette erlöst waren. So entstand das Schlößchen an dem westlichen Ende der Insel, in derselben Gestalt, wie es dem heutzutage von Potsdam Kommenden in seiner Form einer gothischen Ruine, mit seinen beiden runden Thürmen und zwischen diesen mit seiner eisernen Schwibbogenbrücke aus den schlanken hochragenden Bäumen heute noch sichtbar ist. Wie klein, wie einfach, ja wie schmucklos ist dieses Buen-Retiro eines jungen Königspaares! In jetziger Zeit hat es jeder Privatmann von nur mäßigen Vermögensverhältnissen schöner und bequemer. Freilich war es in einer Zeit gebaut, aus der der Sturm der Revolution alle Ueberwucherung von Pracht und Ueppigkeit hinweggefegt hatte, wo das Königthum seines Zusammenhanges mit dem Bürgerthum wieder bewußt werden mußte, und am Ende sollte es auch kein Schloß eines Königs sein, deren standen genug in und um Potsdam, sondern das ländliche Familienhaus eines zärtlich liebenden Gatten. Abwechselnd in Paretz und hier verbrachte das Königspaar die Sommermonde. Hier erblühten diesen für die Einfachheit und Stille des Lebens so harmonisch gestimmten Naturen in der völligen Hingabe an sich und die theuren Pfänder ihrer Herzen die glücklichsten Tage ihres Lebens.

Auch nach dem Tode der Königin blieb Friedrich Wilhelm der Dritte dem Eilande seines Liebesglückes treu; bis zu seinem Tode wohnte er jeden Sommer in dem kleinen Schlosse, auch mit seiner zweiten Gemahlin, der Fürstin von Liegnitz. Nach allen Seiten durchstreifte er die Insel, deren Umfang etwa nur eine Meile beträgt, gewöhnlich mit einem Buche in der Hand; am liebsten richtete er seine Schritte nach dem östlichen Ende: dort, wo die Färbung der ganzen Gegend einen schwermüthigen Charakter annimmt, hatte er dem Andenken seiner geliebten Luise eine offene Halle und in dieser ihre Büste aufrichten lassen.

Trotz seiner Sparsamkeit verwandte er namhafte Summen auf die Verschönerung der Insel. Wohnungen für den Hofgärtner und das Gartenpersonal waren schon früher entstanden; er ließ dort ausländische Thiere hegen, die aber später nach Berlin an den neuentstehenden zoologischen Garten abgegeben wurden. Mit der Berufung Lenné’s und nach dessen ersten großartigen Schöpfungen, der Umgestaltung des neuen Gartens bei Potsdam, reifte in ihm der Plan, auch die Anlagen der Pfaueninsel in einer dem modernen englischen Geschmacke, das heißt dem wiedererwachten, veredelten Naturgefühl, entsprechenden Weise umzugestalten. Er ließ neue Anlagen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_007.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)