Seite:Die Gartenlaube (1871) 875.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


eiliger Flucht beim Auffrischen des Windes ihren Rückweg versperrt fanden. Es blieb den abgeschnittenen Bemannungen endlich nichts anderes übrig, als ihre Boote auf das Eis zu ziehen und sie wiederholt unter großen Anstrengungen über dasselbe hinweg nach noch befahrbaren Canälen zu schaffen, auf welchen sie endlich ihre Schiffe erreichten. Aber auch diese mußten sehr bald unter Segel und dem Lande näher gehen, um sich vor dem anrückenden Eise zu retten. Glücklicher Weise war dies aber so dick, daß es bald auf den Grund gerieth und am dreizehnten August immer noch genügendes Fahrwasser nach Norden zu offen ließ. Bei der eiligen Flucht nach dem Lande hin waren viele Schiffe in dem hier sehr flachen Wasser festgefahren, wurden aber bald wieder flott und drangen theilweise bis zum Cap Belcher vor.

Dort fand man einen Trupp Eskimos, welche den Officieren riethen, so schnell wie möglich südwärts und in freies Wasser zu gehen, wenn sie nicht ihre Schiffe verlieren wollten. Man schenkte jedoch ihren Warnungen kein Gehör, obgleich sie wiederholt vorhersagten, das Eis würde an die Küste kommen, und sich dort unbeweglich festsetzen. Ihre Prophezeiungen sollten sich nur zu bald erfüllen.

Der Fang war während dieser Zeit auf der ganzen Strecke ein ausgezeichneter und die Leute voll froher Hoffnungen; diese wuchsen, als am fünfundzwanzigsten August ein Nordoststurm das Eis wieder seewärts trieb. Am Siebenundzwanzigsten und Achtundzwanzigsten war schönes Wetter und eine große Anzahl Wale wurden erlegt. Am Neunundzwanzigsten aber sprang ein leichter Südwestwind auf, welcher sich allmählich verstärkte und die Felder schnell gegen das Land hin in Bewegung setzte. Leider hatten verschiedene Schiffe es gewagt, im Vertrauen auf die Beständigkeit der so günstigen Witterung ziemlich weit seewärts in die an vielen Stellen segelbar gewordenen Felder einzudringen, um die dort erlegten Wale gleich an Ort und Stelle abzuspecken und so den Zeitverlust zu vermeiden, welchen das Herausschleppen der Riesenleichen bedingt hätte. Sobald der Wind anfing, aus der gefürchteten Richtung bald schärfer und schärfer zu blasen, versuchten sie natürlich eiligst das freie Wasser am Lande zu erreichen. Einige, die letzterem am nächsten waren, entschlüpften mit Mühe und Noth; die anderen hatten das gleiche Schicksal wie früher die Boote, nur konnte man sie nicht auch wie jene über die Hindernisse hinweg transportiren. Vorläufig waren sie allerdings nur locker vom Pack umschlossen und konnten bei einigermaßen günstiger Witterung auf baldige Befreiung rechnen – wenn diese sich aber verschlimmerte, so wurde ihre Lage eine sehr bedenkliche. Jedenfalls waren sie gefangen und mußten abwarten, was die Zukunft ihnen bringen werde.

So lag denn die ganze Flotte, außer den Schiffen, welche schon vom Eise eingeschlossen waren, abermals nahe am Lande und zwar vom Cap Belcher bis südlich von Wainwright Inlet in einem Fahrwasser, dessen größte Breite vielleicht zweitausend Fuß, die geringste nur eben so viele hundert betrug: Die an jener Stelle vorhandene ziemlich starke Nordostströmung des Wassers schob das Eis, trotzdem letzteres bald auf dem Grunde festsaß, stündlich dem Lande näher. Ein schwerer Nordweststurm mit dichtem Schneegestöber konnte diese Bewegung nur unterstützen.

Die Situation begann nun sehr gefährlich zu werden. Die Eisfelder erstreckten sich seewärts, so weit das Auge reichte, und kamen stetig und mit ungeheurer Gewalt gegen die Küste heran. Die leichteren Schollen und Blöcke drangen bald in das flache Wasser dicht am Lande vor, welches allein noch den dorthin geflüchteten Schiffen eine Art Schutzhafen bot, und engten die letzteren immer mehr ein und hinderten ihre Bewegungen so, daß sie öfters schon mit einander in Collision geriethen. Die größeren Eisblöcke aber setzten sich weiter seewärts bald auf dem Grunde fest und hatten nun zunächst den vereinten Druck der mit wenn auch langsamer doch unwiderstehlicher Bewegung heranrückenden Eismassen auszuhalten. Sie waren diesem Drucke, welcher sich vielleicht nur nach Millionen von Centnern berechnen ließe, nicht im Entferntesten gewachsen und wurden, tief den Boden aufwühlend und Schlamm und Geröll vor sich herschiebend, unaufhaltsam vorwärts gedrängt. An einzelnen Stellen stauten sich die Massen, wo sie einen zu großen Widerstand fanden, schoben sich knirschend und dröhnend übereinander, zermalmten sich gegenseitig und thürmten sich in mächtigen Wällen empor, welche wieder krachend zusammenstürzten, um von neuem emporzusteigen.

Die bis zum fernsten Horizont sich dehnenden Eisfelder bildeten ein unabsehbares Chaos von wildbewegten Schollen und Blöcken, welche Sturm gegen die Küste liefen und Zoll für Zoll, Fuß für Fuß in geschlossener Phalanx heranrückten.

Schlimm erging es dabei den armen, im Pack gefangenen Schiffen. „Concordia“, „George“ und „Gayhead“, welche dicht bei einander lagen, wurden in wenigen Minuten von dem sich unter ihnen stauenden Schollen aus dem Wasser gehoben und lagen bald hoch und trocken auf und zwischen dem Eise. Die Bark „Roman“ wurde am ersten September mit dem Pack unaufhaltsam am Cap Belcher, vorüber bis nach den Seahorse-Inseln getrieben, wo gewaltige Eismassen sich festgesetzt hatten, und wurde bei dem erfolgenden furchtbaren Zusammenstoß vollständig zerdrückt. Ihre Bemannung konnte nichts als das nackte Leben retten und floh mit Lebensgefahr über das Eis hinweg nach den andern Schiffen. Am zweiten September traf die Brig „Comet“ ein gleiches Schicksal, und sechs Tage später folgte ihr die Bark „Awashonks“, während die Mannschaften sich ebenfalls glücklich retteten und von den anderen Fahrzeugen aufgenommen wurden.

Die Gefahr für die in dem schmalen noch etwas eisfreien Wasserstreifen dicht an der Küste befindlichen Schiffe wuchs von Stunde zu Stunde, und sie wären sicherlich von den stetig vorrückenden Eismassen erfaßt und zerdrückt oder hülflos auf das Land geschoben worden, wenn nicht in der höchsten Noth die Witterung sich geändert hätte und das Eis endlich zum Stehen gekommen wäre. Nun war es immer noch möglich, sie zu retten, da sie ja noch frei und seetüchtig waren und sich doch irgendwo ein Ausweg öffnen konnte.

Als nun Tag für Tag verging, ohne daß das Eis sich von der Küste zurückzog und die Schiffe freiließ, wie man bisher ganz sicher und nach früheren Erfahrungen mit Recht erwartet hatte, fing man an ernstlich beunruhigt zu werden, denn die „Saison“ ging zu Ende und der Winter nahte mit Riesenschritten. Doch hegten die Officiere immer noch die Hoffnung, wenigstens die meisten Fahrzeuge zu retten, obgleich die Eskimos wieder auf das Bestimmteste behaupteten, jede Rettung sei unmöglich. Die Capitaine hielten nun verschiedene Berathungen und beschlossen endlich, für alle Fälle die nothwendigsten Vorsichtsmaßregeln zu treffen, um im letzten Momente wenigstens das Leben der Mannschaften retten zu können. Bei den Schiffen zu überwintern war unmöglich, denn es waren nur noch für ungefähr drei Monate Nahrungsmittel vorhanden; einen Theil der Seeleute als Besatzung zurückzulassen, war ebensowenig thunlich, da man hierdurch die Fahrzeuge auch nicht hätte retten können, denn wenn das Eis von neuem in Bewegung kam und vorrückte, so hätte nichts ihre Zerstörung verhindern können. Ueberstanden sie aber dennoch diese Gefahr, wie auch den langen Winter, das Aufbrechen des Eises und die Angriffe der Stürme – was sehr unwahrscheinlich sein dürfte –, so würde man das, was von ihnen noch vorhanden, eben so gut im Sommer des nächsten Jahres aufsuchen können.

Unter den obwaltenden Umständen war keine Zeit mehr zu verlieren, und Alles mußte aufgeboten werden, um wenigstens den Schiffbrüchigen den Abzug nach Süden möglich zu machen. Zunächst wurde die kleine Brig „Kohola“ von ihrer Ladung befreit, um sie zu erleichtern, und man versuchte sie über die Barre an Wainwright Inlet zu bringen, welche nur ungefähr sechs Fuß Wasser über sich hatte und als unterseeischer Damm das noch offene schmale Fahrwasser versperrte. Der Versuch mißglückte, da der Tiefgang des Fahrzeugs immer noch zu bedeutend war. Gleichzeitig sandte man aber drei Boote nach Süden, welche um jeden Preis sich nach dem offenen Meere durcharbeiten und die, wie man wußte, dort kreuzenden sieben Schiffe aufsuchen sollten, um sie vom der traurigen Lage der Flotte in Kenntniß zu setzen, ehe sie das Eismeer verließen.

Glücklicher Weise hatten die Capitaine der letzteren eine Ahnung von dem Unglück gehabt und waren darum mit ihren Fahrzeugen südlich vom Eiscap vor Anker gegangen. Natürlich versprachen sie den ausgeschickten Booten, so lange als nur irgend möglich auf die Schiffbrüchigen zu warten. Diese hatten unterdessen wieder versucht, die Bark „Victoria“ über die schon genannte die Durchfahrt versperrende Barre zu bringen, mußten sich aber überzeugen, daß ein Ausweg an dieser Stelle nicht zu erzwingen war. Am neunten September war das Wetter klar

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_875.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)