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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


ohne empfindlichste Verluste kaum aus der Angelegenheit hervorgehen. Und die moralische Einbuße muß doch wohl, wie wir hoffen wollen, wenigstens bei den drei Letzteren der empfindlichste Verlust sein. Der Herzog von Ujest wird nicht wieder Präsident einer gesetzgebenden Versammlung werden, nachdem ihm diese Auszeichnung wiederholt auf dem Reichstage zu Theil geworden; und Graf Lehndorff wird auf das Ober-Präsidium in der Provinz Preußen verzichten müssen, um das er so eifrig ambirt hat, und das ihm seine einflußreiche Verwandtschaft, sein Vetter, der Minister Eulenburg, und sein Bruder, der Flügel-Adjutant des Kaisers, zu garantiren schien. – Neugierig kann man sein, wie sich das Verhältniß dieser Herren bei Hofe gestalten und ob sich diese Stätte der höchsten Ehren ihnen nicht ganz verschließen wird.

Es möchte übrigens die Annahme nicht unbegründet sein, daß die rumänischen Eisenbahnen nicht das einzige Band sind, welches die Genannten mit Strousberg verbindet, denn schon jahrelang, bevor dies Unternehmen in die Oeffentlichkeit trat, war die Intimität zwischen beiden Theilen sehr bemerkbar. Lehndorff soll als Mitglied des Verwaltungsraths der ostpreußischen Südbahn schon früher Strousberg Gefälligkeiten erwiesen haben, und die beiden Herzöge waren fast tägliche Besucher des Strousberg’schen Arbeitscabinets. Dies beständige Beisammensein veranlaßte den König im Winter 1868 zu 69 zu der scherzhaften Begrüßung des Herzogs von Ujest auf einem Hoffeste: „Nun, mein lieber Doctor Ujest, was macht der Herzog von Strousberg?“

Leider steht zu fürchten, daß die Zahl der hohen Herren, die in unliebsamer Weise in die Strousberg’schen Speculationen verwickelt sind, sich nicht auf die genannten Drei beschränkt. Schon werden Graf Münster, Fürst Puttbus und Andere genannt. – Auch von Bestechungen wird gesprochen und unter Anderem auf einen Hochgestellten gewiesen, der von Strousberg ein Gut gekauft, in der That es aber ohne Bezahlung erhalten haben soll. Es ist nur zu wahrscheinlich, daß noch viel Schmutz an’s Tageslicht kommen wird.

Und doch fragt es sich, ob die Handlungsweise der eben Genannten, so wenig ehrenvoll sie ist, nicht auf ein milderes Urtheil Anspruch hat, als das Verfahren von einzelnen ihrer Standesgenossen, die, um ihren Gelddurst zu befriedigen, sich in die unsaubersten Speculationen stürzen, zum Beispiel methodisch Wucher treiben. Schwerlich wird man an vielen Orten wissen, daß sich hier in Berlin große Herren damit abgeben, auf hohe Zinsen (etwa fünfzig bis hundert Procent) Wechsel mit Unterlage, Damno und Provision, und wie die Teufelserfindungen alle heißen, Gelder in kleinen und großen Beträgen auszuleihen. Der vornehme Name der Herren Darlehnsgeber wird dabei sorgfältig geschont, indem für sie eine Mittelsperson eintritt, welche das Geschäft abschließt und hierfür sowie für die Hergabe ihres Namens zu der ganzen Manipulation mit bestimmten Procenten an dem erzielten Vortheile participirt. Häufig betrügen diese Agenten außer den armen Clienten auch ihre hohen Auftraggeber durch Vorwegnahme eines Theils des Gewinns, falsche Angabe des auf den Wechsel wirklich Gezahlten und wohl in noch mancher anderen Form, so daß dann die edlen Mandanten die feine Rolle der „betrogenen Betrüger“ spielen. – Zur Ehre einzelner der betreffenden Herren mag man annehmen, daß in einigen Fällen die Auftraggeber ihre Agenten für ehrliche Leute halten und von den abscheulichen Gaunereien derselben, von dem Wucher, den sie mit dem anvertrauten Gelde treiben, keine Ahnung haben, obwohl es dann höchst merkwürdig bleibt, daß sie, die große Capitalien solchen Menschen übergeben, von deren Charakter, stadtkundigem Rufe und Geschäftsführung keine Kenntniß haben.

Die Speculationswuth und Sucht, sich schnell auf Kosten des minder schlauen Theils der Gesellschaft zu bereichern, hat hier gerade die höchsten Kreise auf bedenkliche Weise inficirt. Es wird kaum noch eines der zahllosen Finanzprojecte, Actienunternehmen etc., die Tag für Tag auftauchen, zu finden sein, für welches nicht ein oder der andere vornehme Herr oder hohe Beamte seinen Namen und Einfluß in die Schale wirft. Mit Recht fragt man sich, ob lediglich allgemeine Menschenliebe diese Herren zur Förderung der bezüglichen Speculationen, die denn doch schließlich auf Kosten des Publicums in’s Leben treten oder auch scheitern, bewegt, oder ob sie für ihre mäßige Mühwaltung nicht gewisse Vortheile ernten.

Sicherlich ist dies nicht das Gebahren, das die Mitglieder eines Standes, der den ersten Rang in der Gesellschaft beansprucht, in den Augen Unparteiischer besonders heben kann. Gewiß würde man Vielen Unrecht thun, wenn man Allen, die sich an den Modespeculationen des Tages betheiligen, unlautere Motive unterschieben wollte; eine größere Vorsicht und ernstere Prüfung der Unternehmungen liegt aber im Interesse Aller.

Ein bei Weitem harmloseres und mitunter recht humoreskes Bild bietet die große Schaar von irrenden Rittern – einstweilen noch von der traurigen Gestalt –, welche nach einer Gelegenheit spähen, pour reparer la fortune, aber ohne viele Mühe. Es sind der Mehrzahl nach junge Leute und ausnahmslos Heirathscandidaten. Nun kann man es einem vermögenslosen jungen Mann nicht zum Verbrechen anrechnen, wenn er in der heutigen theueren Zeit Umschau unter den Töchtern des Landes hält, welche von ihnen die Mittel besitzen, um die Verbindung mit einem Manne ohne Geld überhaupt zu ermöglichen. Das Sprüchwort sagt schon: „Reichthum schändet nicht“, und ebensowenig herrscht ein Naturgesetz, das die reichen Mädchen der Schönheit, Anmuth und Bildung beraubt. Es entwürdigt daher den Mann keineswegs, um ein weibliches Wesen zu werben, welches außer von den Grazien auch von dem Gott Plutus gnädig bedacht worden ist. Das aber ist unwürdig und unedel, einem Mädchen Liebe zu lügen, ihm eine Treue zu schwören, die von Anfang an nicht vorhanden gewesen ist, ihr Geld an sich zu raffen und sie dafür um Liebes- und Lebensglück zu betrügen. Aber leider betrachtet ein Theil der männlichen Jugend gerade aus den Gesellschaftskreisen, in denen edle Gesinnung und feine Sitte vorzugsweise Hut und Pflege finden sollten, solche Grundsätze für antiquirt und sieht in der Ehe nur eine Armenversorgungsanstalt, für welche das Geld der Frau als der einzige in Erwägung zu ziehende Punkt gilt. Von einem ehelichen Glück kann bei so geschlossenen Bündnissen freilich weder für den frivolen Mann noch für die getäuschte Frau die Rede sein.

Bei Geldheirathen zieht der junge Adel hier vorzugsweise drei Kategorien von Damen in Betracht:

1) die natürliche Tochter,
2) die Jüdin,
3) die Künstlerin.

Die erstere, die natürliche Tochter, selbstverständlich von königlichem oder fürstlichem Geblüte, ist die gesuchteste und geschätzteste Waare, einmal weil gemeinhin ihr Vermögen disponibel ist, zum Andern weil sie als Brautschatz außer dem Vermögen auch die Connexion einbringt, für den Ehrgeizigen und den Eiteln ein wesentlicher Reiz. Keine andere Art von Connexionen ist so fruchttragend und weitreichend wie diese; wirkt sie doch selbst über die Grenzen des Heimathlandes hinaus und hilft ihren Schützlingen in schönem Wechselspiele auch in der Ferne, wie denn auf diese Weise schon Hofmarschälle und Ceremonienmeister in gegenseitiger Gefälligkeit von verschiedenen Höfen creirt worden sind.

Die Jüdin ist eine fast unerschöpfliche Ressource, und ihre Einführung in die sogenannte große Welt stößt heute nicht mehr auf die Schwierigkeiten und Bedenken, die noch vor dreißig Jahren bei einem solchen Ereigniß sich erhoben. Er war damals eben noch ein Ereigniß, während gegenwärtig die Verbindung geldbedürftiger Edelleute und geldbesitzender Jüdinnen ein von der Natur gefordertes Verfahren zu sein scheint. Zu wessen Bestem derartige Verträge, die oft zugleich Friedensschlüsse und Kriegserklärungen sind, ausschlagen, kann nur ein Blick hinter die Gardinen verrathen, und dieser steht selbst einem Wissenden nur in vereinzelten Fällen frei. Diese Frage ist auch ziemlich gleichgültig, denn warum soll die Frau, die der Befriedigung der Eitelkeit nachgeht, ein lebhafteres Interesse ansprechen dürfen als der Mann, der die Heirath als Mittel seine leere Börse zu füllen benutzt? Der sittliche Werth Beider steht auf derselben Stufe. Freilich sollte ein Vorgang wie die Ehe des Majors v. X., der die Tochter eines berühmten Musikers von jüdischer Abstammung geheirathet hat, ein vernünftiges Mädchen von der Nachfolge einer solchen Verbindung abschrecken. Es ist bekannt, daß er seine Frau mit sehr feinem Witze sein „Portemonnaie“ nennt und dies auch den Kindern beigebracht hat, die, wenn der Wagen zur Spazierfahrt gemeldet wird, den Vater fragen: „Kommt auch das Portemonnaie mit?“ – Aber der bunte Kragen und die Aussicht, die Hofbälle besuchen zu dürfen, scheinen Lockungen zu sein, denen die Herzen der Töchter Israel nicht zu widerstehen vermögen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_834.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)