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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Ich will nicht!“ war die gleichgültige Antwort, in der doch zugleich ein störrischer Trotz lag.

„So? Höre, Bernhard, es ist ein Glück, daß du nächstes Jahr in die Stadt und zum Militär kommst. Man wird Dir Dein ‚Ich will nicht!‘ mit der Disciplin wohl etwas austreiben, und gnade Dir Gott, wenn einer von den Officieren dort Dein Vorgesetzter wird, Du würdest den Trotz arg zu büßen haben, wie Du ihn jetzt schon büßen müßtest, hätten die Herren nicht allen Grund – ja so, das brauchst Du nicht zu wissen. Nun aber sei einmal vernünftig! Das Hierbleiben hast Du durchgesetzt, jetzt bleibst Du aber ruhig hier an meiner Seite stehen und rührst Dich für’s Erste nicht. Hast Du mich verstanden?“

Die leise, aber nachdrückliche Strafpredigt, so ernstlich sie auch gemeint sein mochte, wurde doch in einem so väterlichen Tone, mit so unverkennbarem Wohlwollen gehalten, daß sie ihre Wirkung auf den jungen Starrkopf keineswegs verfehlte. Ihm genügte es augenscheinlich, daß er den Officieren gegenüber seinen Platz behauptet hatte, und er fügte sich jetzt der ihm gewordenen Anweisung, ohne eine Miene zu verziehen.

„Nun?“ fragte der Begleiter des Arztes herantretend.

„Ich nehme den Störenfried auf mich, er wird uns nicht hindern. Wenn es also durchaus sein muß –“

Der Andere unterdrückte einen Seufzer. „Sie wissen wohl, daß es hier keine Wahl giebt. Also auf Ihre Verantwortung – darf ich bitten, Herr von Saalfeld?“

Die Secundanten maßen die Schritte ab und luden die Waffen. Was die beiden Parteien hier auf den Kampfplatz geführt, war sicher nicht eine gewöhnliche, vielleicht in der Hitze oder Uebereilung gefallene Beleidigung und die Nothwendigkeit einer Genugthuung dafür. Man sah es an dem furchtbaren Ernst auf all den Gesichtern ringsum, an dem entsetzlich kleinen Raum, auf dem die Kugeln gewechselt werden sollten, vor Allem an der Haltung der beiden Gegner, daß es sich hier um Leben und Tod handelte. Sie standen abgewendet von einander, noch hatte Keiner dem Anderen einen Blick gegönnt, selbst die alte Sitte des Grußes vor dem Zweikampfe war unterblieben, die Verneigung hatte nur den beiderseitigen Begleitern gegolten. Der Rittmeister stand mit verschränkten Armen und folgte schweigend den Vorbereitungen, aber selbst diese ruhige Haltung vermochte nicht die Erregung zu verbergen, in der er sich sichtlich befand. Die Stirn war dunkelroth, die Lippen zuckten bisweilen leise, und doch bedurfte es nur eines Blickes in das Gesicht des Mannes, um zu wissen, daß die bevorstehende Gefahr keinen Antheil an dieser Erregung hatte. Der Muth, den schon sein Stand ihm zur Pflicht machte, sprach zu deutlich aus diesen kühnblitzenden Augen, aus diesem schönen lebensvollen Antlitz, das nur durch Eins entstellt ward, durch eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, die erst dort stand, seit der Gegner den Kampfplatz betreten, und sich mit jeder Minute tiefer in die Stirn grub, der sie ein eigenthümlich hartes und feindseliges Gepräge lieh.

Sein Gegner in bürgerlichem Anzug war bedeutend jünger als er, eine hohe schlanke Gestalt, ein blasses ernstes Gesicht, mit tiefschwarzem Haar und tiefen dunklen Augen. Die Züge redeten von angestrengter geistiger Arbeit, von Nachtwachen und dumpfer Stubenluft, vielleicht auch von Sorgen und Entbehrungen, sonst mochten sie wohl leidenschaftlich aufflammen können, jetzt lag eine starre finstere Ruhe darauf, die eisig Alles gefangen hielt, was sich vielleicht früher darunter geregt und gezuckt hatte. Er schenkte den Vorbereitungen wenig oder gar keine Aufmerksamkeit; an den Stamm der großen Eiche gelehnt, die inmitten des Platzes stand, blickte er unbeweglich hinaus in den verschleierten Wald. Schon kämpfte die Sonne mit dem Nebel, aber noch vermochte sie nicht, ihn zu durchdringen, es lagerte noch ringsum schwer und grau wie Todesschatten. Der Morgenwind strich mit leisem Wehen über das braune Haidekraut und flüsterte in dem Wipfel der Eiche, von der die welken Blätter niedersanken; eins davon streifte feucht und kalt die Stirn des unten Stehenden. Er blickte schweigend nieder auf das fallende Laub und dann wieder hinein in den Nebel, der vor ihm wogte.

Die Vorbereitungen waren geendigt, die Gegner empfingen die Waffen und nahmen ihre Plätze ein. Zum ersten Male begegneten sich jetzt ihre Augen und vorbei war es mit der finsteren Ruhe des Jüngeren, vorbei mit all der mühsam erkämpften und bis hierher behaupteten Selbstbeherrschung. Was jetzt in seinem Antlitz aufflammte, das war eine so furchtbare Drohung, ein so wilder tödtlicher Haß, daß man wohl sah, hier galt es Tödten oder Fallen, es gab kein Drittes, aber die furchtbare Erregung drohte verhängnißvoll für ihn zu werden, die Waffe bebte in seiner Hand.

Ihm gegenüber stand der Officier. Nicht die Kugel, das Auge des Gegners war es, was er gefürchtet, und unter diesem Auge stieg langsam eine flammende Röthe in seinem Gesicht auf, wo eine tödtliche Scham mit verhaltenem Ingrimm kämpfte, aber zugleich trat jener grausame Zug auf der Stirn schärfer und deutlicher hervor und die Waffe hatte fest und sicher die tödtliche Richtung, als das Zeichen gegeben ward.

Der jüngere schoß zuerst, die Kugel flog dicht an dem Haupte des Officiers vorüber und riß ihm die Epaulette von der linken Schulter, er selbst stand unverletzt, in der nächsten Secunde krachte auch sein Schuß – ein halb erstickter Schrei, ein Niederstürzen, ein hervorquellender Blutstrom – das Duell war zu Ende.

Der Arzt und der Secundant waren zu dem Gefallenen geeilt und Ersterer untersuchte die Wunde, auch die Officiere waren näher getreten und warteten schweigend das Resultat der Untersuchung ab; nach einigen Minuten blickte der Arzt auf und zuckte ohne zu sprechen die Achseln.

„Tödtlich?“ fragte der Rittmeister halblaut.

„Ja!“

Da schlug der Verwundete noch einmal das Auge auf und heftete es auf den Fragenden. Es war nur ein einziger Blick, der brechende Blick eines Sterbenden, aber es mußte etwas Furchtbares darin stehen, der Officier zuckte zusammen, er war todtenbleich geworden und wendete sich hastig ab.

„Meine Herren, ich lasse den Verwundeten in Ihrer Obhut! Wenn meine Cameraden Ihnen in irgend einer Weise Beistand leisten können –“

Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung. „Was hier noch zu thun ist, dazu reichen wir Beide allein aus. Gehen Sie, meine Herren, und überlassen Sie das Weitere uns.“

„Dürfen wir Ihnen vielleicht unseren Wagen – ?“ fragte Saalfeld.

„Ich danke, wir haben den unsrigen gleichfalls in der Nähe. Sorgen Sie nicht, das hier noch Mögliche wird geschehen!“

Die Officiere grüßten schweigend und entfernten sich, die Sporen klirrten, die Gebüsche rauschten, dann vernahm man den Hufschlag der Pferde, der sich weiter und weiter entfernte, endlich ward es still.

Und still war es jetzt auch auf der Wiese, der Sterbende lag bewußtlos mit geschlossenen Augen, sein Secundant kniete neben ihm, mit den Armen seinen Kopf stützend, der Arzt stand an der anderen Seite und zählte die Pulsschläge, die nur seine geübte Hand noch zu finden vermochte, auf einmal fühlte er leise seinen Arm berührt, der junge Günther stand neben ihm.

„Unser Haus ist nicht weit,“ flüsterte er, „wenn Sie vielleicht –“ ein Blick auf den Verwundeten vollendete den Satz.

„Danke, mein Junge!“ gab der Arzt in demselben Tone zurück, „aber es ist zu spät, hier kann nichts mehr helfen.“

Der Secundant blickte auf. „Aber, Doctor, wollen wir ihn denn hier auf dem feuchten Waldboden sterben lassen? Wir könnten ihn doch wenigstens in’s Forsthaus tragen.“

„Nein!“ sagte der Arzt bestimmt. „Er hält den Transport nicht aus, die erste Bewegung hat den Tod zur Folge, und übrigens stirbt es sich grade so leicht oder so schwer unter freiem Himmel, als zwischen vier engen Wänden. In wenig Minuten ist ohnedies alles vorüber.“

Die Unterredung war im leisen Flüstertone geführt worden, jetzt trat eine Pause ein, keiner der drei Männer sprach, schweigend erwarteten sie das Nahen des Todes. Man vernahm nichts als die immer schwächer und schwächer werdenden Athemzüge des Sterbenden, dann noch ein letztes tiefes Aufathmen, ein Aufzucken, ein erneutes Hervorbrechen des Blutstromes – es war vorüber.

Der Secundant ließ langsam den Kopf seines Freundes niedergleiten, er hatte den Todeskampf mit keiner Bewegung gestört; jetzt, wo nichts mehr zu schonen war, brach die Fassung des jungen Mannes zusammen; der Arzt ehrte seinen Schmerz, er winkte dem jungen Günther, sich mit ihm zurückzuziehen, erst in einiger Entfernung von der Gruppe blieben sie stehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_003.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)