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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Portrait der Präsidentin auch das Bildniß der weithin verehrten Leipziger Erzieherin und Mitherausgeberin der „Neuen Bahnen“ setzten.

Wo aber solche Kräfte mit so viel begeisterter Tüchtigkeit und rastloser Anstrengung zu gemeinsamem Wirken sich vereinigen, da sprechen sie schon durch sich selber und ihr uneigennütziges Thun und Schaffen für die Reinheit und den Ernst ihrer Sache. Möchten darum alle Wohldenkenden im Publicum und namentlich in der Frauenwelt endlich ihre Pflicht thun und diese wichtige Bestrebung mit ihren Geist- und Geldmitteln kräftiger unterstützen, als es bisher geschehen ist. Was die Frauenvereine ihrem Wesen nach sind, das zeigt sich ja am deutlichsten an der Art ihrer entschiedenen Widersacher. Ihr Gegner ist nicht blos die gedankenlose Trägheit und stumpfsinnige Bequemlichkeit, sondern auch aller wüste Emancipationsschwindel, alle herausgeputzte Rohheit platter Männer- und Weiberseelen, in erster Reihe aber die professionirte Frömmelei, welche die Frauen gern durch das Diaconissenwesen in den Dienst des finsteren Muckerthums und der Inneren Mission ziehen, d. h. für ihre reactionäre Propaganda dressiren will. Werden die Frauenvereine zu einem durchgreifenderen Aufschwunge befähigt, so wird damit diesem Beginnen des rauhhäuslerischen Pietismus ein starker Gegensatz geschaffen.

F. v. D. 




Wanderungen durch Elsaß und Deutsch-Lothringen.
1. Die Burg der Riesen.


Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt,
Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
Sie selbst ist nun zerfallen, die Stätte wüst und leer,
Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
 Chamisso.


Wer kennt nicht die Sage vom Riesenspielzeug und der Riesentochter, welche den Bauer sammt Pferden und Pflugschaar vom Felde in der Schürze auf’s Schloß trug, die hübsche Sage, welche Chamisso in schlichter, einfacher Form so poetisch behandelte und dauernd der Nachwelt erhielt? – Ach, wie lange ist es schon her, daß ich „Das Riesenspielzeug“ lernte, damals in der entferntesten Ecke Preußens, auf der Schulbank in Thorn! Zu der Zeit dachte ich freilich nicht daran, daß ich jemals die Burg, als Burg in gut deutschem Lande, von Angesicht zu Angesicht sehen würde.

Es war im Frühjahre dieses Jahres, beim Antritte meiner längeren Reise durch Elsaß und Lothringen, als ich von Zabern aus der „Burg der Riesen“ einen Besuch abstatten wollte. Ich hatte am Abend im Gasthof „Zur Sonne“ liebe Landsleute gefunden und mit ihnen so spät in die Nacht hinein geplaudert, daß mir am nächsten Morgen das Aufstehen schwer genug fallen sollte. Aber drüben vom Schlosse her blies der preußische Hornist in lauten, langgezogenen Tönen zum dritten Male den Weckruf: „Habt ihr noch nicht lang’ genug geschlafen?“ und so schwang ich mich denn schnell heraus. Ein leichter Einspänner nahm mich für eine schwere Miethe auf, um mich nach Nideck zu fahren. Die Elsässer sind gute Kaufleute, welche aus der Gelegenheit Nutzen zu ziehen wissen, was ich auf meiner mehrmonatlichen Reise sehr oft erfahren habe.

Wir fuhren die Hauptstraße aufwärts südlich zur Stadt hinaus. Die Sonne stieg langsam empor und ein frischer, heiterer Frühlingsmorgen lag über Berg und Fluren, ein Morgen, der, wie das jubilirende Lied der Lerche, so recht aus Herzensgrund die Reiselust weckt.

Bäuerinnen in ihren interessanten elsässischen Costümen fuhren mit den Producten des Feldes auf Leiterwagen nach „Zabern“. Es fällt nämlich dort in der ganzen Umgegend keinem Elsässer ein, den französischen Taufnamen „Saverne“ zu brauchen, wie man denn dort überhaupt nur das „Alsasser Dütsch“ hört. Trotz ihrer deutschen Landessprache aber und ihrem im Grunde genommen noch ganz deutschen Wesen thun die vornehmen Bürger der Stadt doch schrecklich traurig, sondern sich vom Militär und den Beamten vollständig ab und sind in ihren Gesinnungen womöglich schlimmer auf uns zu sprechen, als die Metzer, deren Sprache beinahe ausschließlich französisch ist. War doch das Concert, welches unsere Regimentscapelle in diesem Sommer zum Besten der Armen von Zabern gab, nur von unserm Militär, vom Gemeinen bis aufwärts zum Officier, besucht. Der Bürger will dort kein Concert von einer deutschen Regimentscapelle hören, selbst wenn dasselbe zum Besten der Armen seiner Stadt gegeben wird, während man jeden Nachmittag von vier bis sechs Uhr auf der Esplanade in Metz Schaaren der vornehmen Welt sieht, welche dort den Concerten unserer Regimentsmusik beiwohnen.

Kehren wir jedoch zu unserer Fahrt zurück. Nachdem wir Mauersmünster, ein kleines Städtchen, in welchem eines der berühmtesten und ältesten Klöster des ganzen Elsaß liegt, und Goßweiler passirt hatten, nahm uns ein schöner Laubwald auf, durch den sich der Weg in mühsamen Windungen zur Berghöhe hinaufzieht. Mir sind die vielen Wälder, welche ich in den Vogesen gesehen, farbiger, glänzend grüner, die Moosdecken sammetner, die Vegetation üppiger vorgekommen als bei uns. Es giebt allerdings dort noch genug Wälder, in denen nie ein Axtschlag erklungen, nicht weil es Bannwald ist

– Und wer ihn schädigt,
Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe –,

sondern weil das menschliche Leben und Treiben weit ab von ihnen wohnt. Man könnte daraus schließen, daß der Wildstand, namentlich an Hochwild, dort in den Wäldern ein ausgezeichneter sein müsse. Das ist aber nicht der Fall. Hochwild kommt wohl vor, aber nicht häufig, eher selten. „Es ist eben schon viel abgeschossen worden,“ sagen Einem dort die Jäger. Dafür giebt es aber noch viel Rehe, Auerhähne, wilde Kaninchen, Eichkätzchen (die beiden letzteren Wildarten werden zubereitet und gegessen) und eine Unzahl von Wildschweinen, denen man bei dem sehr bergigen Terrain schwer nahe kommen kann.

Wir befanden uns jetzt auf der Höhe und noch immer im Walde. Die Straße wurde breiter, fester und bequemer; nur selten hörten wir in der Waldeinsamkeit Hundegebell, und dann kam meistens eine kleine Waldblöße, auf der sich von grünem Plane ein Forsthaus mit blendend weißen Wänden abhob. Später brach sich die Straße abwärts Bahn durch einen hochstämmigen Tannenwald, und mit der Peitsche auf ein kleines, rechts am Wege liegendes Häuschen deutend, bezeichnete mir der Kutscher das Forsthaus Nideck. Wir hatten für die Fahrt acht Stunden von Zabern aus gebraucht! Es war ein Uhr Mittags, als wir vor dem Forsthause ankamen. Ein freundlicher Wirth, der Förster Stettner, kam uns entgegen und erbot sich bereitwilligst, den Weg nach der Burg zu zeigen.

Wir gingen direct in den Wald hinein, hin und wieder über eine gefällte Riesentanne kletternd. Neben unserm schmalen Pfade liefen mehrere Seitenwege, die ebenfalls in’s Holz führten. Der Förster, ein angehender Fünfziger, oder vielleicht etwas älter, gehörte nicht zu jenen verschlossenen, zugeknöpften Naturen, die dem „Dütschen“ oder „Prüßen“ eher aus dem Wege gehen, ihm lieber irgend einen boshaften Schabernak spielen, als ihm gefällig sind. Er ist vielmehr ein ehrliches, offenes Haus und scheint sich in die neue Wendung der Dinge mit verständigem Sinn gefügt zu haben.

Auf einem recht schlechten, noch mit Baumwurzeln und Steingeröll bedeckten Wege, der gerade im Bau begriffen war, schritten wir bergab weiter und ich hörte vom Förster mit Vergnügen, daß die deutsche Regierung zweifellos daran denken werde, den noch sehr wilden Zugang zur Burg durch bequemere Fußwege dem Touristen zu erleichtern.

Nach einer halbstündigen Wanderung zeigt sich im Walde eine lachende Gebirgsansicht, die so entzückend ist, daß die Versuche des geschicktesten Landschaftsmalers sie wiederzugeben kaum im Stande wären. Schon der ganze Eindruck des Bildes versetzt Einen in Staunen und Bewunderung; dazu kommt der feine, farbige, tiefviolette Duft der in schönen Wellenlinien aufsteigenden hohen Berge. Im Hintergrunde, aber gar nicht fern gerückt, begrenzt der hohe Moosberg das Bild; ihn überschneiden andere Berge, und von diesen hebt sich rechts eine steile, dunkle Felsenwand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_819.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2020)