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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Stöhnen verhauchend droben an der Decke hin. Langsam blähten sich die losen Gardinen auf und rieselten wie weitgebauschte Frauenkleider über die Dielen, hie und da einen bleichen Lichtflecken hindurchlassend, der unruhig die violetten Bettvorhänge betupfte und gespenstig durch die grauen Schatten der tiefen Ecken fuhr – gespenstig wie die arme Seele, die zwischen Himmel und Erde wandeln muß. …

(Fortsetzung folgt.)




Der Waldbrand in Wisconsin.
Von G. Küstermann in Green-Bay.

Erlauben Sie mir, Ihnen nachfolgend einen Bericht von dem größten Waldbrande Nordamerikas zu geben, der je hier gewüthet hat. Um den Bericht gründlich zu verstehen, ist es nothwendig, daß sich die Leser der „Gartenlaube“ mit der Lage der Wälder, Flüsse und Städte in Nord-Wisconsin etwas vertraut machen. Ganz Nord-Wisconsin war vor Zeiten ein dichter Urwald, durchkreuzt vom Foxriver und weiter hinauf von der Green-Bay (grünen Bai). Die ersten Ansiedler hier, meistens Deutsche und Belgier, bahnten sich Wege durch die Wälder und ließen sich dann mitten im Walde an irgend einem Platze nieder, der sich für den Ackerbau am besten eignete. Alsdann bauten sie sich Hütten aus Holzstämmen und machten einige Acker Land um sich brauchbar zum Ackerbau, was entweder durch Fällen der Bäume oder durch Abbrennen derselben geschieht. Im letzteren Falle muß sehr vorsichtig zu Werke gegangen werden; denn wenn ein solcher Waldbrand um sich greift, ist kein Mensch im Stande, ihm Einhalt zu thun, und nur ein frühzeitiger Regen vermag dem Abbrennen des ganzen Waldes nebst allen darin befindlichen Häusern vorzubeugen.

Im Laufe der Jahre haben sich nun auch in Nord-Wisconsin an Stelle des ausgerotteten Urwaldes Städte gebildet und zwar sind die hauptsächlichsten entweder am Foxflusse oder an der Green-Bay gelegen, einestheils des Handels und der Schifffahrt wegen und anderntheils um im Falle eines Waldbrandes vom Feuer nicht eingeschlossen zu werden.

Die Einwohner von Nord-Wisconsin leben fast sämmtlich direct oder indirect vom Ackerbau, oder von der Zubereitung des Holzes. In der Umgegend von Green-Bay befinden sich ungefähr fünfzig Sägemühlen, welche die Bäume zu Brettern und Schindeln schneiden. Die letzteren sind kleine Brettchen, welche zum Dachdecken gebraucht werden. Da wenigstens die Hälfte aller Häuser in den Vereinigten Staaten von Holz gebaut ist, so kann man sich den Verbrauch in Brettern und Schindeln nicht großartig genug denken, und selbige werden in Schiffsladungen von hier nach Chicago, St. Louis und andern östlichen Plätzen versandt. Da meistens gute Preise dafür erzielt werden, so läßt sich begreifen, daß alle Holzdistricte ziemlich wohlhabend sind. Die Arbeiter in den Mühlen bekommen durchschnittlich ein sehr gutes Gehalt (von zwei bis vier Dollars pro Tag) und die meisten haben sich in einiger Entfernung von den betreffenden Mühlen ein kleines Häuschen gebaut, worin sie im Kreise ihrer Familie glücklich und zufrieden leben.

Der diesjährige Sommer war ein außergewöhnlich heißer und trockener, und fast schien es, als ob der Regen seine Thätigkeit für immer eingestellt habe, denn in drei Monaten wurde nur ein einziges Mal der sehnlichste Wunsch Aller nach Regen befriedigt. Die ältesten Einwohner Wisconsins können sich nicht einer solchen Trockenheit erinnern, welche so groß war, daß Sümpfe, die gewöhnlich ungefähr zwei Fuß Wasser halten, ganz austrockneten. Da wir hier gewöhnlich im Herbst viel Regen haben, so wählen die Landleute meistens diese Jahreszeit, die Bäume und Büsche von ihren Ländereien abzubrennen, um dann im nächsten Frühjahr darauf zu säen. Auch dieses Jahr wurden von mehreren Landleuten Feuer zu diesem Zwecke angelegt, in der Hoffnung, daß ein baldiger Regen selbige löschen würde. Anstatt Regen kam jedoch ein starker Wind, welcher das Feuer mit Riesenschnelle weiter trug, so daß innerhalb einer Woche eine Strecke von tausendfünfhundert englischen Quadratmeilen in Flammen stand. Green-Bay war ungefähr der Mittelpunkt des ganzen Feuers und aus diesem Grunde kamen alle Berichte hier zusammen. Da ich an der hiesigen englischen Zeitung, dem „Green-Bay-Advocate“ angestellt bin und es dies- wie jenseits des Oceans eine alte Gewohnheit ist, einer Zeitung alle Glücks- oder Unglücksfälle zuerst zu berichten, so hatte ich die beste Gelegenheit, alle Einzelnheiten in Betreff des Feuers zu erfahren. Das Feuer fing ungefähr am 15. September an und ist heute, am 13. October, noch im vollsten Gange. Es wurde von keinem Tropfen Regen unterbrochen bis augenblicklich, wo ein leichter Regen fällt.

Unser erster Berichterstatter war ein dichter Dampf, der die ganze Umgegend einhüllte, und welcher so dicht war, daß man kaum zehn Schritt vor sich sehen konnte. Sonne, Mond und Sterne waren nur dann und wann sichtbar, wenn ein starker Wind die Dampfwolken auf kurze Zeit verjagte. Obgleich es hier im September und October gewöhnlich schon ziemlich kalt ist, hatten wir dieses Jahr eine fortwährende Wärme von ungefähr neunzig Grad Fahrenheit (25° R.).

Gleich in den ersten Tagen des Feuers bekamen wir Berichte von allen Seiten, daß einzelne Häuser, Scheunen mit Heu und Korn, Umzäunungen, Eisenbahnschwellen und Thiere verbrannt seien. In allen Ortschaften, welche im Walde lagen, wurden die Einwohner durch Feueralarm aufgeschreckt und Jung und Alt, Männer und Frauen eilten an diejenigen Plätze, wo das Feuer am meisten drohte. Alsdann wurden große Gräben gezogen, volle Wasserfässer um den ganzen Ort gestellt, und überhaupt jede Anstalt getroffen, die den Lauf des wüthenden Elementes hemmen konnte. Bald darauf erfuhren wir, daß trotz der größten Vorsichtsmaßregeln doch schon einige Sägemühlen abgebrannt seien. Die Aufregung über diese Verluste war groß, aber die Nachrichten sollten noch schlimmer kommen.

Ein kleiner Ort, auf der Ostseite der Bai gelegen, brannte ganz und gar ab und ungefähr zwanzig Familien flüchteten sich bis zum Ufer der Bai, wo sie einen Tag unter freiem Himmel und ohne Nahrung zubrachten und dann von einem vorbeifahrenden Dampfboote aufgenommen wurden. In den nächsten Tagen wurden die Berichte von den durch das Feuer heimgesuchten Plätzen immer häufiger. Fast alle Brücken, über zweihundert Wohnhäuser, Scheunen mit großen Massen Weizen, einige Mühlen und Tausende von Klaftern Holz waren verbrannt. Hunderte von Familien wurden von ihren brennenden Häusern verjagt, worin sie noch vor einigen Tagen sorgenfrei gelebt hatten. Die meisten retteten weiter nichts, als das Zeug, was sie trugen, und so sah man sie in den Straßen umherziehen, vor den Thüren Anderer ihr Brod bettelnd. Alle Vorsichtsmaßregeln waren vergebens gewesen, denn nichts konnte die Flammen zurückhalten, ihre Opfer zu verschlingen. Sogar Bäche und Flüsse wurden von dem Feuer übersprungen und keine Menschenhand war mehr im Stande, demselben Einhalt zu thun. Viele Leute, die mitten im Walde wohnten, verließen ihre Häuser, ehe das Feuer sie noch erreicht hatte, und suchten sich Plätze, wo sie wenigstens ihres Lebens sicher waren, ihr Eigenthum den Flammen überlassend. Die Posten hörten nach und nach auf zu kommen, da die Wege mit brennenden Baumstämmen bestreut waren; ebenso hörte die Telegraphenverbindung gänzlich auf, da die Stangen abbrannten und die Drähte von der Hitze zersprangen.

Bis jetzt hatten wir noch von keinem Verluste von Menschenleben erfahren, aber auch dieser blieb nicht aus. Die Aufregung in Green-Bay vergrößerte sich bei diesen Botschaften mehr und mehr, alle Geschäfte ruhten und auf den Straßen sah man einzelne Haufen Menschen stehen, aus Neugierde sowohl, wie auch, um sich über Vorsichtsmaßregeln gegen die annahenden Flammen zu besprechen. Jede Nacht war der Horizont erhellt von dem Feuer um uns her, und am Tage erfüllte ein dichter Dampf die Stadt und Umgegend.

Am Sonntag den 8. October erhob sich gegen Abend ein sehr starker Wind, welcher bis Mitternacht zu einem wahren Orcan ausartete. Die Gefahr für Green-Bay war groß, und schon kamen Leute von naheliegenden Ortschaften, um von hier mehr Hülfe gegen die schnell um sich greifenden Flammen zu holen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_783.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)