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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Von den Leuten, welche in der Umgegend von Peshtigo im Walde wohnten, haben sich nur wenige gerettet und diese allein dadurch, daß sie Löcher in die Erde gruben, und sich dann mit nassen Decken zudeckten. Nur ein Haus im Walde ist stehen geblieben, die sämmtlichen Einwohner davon sind jedoch verbrannt, da sie sich nach dem Flusse durchzuschlagen suchten, aber von den Flammen eingeholt wurden. In Peshtigo ist von zweihundert Häusern kein einziges stehen geblieben, und deutet überhaupt auch nicht das kleinste Zeichen mehr an, daß dort je eine Stadt gewesen sei. Die Hitze war so groß, daß ein Faß Nägel zu einem Klumpen Eisen zusammenschmolz. Bis gestern waren fünfhundertfünfunddreißig Leichen beerdigt, und man glaubt noch über zweihundert theils im Walde, theils im Flusse zu finden. Von einer Familie, aus acht Mitgliedern bestehend, blieb nur ein Kind von zwei Jahren übrig, – eine andere Familie von dreizehn Personen verbrannte ganz und gar. Ein Deutscher, welcher schwer verwundet nach Green-Bay gebracht wurde, erzählte mir, daß er seine Frau, fünf Kinder und seine alte Mutter in den Flammen verloren habe, und sein sehnlichster Wunsch war, daß der Tod auch ihn als Opfer gefordert haben möchte. Ein Mann, dessen Frau krank war und sich nicht selbst retten konnte, nahm selbige auf seinen Rücken und eilte dem Flusse zu. Auf dem Wege wurde er von der Menschenmenge umgestoßen, raffte sich jedoch gleich wieder auf, hob seine vermeintliche Frau wieder auf seinen Rücken und entging glücklich den Flammen. Wie groß aber war am andern Morgen sein Schrecken, als er sah, daß er eine andere Frau gerettet habe, während die seinige im Feuer umgekommen war! Viele Menschen verloren ihr Leben noch dadurch, daß das vom Feuer wild gewordene Vieh sich ebenfalls ins Wasser stürzte und sie in diesem erdrückte.

Die Schreckensscene nach der Nacht, welcher Peshtigo zum Opfer gefallen war, ist kaum zu beschreiben. Der Erdboden war mit verkohlten Leichnamen bestreut. Das Skelet eines Knaben wurde gefunden, einen Griffel, Messer und ein Stück Gummi in der Hand haltend. Einige Skelete wurden auf der Erde knieend und mit gefalteten Händen gefunden. Der Verlust an Eigenthum übersteigt eine Million, wovon eine Firma allein eine halbe Million verlor. Unter andern verbrannte einer einzigen Firma ein Stall mit fünfzig Pferden.

Der Ort Menekaunee wurde ebenfalls gänzlich durch Feuer zerstört und hinterließ über hundert Menschen obdachlos. Glücklicherweise wurde hier kein Menschenleben verloren.

So groß auch das Unglück, so groß war auch die Unterstützung der Obdachlosen und das eifrige Bestreben Aller, die Leiden der Verwundeten zu lindern. Sobald wir in Green-Bay von den entsetzlichen Verheerungen hörten, die das Feuer angerichtet hatte, wurde vom Mayor der Stadt eine Versammlung berufen und Comités ernannt, um Gelder, Lebensmittel und Kleidungsstücke für die Leidenden zu sammeln. In einem Nachmittage wurden in Green-Bay allein zehntausend Dollars und Massen Lebensmittel und Kleidungsstücke beigesteuert und in einer Woche kamen vom Staate Wisconsin ungefähr fünfzigtausend Dollars zusammen. Außerdem trafen hier Hunderte von Eisenbahnwagen ein, beladen mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken. An einem Tage gingen von hier drei große Schiffsladungen direct nach den Unglücksstätten, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Der Gouverneur von Wisconsin telegraphirte, auf ihn selbst für zweitausend Dollars und auf den Staat Wisconsin für zwanzigtausend zu ziehen. Er reiste alsdann sofort nach den Unglücksstätten, um sich selbst von der Wirklichkeit zu überzeugen, und erließ schließlich einen Aufruf an alle Einwohner Wisconsins, nach besten Kräften zu unterstützen. Die Unterstützung war auch von allen Seiten so großartig, daß anzunehmen ist, daß nicht allein für die jetzige Zeit, sondern auch für den ganzen Winter für die vom Feuer Heimgesuchten gesorgt ist. Ganze Ladungen Oefen, Aexte, Nägel, Glas etc. kommen hier an, damit die Abgebrannten sofort wieder ihre Häuser aufbauen können. Das Holz dafür ist von einigen Mühlenbesitzern „frei“ angeboten.

Auch die zahlreichen Verwundeten finden die beste Wartung und Pflege. Am Tage nach dem Feuer fanden sich hier ungefähr zwanzig Doctoren aus umliegenden Plätzen ein, um sich nach den Unglücksorten zu begeben und die Verwundeten zu verbinden. Der deutsche Green-Bay-Turnverein überließ den Verwundeten seine geräumige Halle als Hospital. Es sind bis jetzt über hundert Verwundete dort untergebracht, und die Einwohner von Green-Bay ermüden nicht, die Leiden derselben nach Kräften zu lindern. Die Verwundungen sind sehr mannigfaltig, aber fast alle entsetzlich. Den Einen sind die Füße verbrannt, Anderen die Hände, Anderen das Gesicht und Einige am ganzen Körper. Heute wurde Jemand gebracht, welchem Hände und Füße zugleich verbrannt waren und der fünf Tage ohne Lebensmittel im Walde herumgekrochen war, bis es ihm endlich gelang ein Haus zu erreichen. Sein Aufkommen wird sehr bezweifelt.

Dieser Waldbrand nebst seinen schrecklichen Verheerungen steht gewiß einzig in der Weltgeschichte da und ich will nicht hoffen, daß mir oder irgend Jemandem wieder eine Gelegenheit gegeben wird, etwas Aehnliches zu berichten.

     Green-Bay, am 13. October 1871.




Aus dem Reiche der Lüfte.


Noch immer steigt die Fluth der Kriegsliteratur. Fast jede Woche bringt uns neue Beiträge zur Groß- und Kleingeschichte unseres letzten Feld- und Siegeszuges, aber die Spenden fließen jetzt weniger aus deutschen, als aus französischen Federn. Wie gemüthlich man in den meisten dieser wälschen Stilübungen mit uns Deutschen umspringt, läßt sich begreifen. Lassen wir indeß diese Liebenswürdigkeiten heute bei Seite – und befassen uns dafür lieber mit einer Schrift, die zwar auch in die Kategorie jener Kriegsliteratur fällt, aber ausgesprochener Maßen „die Politik nicht als ihr Geschäft betrachtet“, sondern einfach die „Erinnerungen eines Luftschiffers während der Belagerung von Paris“ veröffentlichen will.

Der Verfasser unseres Buchs ist eine Autorität auf dem Gebiete der Aëronautik, Gaston Tissandier. Professor der Chemie an der „Association polytechnique“ und Vorstand des Laboratoriums der „Union Nationale“ in Paris, hat er nicht nur der Theorie der Luftschifffahrt seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit zugewandt, sondern auch, in Gemeinschaft mit anderen Aëronauten, eine Reihe von Ballonreisen unternommen, die seinen Namen in weiten Kreisen bekannt machten. Als daher trotz aller militärischen Versicherungen vom Gegentheil Paris sich als in optima forma blokirt betrachten mußte; als Graf Moltke das unerhörte Problem gelöst, eine Stadt von zwei Millionen Menschen einzuschließen – da tauchten plötzlich die so lange vergessenen Luftschiffe, die merkwürdige Erfindung Montgolfier’s, wieder auf. Sie sollten mitarbeiten an der Vertheidigung des Vaterlandes, indem sie diesem durch die Lüfte die Seele seiner Hauptstadt zutrugen … denn Paris konnte sich unmöglich lebendig begraben lassen. Ohne die Ballons wäre ja kein Brief über die Enceinte der Forts hinaus- und nicht eine einzige Depesche über dieselbe hineingedrungen! Rasch würde die geknebelte Stadt um Gnade gebeten haben.

So ward die wunderbare Luftpost organisirt, die, einschließlich der gefiederten Briefboten, der Tauben, in der That weit mehr geleistet hat, als man anfangs für wahr zu halten geneigt war. Vom 23. September an, wo Duruof vom Montmartre aus mit hundertfünfundzwanzig Kilogrammes Depeschen sich in die Lüfte erhob, um nach elfstündiger Fahrt bei Evreux unversehrt wieder auf die Erde hinabzugelangen, bis zum 28. Januar 1871, wo General Cambronne vom Pariser Ostbahnhof aus aufstieg, um der Provinz die Nachricht vom Abschluß des Waffenstillstandes zu bringen, haben im Ganzen nicht weniger als vierundsechszig Luftfahrten stattgefunden. Diese vierundsechszig Ballons haben außer den Aëronauten selbst einundneunzig Passagiere, dreihundertunddreiundsechszig Brieftauben und neuntausend Kilogramme Depeschen befördert, welche letztere ungefähr drei Millionen gewöhnlicher Briefe im Gewichte von drei Grammes das Stück repräsentiren. Fünf Ballons sind den deutschen Truppen in die Hände gefallen und zwei andere im Meere zu Grunde gegangen; alle übrigen haben mehr oder weniger ihren Zweck erfüllt. Mithin darf man den Franzosen wohl das Recht zugestehen, sich dieses Zweiges

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_785.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)