Seite:Die Gartenlaube (1871) 814.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

in fast scherzhafter Weise die Achseln. – „Es tut mir leid – darüber kann ich Dir keine Auskunft geben.“

„Was soll das heißen?“

„War ich nicht deutlich genug, Onkel Erich? – Nun denn, ich bin augenblicklich außer Stande, Dir zu sagen, wie dieses hübsche Petschaft in meine Hände kommt. … Ich habe auch so meine kleinen Geheimnisse, wie ja deren genug im alten Claudiushause herumliegen. … Gestohlen habe ich’s nicht; ebenso wenig gekauft; es ist mir auch nicht geschenkt worden.“ – Sie ging in ihrer Kühnheit so weit, vor diesem tiefernsten Gesicht das verhängnißvolle Räthsel wie einen Spielball in die Hand zu nehmen.

„Die geistreiche Lösung ist, daß Du es gefunden hast, wenn ich mir auch nicht denken kann, wo,“ sagte er augenscheinlich widrig berührt durch ihre kecke Art und Weise, mit ihm zu scherzen. „Es fällt mir nicht ein, weiter in Dich zu dringen – behalte Dein Geheimniß. Dagegen frage ich Dich ernstlich: Wie kommst Du dazu dieses Wappen zu führen?“

„Weil – nun, weil es mir gefällt!“

„Ach so – das ist ja ein wunderbarer Begriff von Mein und Dein! … Freilich, dieses Wappen ist herrenloses Gut, auch fehlt mir persönlich der Respect vor dem angedichteten Nimbus solch eines kleinen Schildes – ich könnte Dir schließlich die kindische Freude lassen, ferner Deine Briefe mit diesem gekrönten Adlerflügel zu siegeln, wenn – Du nicht Charlotte wärst – einem notorischen Spieler aber, den man heilen will, giebt man keine Karten in die Hände. … Ich verbiete Dir hiermit ein- für allemal, das gefundene Petschaft ferner in Gebrauch zu nehmen!“

„Onkel, ich frage Dich, ob Du in Wirklichkeit das Recht dazu hast!“ rief Charlotte in unaufhaltsam hervorbrechender Leidenschaft. Ich zitterte vor Angst und Aufregung – sie stand auf dem Punkte, mit einem einzigen Hiebe den Knoten zu durchhauen.

Herr Claudius trat um einen Schritt zurück und maß sie mit einem stolz erstaunten Blick.

„Du wagst, es anzuzweifeln?“ – Er zürnte, und doch blieb er vollkommen beherrscht in seiner äußern Haltung. „In der Stunde, wo Ihr – Du und Dein Bruder – an meiner Hand Madame Godin’s Haus verlassen habt, ist mir dieses Recht zugefallen. Ich habe Dir den Namen Claudius gegeben, und kein Gericht der Welt kann es mir verwehren, wenn ich darauf bestehe, daß Du ihn ohne alle Verballhornisirung trägst. … Sollte wirklich der Augenblick gekommen sein, wo ich bereuen müßte, dieses hochgehaltene Kleinod meiner Väter als Schild über Dein und Dagoberts Haupt gedeckt zu haben? … Mein Bruder hat es geschädigt, indem er dieses Unding“ – er zeigte auf das Siegel – „daran knüpfen ließ! mit meinem Willen soll es nie wieder aufleben!“ Ein spöttisch überlegenes Lächeln huschte durch Charlottens Züge, er sah es und runzelte finster die Brauen.

„Kindisch schwache und angekränkelte Seele in einem so kräftigen gesunden Körper!“ sagte er und ließ seinen Blick über die imposante Gestalt des jungen Mädchens hinstreichen. „Du klagst und schiltst über den unnahbaren Hochmuth des Adels, und stärkst ihn doch, wie tausend andere schwachsinnige Geister auch, durch die Gier, in seinen Kreisen zu verkehren, durch knechtische Unterwerfung, wenn man Dich nur duldet. … Ich gehöre nicht zu jenen fanatischen Gegnern des Adels, die ihn von seinem Piedestal stoßen wollen – mag er doch da bleiben – ich behaupte auch den Platz, auf dem ich stehe. … Die Bedeutung seiner Weltstellung ist ohnehin eine andere geworden – wenn ich mich ihm nicht unterthänig mache, dann bin ich’s auch nicht. Seine eingebildete Stärke wurzelt nur noch in Eurer Schwäche – wo keine Anbetung, da ist auch kein Götze.“

Charlotte warf sich wieder in die Sophaecke – ihre Wangen glühten; es kostete ihr offenbar einen schweren Kampf, die Zunge zu zähmen.

„Mein Gott, was kann ich für meine Natur?“ rief sie nicht ohne Hohn. „Sei es drum – ich kann mir eben nicht helfen, ich gehöre nun einmal zu jenen schwachsinnigen Geistern! Warum soll ich’s leugnen – hinge dieser reizende, gekrönte Adlerflügel mit meinem wirklichen Familiennamen zusammen, ich wäre stolz – stolz über die – Maßen!“

„Nun, es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. … Wehe denen, die mit Dir verkehren müßten, wenn Dir wirklich dieser sogenannte Vorzug der Geburt zufiele! Glücklicherweise berechtigt Dich weder Dein Adoptivname, noch der Deiner eigentlichen Familie –“

„Der meiner Familie? – Und wie lautet er, Onkel Erich?“ Sie erhob sich unwillkürlich und heftete fest und durchdringend ihre glühenden Augen auf sein Gesicht.

„Hättest Du ihn in der That vergessen, ihn, der Dir ‚tausendfach süßer und vornehmer klingt, als der grobe, deutsche, bärenhafte Name Claudius‘? … Er lautet – Mericourt“ … Er sprach den Namen augenscheinlich mit Ueberwindung aus.

Charlotte sank wieder in die Polster zurück und drückte das Taschentuch gegen ihre Lippen.

„Ist Ihr Thee fertig, liebe Fliedner?“ wandte sich Herr Claudius an die alte Dame, die gleich mir in athemloser Spannung dem gefährlichen Gespräch gefolgt war.

Während er sich einen Fauteuil an den Tisch schob, goß sie schleunigst Thee ein, ihre kleinen, feinen Hände waren ein wenig unsicher, als sie ihm die Tasse hinreichte, und ein besorgter Blick streifte scheu seine verfinsterte Stirn – die alte Frau sollte ja seine Mitschuldige sein, diese sanfte, liebreiche, gütige alte Frau, die Mitwisserin einer fortgesetzten schwarzen Schuld – nimmermehr! Herr Claudius hatte durch seinen letzten fest und sicher gegebenen Bescheid die Angelegenheit wieder in das tiefste Dunkel gezogen – ihm glaubte ich. Anders dachte Charlotte, ich sah es an ihrem Gesicht, ihre Ueberzeugung war eine unumstößliche. Wie eine Fürstin saß sie neben mir und ließ sich von Fräulein Fliedner bedienen, und der spöttisch feine Zug, der ihre Mundwinkel abwärts bog, galt dem Namen Mericourt. … Welch ein Widerspruch in dieser hochmüthigen Seele selbst! Einst hatte sie mit dem französischen Namen die Voraussetzung, daß das deutsche, plebejische Blut der Claudius in ihren Adern fließe, zornig und energisch abgewehrt, und nun verwarf sie ihn verächtlich wie ein abgelegtes Kleid, auf die Enthüllung hin, daß sie in Wahrheit eine Claudius, die leibliche Nichte des mißachteten Krämers sei … Ach, ich harmloses Kind der Haide, ich begriff ja nicht, daß ein Machtwort des Fürsten, ein paar Federstriche seiner Hand den alten Stamm des Krämerhauses bis in die Wurzel gespalten und den abgetrennten Ast bis zur Unkenntlichkeit veredelt hatten!

Luise trat ein und gleich nach ihr Helldorf. Ich schöpfte tief Athem, als wehe mich ein erfrischendes Element an – diese Beiden hatten ja keine Ahnung von dem vulcanischen Boden, auf welchem der niedliche Theetisch stand, sie unterbrachen in zwangloser Weise das dumpfe Schweigen, das seit Herrn Claudius’ letztem Worte herrschte, auch hatte ich in Helldorf’s Nähe stets das Gefühl des Beschütztseins, einer trauten, heimischen Beziehung – war ich doch auch allmählich das zärtlich gehegte und gehätschelte Kind im Hause seines Bruders geworden.

Er reichte mir mit verständnißvollem Lächeln und vorsichtigen Fingern eine weiße Papierdüte hin – ich wußte, was sie enthielt – eine kaum aufgebrochene Theerose, die Frau Helldorf lange für mich gepflegt, und von welcher sie mir am Morgen gesagt hatte, sie werde sie mir noch an den Theetisch schicken, falls sie im Laufe des Tages den Kelch öffnen sollte. Ich stieß einen Freudenruf aus, als ich das Papier auseinanderschlug – mattweiß, tief im halberschlossenen, strotzenden Kelch blaßgelb angehaucht, schwankte die starkduftende Blüthe schwer am Stengel. …

„O weh, nehmen Sie doch ein wenig Rücksicht auf mein Kleid, Luise! Sie reißen mir ja die Spitzen von den Volants!“ rief Charlotte in diesem Augenblick heftig und zog die rauschenden Falten ihrer Robe an sich. Sie war sehr zornig, aber ich konnte unmöglich glauben, daß es dem Kleide gelte – ein Riß in dem kostbarsten Anzug war ihr stets sehr gleichgültig. Ich hatte gesehen, wie sie das Dreieck, das ihr ein Dornbusch in ein prächtiges Spitzentuch gerissen, eigenhändig erweiterte, weil „es gar so lächerlich aussehe“, und Fräulein Fliedner’s kleinen Pinscher hatte sie lachend an den Ohren gezupft dafür, daß er „so reizend boshaft“ den Besatz eines neuen Kleides zerfetzt hatte.

Luise fuhr erschrocken, mit todesängstlichen Augen empor und stammelte eine Entschuldigung um die andere, obgleich sich der prophezeite Schaden nirgends entdecken ließ – man sah dem scheuen, gedrückten Geschöpf die Furcht an, die ihr die herrische junge Dame einflößte. … Die Scene war peinlich und hätte sicher noch eine unangenehme Wendung für Charlotte genommen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_814.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)