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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

ich K. mühsam erreicht – ich wollte ja Dich sehen, Dich, meine kleine Lenore! … Gott im Himmel, nur für einige Tage ein Obdach, dann werde ich mir ja weiterhelfen!“

Das war eine peinliche Lage für mich! … Ich hätte ihr sofort mein eigenes Bett eingeräumt und auf dem Stroh geschlafen – so sehr umstrickte mich der Zauber dieser Frau, aber gegen den Willen meines Vaters durfte ich sie doch nicht im Hause behalten. Ich dachte an Fräulein Fliedner – sie war so gut und bereitwillig zu helfen, vielleicht wußte sie Rath. … Ach, alle meine schönen Vorsätze, nach welchen ich stets zuerst überlegen und dann handeln wollte, wo waren sie hin? …

Ohne ein Wort zu sagen, führte ich meine Tante die Treppe hinab und hinaus über den Kiesplatz – sie folgte mir lenksam wie ein Kind. Wir wollten eben in das Bosquet einbiegen, da traten uns die Geschwister entgegen – Charlotte in weißglänzender Atlaskapuze und den violetten kostbaren Sammetpelz um die Schultern geschlagen – sie wollten offenbar promeniren.

Ich hatte „den Herrn Lieutenant“ noch nicht gesehen, denn ich war ihm consequent ausgewichen, so oft er auch Tags über die Karolinenlust aufsuchte. Nun erschrak ich vor ihm bis in das innerste Herz und fuhr zurück. Aber auch er schien überrascht – seine braunen Augen, vor denen ich mich seit jenem Auftritt im Saal der Beletage stets entsetzte, hingen mit einem seltsamen Aufblitzen an meinem Gesicht. Ich that, als sähe ich die Hand nicht, die er mir lächelnd hinreichte, und stellte Charlotten meine Tante vor. Mit Befremden sah ich, daß eine heftige Bewegung blitzschnell durch die schönen Züge der unglücklichen Frau lief – sie wollte sprechen, und doch kam kein Laut über ihre Lippen.

Charlotte neigte flüchtig und vornehm den Kopf, während ein ziemlich hochmüthig musternder Blick die vor ihr stehende Erscheinung streifte.

„Fräulein Fliedner wird Ihnen schwerlich rathen können,“ sagte sie kalt zu mir, als ich ihr mein Vorhaben mit einigen Worten andeutete. „Und helfen noch viel weniger – wir haben sehr wenig Platz im Vorderhause. … Wenn ich Ihnen rathen soll, so gehen Sie zu Ihren Freunden Helldorf – die haben doch gewiß ein Stübchen, wo Sie Ihre Frau Tante unterbringen können.“

Ich wandte mich empört ab, und meine Tante ließ hastig ihren Schleier über das Gesicht fallen.

In dem Augenblick ging der Gärtner Schäfer grüßend an uns vorüber. Das Schweizerhäuschen war sein Eigenthum, und ich wußte, daß er die sogenannte Putzstube seiner verstorbenen Frau öfter an Fremde vermiethete. Ich lief ihm nach und fragte ihn – er war sofort bereit, meine Tante aufzunehmen, und bat sie, gleich mitzukommen, es sei Alles „in schönster Ordnung“.

Ohne noch einen Blick auf die Geschwister zu werfen, ging sie neben dem alten Manne her, der in seiner gutmüthig sanften Weise zu ihr sprach und sie nach der Thür führte, zu welcher ich den Schlüssel hatte. … War es doch, als triebe sie eine gewaltige innere Aufregung vorwärts – Schäfer vermochte kaum, Schritt mit ihr zu halten, und ich blieb, trotz aller Bemühungen, eine ziemliche Strecke hinter ihnen zurück.

„Um Gotteswillen, schaffen Sie sich diese hereingeschneite Tante vom Halse!“ raunte mir Charlotte zu. „Mit der legen Sie keine Ehre ein – die Schminke sitzt ihr ja fingerdick auf dem Gesicht! … Und dieser immitirte Theaterhermelin! Fi donc! … Kind, Sie haben ja eine merkwürdige Verwandtschaft – eine Großmutter, die eine geborne Jüdin ist, und nun gar diese über und über gefirnißte Komödientante! … Apropos, kommen Sie nicht zu spät heute Abend – Onkel Erich läßt es sich, wider Erwarten, ein tüchtiges Stück Geld kosten – das Glashaus wird brillant beleuchtet – mag es ihm gut bekommen!“

Sie lachte auf und ergriff den Arm Dagobert’s, der meiner Tante forschend nachsah.

„Ich weiß nicht – ich – muß der Frau schon einmal begegnet sein,“ sagte er und legte die Hand nachsinnend an die Stirn. „Gott mag wissen, wo –“

„Nun, das ist doch sehr leicht zu sagen – Du wirst sie auf der Bühne gesehen haben,“ meinte Charlotte und trieb ihn ungeduldig weiter.

Tief erbittert sah ich ihnen nach. … Arme Tante! Ja, sie war eine unglückliche, von den Menschen verfolgte Frau – nun sollte gar auch das Einzige, was sie noch besaß, ihre Schönheit, eine – gemalte sein.

Ich fand das Erkerstübchen, in welches uns Schäfer führte, überaus hübsch und gemüthlich. In wenigen Minuten hatte der alte Mann Feuer im Ofen gemacht und auf die Fenstersimse vollblühende Rosen- und Resedastöcke gestellt.

„Eng und niedrig,“ sagte meine Tante und hob den Arm, als wolle sie an die schneeweiße Zimmerdecke greifen „Ich bin das nicht gewohnt, aber ich werde schon aushalten – mit gutem Willen kann man Alles, gelt, mein Engelchen?“

Sie warf Hut und Mantel ab und stand in königsblauem Sammetkleide vor mir. An den Nähten und Ellenbogen war das Prachtgewand freilich verblichen und abgeschabt, aber es umschloß einen tannenschlanken Wuchs; die kleine Schleppe vervollständigte den wahrhaft fürstlichen Anstand der ganzen Erscheinung, und aus dem tiefen herzförmigen Ausschnitt leuchtete Schneewittchens blendende Brust. … Und welch ein Haar! Ueber der Stirn kräuselten sich die blauschwarzen Locken, sie fielen lang und voll über Rücken und Brust hinab, und doch umschlangen noch die reichsten Flechten den feinen Kopf – wie er diese märchenhafte Pracht ertrug, begriff ich nicht, noch weniger aber, daß er sich dabei so rasch und anmuthig bewegte.

Diese unverhohlene Bewunderung las sie jedenfalls auf meinem Gesicht.

„Nun, kleine Lenore, gefällt Dir Deine Tante?“ fragte sie schelmisch lächelnd.

„Ach, Du bist zu schön!“ rief ich enthusiastisch. „Und so jung, so jung – wie ist das nur möglich? Du bist doch drei Jahre älter als mein Vater!“

„Närrisches Ding, das schreit man nicht so in alle vier Winde hinaus!“ rief sie gezwungen lachend und legte ihre zarte Hand auf meinen Mund.

Ihre Augen fuhren suchend im Zimmer umher und blieben auf dem kleinen Spiegel an der Fensterwand hängen.

„Ach, das geht aber nicht, nein – das geht wirklich nicht!“ fuhr sie ganz erschrocken auf. „In dieser Scherbe sieht man ja kaum die Nasenspitze! … Wie soll ich denn die Toilette machen? Ich bin doch keine Bauernfrau, Kind – ich bin gewohnt, fürstlich zu leben! … Man fügt sich ja gern einmal, aber – das kann ich nicht! … Gelt, Du verschaffst mir ein anderes, anständiges Glas, damit ich wenigstens annähernd meine gewohnte Ordnung habe? … Da drüben in dem Schloße, wo Du augenblicklich wohnst, giebt es gewiß irgend einen überflüssigen Trumeau. … Kindchen – im Vertrauen – jede Aufmerksamkeit, die Du mir in diesem vorübergehenden Moment des Gedrücktseins erzeigst, sie wird Dir später von einer andern Seite tausendmal gedankt werden. … Lasse getrost herüberschaffen, was ich zur Bequemlichkeit nöthig habe – ich werde es verantworten.“

„Wie kann ich denn das, Tante?“ antwortete ich ganz verdutzt. „Die Möbel in unseren Zimmern gehören ja Herrn Claudius!“

Sie lächelte.

„Ich möchte nicht einen Stuhl anders stellen, als ich ihn gefunden habe,“ fuhr ich ernstlich protestirend fort. „Aus der Karolinenlust kann ich Dir mit dem besten Willen nichts verschaffen, aber vielleicht giebt die Frau Helldorf, was Du brauchst – wir wollen hinaufgehen.“

Es schlug mich sehr nieder, als auch die kleine Frau meine schöne, prächtig geschmückte Protégée mit einem sichtlich befremdeten Blicke empfing. Es half nichts, daß ihr meine Tante mit unwiderstehlich süßer Stimme tausend Schönheiten sagte und die beiden im Zimmer spielenden Kinder goldgelockte Engel nannte. Das feine Gesicht meiner Freundin verlor nichts von seiner kühlen, mißtrauischen Zurückhaltung, und als ich schließlich mit der Bitte um den Spiegel zögernd herausrückte, da wurde sie steif wie eine Statue, nahm den ziemlich großen Spiegel – ihren einzigen – von der Wand, übergab ihn der schönen Frau und sagte mit unverkennbarem Spott: „Ich kann mich auch so behelfen.“

„Seien Sie vorsichtig, Lenore, ich bitte Sie dringend! Ich werde auch wachen,“ flüsterte sie mir auf dem Vorsaale zu, während das blaue Sammetkleid im Treppenhause verschwand.

Sehr kleinlaut legte ich drunten meine kleine Börse auf den Tisch. Ich erhielt dafür einen Kuß und die Versicherung, daß mir in jedenfalls kurzer Zeit „alle meine kleinen Opfer“ tausendfache

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_827.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)