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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Die Kranz-Reliefs am Sockel der Germania in Berlin.


Der künstlerische Glanz, welchen die Straßen der kaiserlichen Hauptstadt den heimkehrenden Siegern am Einzugstage entgegenstrahlten, hat seine ephemere Bestimmung nicht lange überdauert. Manches Vortreffliche hat an anderer Stelle ein Asyl gefunden, der Rest ist unbeklagt der Vernichtung überantwortet worden. Nur ein einziges Werk, obgleich nicht von festerem Stoffe als die

übrigen, trotzt bis zur heutigen Stunde den darauf einstürmenden Wettern. Vor dem Schlosse, nach der Seite des Lustgartens hin, thront Germania noch immer auf mächtigem Rund, wie Saturn in seinem Ringe, in einen eisernen Kreis von Beschauern gebannt, welche Verwahrung dagegen einlegen, daß endlich dem Staube zurückgegeben werde, was vom Staube ist. Das Verdienst der verschiedenen Künstlerhände, welche an der Vollendung des Ganzen

Theil haben, soll nicht geschmälert werden, aber von keiner Seite hat die Behauptung auf Widerspruch zu rechnen, daß die magnetische Kraft, die ihre Anziehung auf alle Schichten des Volkes, auf Jung und Alt, auf Hoch und Niedrig, auf Intelligenz und Einfalt stets von Neuem, stets gleichmäßig ausübt, einzig und allein den herrlichen Reliefs entströmt, mit welchen Rudolf Siemering den Sockel geschmückt hat.

Der Künstler ist weder so jung, noch durch seine Leistungen so wenig erprobt, daß der eminente Erfolg, den er der Schöpfung eines ebenso riesen- als meisterhaften Werkes verdankt, für Diejenigen etwas Unbegreifliches hätte, welche den Kunstzuständen Berlins gegenüber ihren Blick ungetrübt von Vorurtheil bewahrt haben. Auch die Leser der Gartenlaube begegnen seinem Namen nicht zum ersten Male. Siemering begann seine künstlerische Bahn mit einem glänzenden Anlauf. Dem unbekannten Anfänger war es vergönnt, aus der für das Schillerdenkmal in Berlin ausgeschriebenen Concurrenz neben Reinhold Begas als Sieger hervorzugehen. Die Entwürfe, welche die Gartenlaube im Jahrgange 1863 ihren Lesern vorführte, waren das Resultat des engeren Wettkampfes, in welchem die beiden Tageshelden ihre Kraft gemessen hatten. Siemering mußte seinem glänzenderen Gegner weichen; doch wenn sich der halbe Erfolg auch nicht stark genug erwies, ihm das Interesse des großen Publicums an seinen späteren Arbeiten zu erhalten, so blieb ihm dafür die warme Theilnahme eines engern, selbstständig urtheilenden Kreises, und noch heute ist die Anzahl Derer nicht gering, welche es innig bedauern, daß sich seinem Schiller die Pforten des Ateliers nicht geöffnet haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_772.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)