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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


ihn Dampier selbst wieder mit sich hinwegnahm. Dieser Mosquito-Indianer war also der erste Robinson, welcher auf der Insel lebte und sich gleich Selkirk von den wildlaufenden Ziegen ernährte.

Da die Letzteren sich ungemein vermehrt hatten und den Flibustiern jederzeit Fleisch in Menge lieferten, so gedachten die Spanier ihren kühnen und gefürchteten Feinden durch Ausrottung der Ziegen in erfolgreichster Weise zu schaden, indem sie mächtige Bluthunde hinüberführten und dort freiließen. Letztere scheinen aber ihre Aufgabe nur unvollkommen erfüllt zu haben, denn als ein anderer berühmter Seefahrer, Lord George Anson, der spätere britische Admiral, im Jahre 1741 daselbst landete, fand er zwar viele Hunde, aber auch noch sehr viele Ziegen vor.

Von seiner während der Umsegelung des Cap Horn durch einen Sturm getrennten Flotte hatten sich nur drei Schiffe, Centurion, Trial und Gloucester in jämmerlichem Zustande wieder zusammengefunden. Die Mannschaften litten am Scorbut und anderen bösen Krankheiten und Lord Anson blieb mit ihnen nothgedrungen auf der schönen Insel, wo sie sich überraschend schnell von ihren Leiden erholten. Nichts war natürlicher, als daß die genesenen Seeleute nach ihrer Ankunft in England diesen Aufenthalt in den verlockendsten Farben schilderten. Die Spanier, welche davon hörten und nicht mit Unrecht fürchteten, die immer auf Landerwerb bedachten Engländer würden die Insel in Besitz nehmen, beeilten sich nun auf ihr im Jahre 1751 eine Niederlassung zu gründen. Bald darauf wurde dieselbe aber durch ein Erdbeben heimgesucht und in Folge dessen aufgegeben. Juan Fernandez blieb nun wieder unbewohnt bis 1819, in welchem Jahre Chili eine Strafcolonie dort anlegte; diese bestand bis 1835, dann wurde die Insel abermals verlassen.

Zwei Jahre später ließ sich ein Chilene von Valparaiso freiwillig dort nieder, ihm folgten bald noch mehrere Männer und Frauen, und diese und ihre Nachkommenschaft lebten zur Zeit unseres Besuches, im Februar 1866, auf der Insel. Die kleine Gemeinde zählte damals fünfzehn Köpfe, mehrere junge Leute waren auf Walfängern abwesend. –

Wir näherten uns mit einer leichten Brise von Südosten und bei Sonnenaufgang lag die Insel in ihrer ganzen Schönheit vor uns. Von entschieden vulcanischem Charakter trug sie jenes wilde bizarre Gepräge, welches ein gewaltsames Schaffen der Naturkräfte immer verleiht; die starren Formen waren jedoch mit freundlichem Grün geschmückt und gewährten so von Weitem einen überaus lieblichen Anblick. Im Westen von uns tauchte das kleine Eiland Santa Clara aus dem Meere auf; es erschien uns kahl und öde.

Juan Fernandez selbst besteht aus einem einzigen Gebirgsstock. In der Mitte desselben erhebt sich bis zu dreitausend Fuß die höchste Kuppe, ihrer seltsamen Gestalt wegen „der Ambos“ genannt; westlich von derselben drängt sich Berg an Berg. Die meisten derselben sind vom Fuß bis zum Gipfel mit Vegetation bedeckt, dunkle Schluchten ziehen sich zwischen ihnen nieder und bilden kleine lauschige Thäler, welche sich nach der See zu öffnen.

Oestlich vom Ambos dagegen dehnt sich ein großes Plateau, welches mit geringen Unebenheiten nach Süden, Osten und Norden geneigt ist, aber in einer Höhe von vielleicht zweitausend Fuß an diesen drei Seiten plötzlich und senkrecht nach dem Meere zu abstürzt. Es ist mit Gras und Gebüsch bewachsen. Schon von Weitem sahen wir es sich dort oben bewegen wie Ameisen, und mit Hülfe des Fernrohrs erkannten wir die berühmten wilden Ziegen. Wenn wir die Zahl der gleichzeitig gesehenen auf einige hundert schätzten, so machten wir uns sicherlich keiner Uebertreibung schuldig. Das Plateau schien ihr Lieblingsaufenthalt zu sein, an keinem andern Punkte der Insel bemerkten wir so viele dieser Thiere beisammen. Sie stiegen an den grünen Hängen auf und nieder, oder zogen in geschlossenen Rudeln umher, während einzelne von ihnen unmittelbar am äußersten Rande des Abgrundes standen und niederschauten. Mit einem Sprunge hätten sich diese von der schwindelnden Höhe in das Meer hinabwerfen können.

In sicherer Entfernung fuhren wir an den ungeheuren Felsenwänden entlang und blickten mit Staunen an ihnen hinauf; wir konnten uns des Gefühls nicht erwehren, daß sie niederstürzen müßten und uns zermalmen, so drohend war ihr Aussehen. Niemals sah ich gewaltigere Formen. Unten schäumten und tosten die Wogen des Oceans und brachen sich mit dumpfem Donnern; rastlos nagten sie am Grunde der Felsenmauern, sie unterhöhlend, bis die freischwebenden Massen sich lösten und in die Tiefe hinabschmetterten. An verschiedenen Stellen zeigte das Gestein frische Spuren solcher Niederbrüche.

In Folge dieser Einwirkung des Wassers hat die ganze Ostseite der Insel die Gestalt einer riesigen Bastion erhalten. Die mächtigen Wälle derselben wurden eben von der Morgensonne beschienen und alle Vorsprünge traten im Wechsel von Licht und Schatten auf das Schärfste hervor. Die horizontalen Schichtungen waren von klaffenden Spalten durchsetzt, von welchen dünne Wasserfäden niederflatterten und sich in Millionen Tropfen zertheilten, ehe sie das Meer erreichten. Ein Wasserstrahl namentlich gewährte einen prachtvollen Anblick, indem er in einer Höhe von vielleicht tausend Fuß kühn aus dem Gestein heraussprang und in weitem Bogen herabsinkend und zerstäubend wie ein duftiger Schleier vor dem dunkeln Felsengrunde hing. Als einer unserer Officiere im Jahre vorher hier passirte, war von diesem „Brautschleier“, wie die schöne Frau des Capitains in der Erinnerung an eine süße Stunde erröthend ihn nannte, noch nichts zu sehen gewesen; ein Beweis, in wie kurzer Zeit bemerkenswerthe Veränderungen hier vorgingen.

Den nördlichen Punkt der Bastion umfahrend erblickten wir Cumberland-Bai. Der Uebergang vom Ernsten, Gewaltigen zum Anmuthigen konnte nicht überraschender sein. Vor uns lag eine nur wenig ausgerundete Bucht mit flachem Strande, von welchem ein liebliches Thal, sich in mehrere kleine Seitenthäler verzweigend, landeinwärts zog. Im Hintergrunde desselben thronte der Ambos; von ihm zweigte sich rechts ein hoher und steiler Bergzug ab, bis in die See hinaustretend und Bucht und Thal nach Westen zu abschließend. Links wurde dasselbe in gleicher Weise von dem oben erwähnten Plateau begrenzt, an welches sich ganz im Vordergrunde ein nackter Felsen wie ein Strebepfeiler lehnte, dem zwei glatte sich verjüngende Seiten genau das Aussehen einer halbverschütteten Pyramide gaben. An seinem Fuße schlängelte sich ein rauher Pfad aufwärts nach der Höhe der Klippen. Mit Ausnahme dieses sofort in die Augen springenden Felsens waren die zurückliegenden Berge theilweise mit Wald und Buschwerk bedeckt. Das auf diese Weise umschlossene Thal ist nach Norden, also hier nach der Sonnenseite zu, offen; es ist das günstigst gelegene und geräumigste der Insel, dennoch aber wohl kaum tausend Schritte lang und breit. In ihm auf der rechten Seite und nicht weit vom Meere befand sich die kleine Ansiedlung.

Während die Schiffe in sicherer Entfernung vom Lande kreuzten und verschiedene Boote mit Angelleinen zum Fischfang ausgesandt wurden, segelten wir nach dem Innern der Bai. Der flache Strand erlaubte unser leichtes Fahrzeug auf das Trockne zu ziehen, bei welcher Arbeit uns einige herbeigeeilte Inselbewohner halfen. Ihr Aeußeres ließ erkennen, daß sie nicht in zu häufige Berührung kamen mit den Segnungen der Civilisation. Weiber und Kinder hatten ein recht ungewaschenes Aussehen und machten keinen übermäßig günstigen Eindruck auf uns. Desto größer aber war ihre Bewunderung für die schöne Dame, welche mit uns gekommen war und welche mit ihrem rosigen Gesicht und schneeigen Kleidern der jüngeren Generation wie eine gute Fee erscheinen mußte, wenigstens folgten ihr die Kinder auf Schritt und Tritt.

Die Gebäude der Ansiedlung sahen sehr altersschwach aus und waren einer durchgreifenden Reparatur bedürftig; es gab Hände genug, diese Arbeit vorzunehmen, aber Niemand schien es nothwendig zu finden, obgleich der nächste Sturm Dach und Wänden offenbar gefährlich werden mußte. Für die vorhandenen Boote war schon besser gesorgt, indem für dieselben eine Art Hafen hergestellt war.

Nicht weit von demselben reckten sich einige italienische Pappeln einsam und steif in der Nähe eines dichten Myrthengebüsches, schöne Kirsch- und Pfirsichbäume wuchsen allenthalben. Aus den Früchten der ersteren wußten die Ansiedler einen recht schmackhaften Wein zu bereiten. Nur wenig Land war urbar gemacht; Kartoffeln, Kraut, Rüben, Mais, Melonen wuchsen in großer Ueppigkeit auf demselben. Der Besuch eines Blumengartens zeigte, daß auch diese Menschen das Bedürfniß hatten, ihre Umgebung und ihr Leben zu verschönern.

Die Felder waren sorgsam eingefenzt, wahrscheinlich um sie gegen die Uebergriffe einiger grunzenden Vierfüßler zu schützen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_802.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)