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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


einen einzigen Pfeiler getragener Gewölbebau, jetzt als Holzstall benutzt wird und dem Verfall preisgegeben zu sein scheint. Es dürfte doch wohl nöthig sein, den sonst doch so conservativen Kunstkenner Herr von Quast einmal hierherzuschicken, um durch ihn ein Machtwort sprechen zu lassen. Besser erhalten ist derjenige Theil der ehemaligen Klosterkirche, in welchem jetzt die sechszehn Kelterpressen aufbewahrt werden und in welchen unsere Gesellschaft nunmehr eintrat, um eine jener am Rheine so beliebten und jeder Versteigerung nothwendig vorausgehenden Proben vorzunehmen.

Unter einer solchen Probe muß man sich nicht etwa ein lustiges Fest mit vollen schäumenden Humpen, Liedern und Kränzen u. dgl. vorstellen, sondern ein höchst wichtiges ernstes Geschäft, zu dessen richtiger Erledigung ganz intime Vorkenntnisse gehören. Da stehen auf langen Tischen primitivster Constuction eine Reihe von gefüllten Achtelgläsern, ein jedes auf seiner deutlich mit Kreide oder Schwärze geschriebenen Nummer, deren letzte diesmal Vierundachtzig war. Die Weine sind genau nach der Güte rangirt und man begeht ein ungeheures Verbrechen, wenn man das Glas nach erfolgter Probe nicht wieder auf die richtige Nummer stellt. Man beginnt die Probe mit der geringsten, oder hier besser gesagt, wenigst guten Sorte, denn das Prädicat „gut“ beanspruchen sie alle mit Recht. Da standen sie nun vor uns, die edeln Neroberger, Steinberger, Gräfenberger, Hattenheimer und Markobrunner aus den Jahrgängen 1868, 1869 und 1870, um vor den Zungen der Weisen eine scharfe Prüfung zu bestehen. Da standen am Tische die Examinatoren schmeckend, kopfschüttelnd, die Augen gen Himmel aufschlagend und – spuckend, denn getrunken wird bei dieser Gelegenheit in der Regel fast Nichts, sondern die Kostproben werden nach erfolgter Einwirkung auf die Zunge sofort den Göttern als Libation zurückgegeben, eine Eigenthümlichkeit, welche uns genußsüchtige Nordländer anfangs zwar sehr befremdete, welche wir aber doch bis zu Nr. 70 getreulich mitmachten, oft in Versuchung, das herrliche Naß hinuntergleiten zu lassen. Indessen nahe liegende Bedenken hatten uns bis zu dieser Nummer einen hohen Grad von Selbstbeherrschung zur Pflicht gemacht, hinter der Nr. 70 kamen einzelne, selbst starke Charaktere in’s Schwanken, hinter Nr. 73 bemerkte man schon einige Schwache, bei denen die teuflische Neigung der Pflicht der Selbsterhaltung vollständig besiegt hatte, und hinter der Nr 77 gab es nur noch wenige Scheinheilige, die es nicht laut als eine unverzeihliche Sünde erklärten, einen solchen Göttertrank ungenossen zu lassen, ja, wir sind fest überzeugt, daß selbst diese wenigen Heuchler die Feuertropfen heimlich hinter die Binde gleiten ließen. Unter Ausrufen des Entzückens gelangten wir zu den Nummern 81, 82 und 83, an die Stelle des geschäftsmäßigen Schweigens war längst die lauteste Mittheilsamkeit getreten, und selbst Mirza Schaffy hätte hier noch etwas lernen können, so floß Lob und Preis des schönen Weines von den weintriefenden Lippen.

Als sich nun aber noch einmal die Pforten öffneten und der Küfer mit verklärtem Gesichte hereintrat, um uns die Nr. 84 zu kredenzen, da erhöhte sich selbst diese muntere Scene noch einmal und die Lustigkeit steigerte sich bis zum frohen Gesang und Vivatruf. Der Küfer, welcher von den übrigen Sorten immer gleich mehrere zugleich herbeigebracht hatte, trug diese Sorte ganz allein, aber mit einer gewissen Feierlichkeit und mit der stolzen Miene eines Siegers, als wolle er alle Welt zum Kampfe herausfordern und den Beifall der strengen Weinmeister mit Gewalt an sich reißen. Und dieser wurde ihm reichlich zu Theil, denn die Nr. 84, ein 1868er Steinberger, übertraf seine sämmtlichen Brüder so weit, wie Nr. 83 etwa die Nr. 63, und darum erhob sich denn auch beim Kosten ein allgemeiner Jubel, welcher sich zuletzt in den Klängen des alten Weinliedes auflöste:

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben,
Gesegnet sei der Rhein,
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein!

Noch niemals, auch als junge lebensfrische Studenten nicht, haben wir diese Worte des alten Wandsbeckers mit so heller Begeisterung und mit solcher Berechtigung gesungen, als hier im Kellerhause von Eberbach.

Die Probe war vorüber, unsere kaufmännischen Begleiter machten ihre Notizen, um danach ihre Maßregeln für die demnächst stattfindende Versteigerung zu treffen, und später erfuhren wir denn auch noch als willkommenen Nachtrag, daß bei der Versteigerung selbst, der wir leider nicht beiwohnen konnten, der beste Steinberger mit zweitausendzweihundert Thalern für zweihundertfünfundneunzig Maß von Valkenberg in Worms, die zweitbeste Sorte aber für zweihundertneunundneunzig Maß zu eintausenddreihunderteinundzwanzig Thalern von dem berühmten Haus Mumm in Frankfurt a. M. erstanden worden sei.

Uebrigens war es uns später dennoch gestattet, auch eine Versteigerung mitanzusehen und zwar eine, die zu den berühmtesten innerhalb der Grenzen des Rheingaus zählt und von Sachverständigen aus weiter Ferne besucht ist. Dieselbe ward in dem geräumigen Kelterhaus des ehemals kurmainzischen, dann nassauischen und nun preußischen Amtsgebäudes zu Rüdesheim abgehalten, und es kamen dabei die Erträge der fiscalischen Weinberge in und bei Rüdesheim zum Auswurf, nämlich die weißen Gewächse: Flecht, Aßmannshäuser Traminer, Schloßberg Orleans und Rießling, Hinterhaus, Burgweg, Kiesel Aßmannshäuser Rothweiß (sogenannter Claret, welcher vielfach zu dem Rosachampagner verwendet wird) und Rottland aus den Jahrgängen 1868, 1869 und 1870 und die Aßmannshäuser Rothweine von 1869 und 1870. Diese Versteigerung, welcher wir, wie gesagt beizuwohnen Gelegenheit fanden, ward, wie alljährlich, auch diesmal geleitet durch den als Weinkenner weit und breit berühmten Weinbau-Inspector Victor aus Wiesbaden.

Wir treten in den geräumigen Saal, in welchem wir an drei langen, parallel nebeneinander hinlaufenden Tischen etwa hundertundfünfzig bis zweihundert Männer versammelt finden, während im Hintergrunde des Saales das Versteigerungs-Bureau constituirt und der unter der Aufsicht des Oberküfers stehende Probentisch etablirt ist. Auf jedem der langen Tische stehen in kurzen Zwischenräumen große leere Flaschen mit Trichtern und Flaschen mit klarem Wasser, vor jedem Auctionsgast aber ein Weinglas. Wir betrachten das kauflustige Publicum und finden Männer aus allen möglichen Lebensstellungen und Lebensaltern mit jener Farbenfrische der Wangen und sichtbaren Dauerhaftigkeit der Gesundheit, welche die Begleiter des verständigen und mäßigen Lebensgenusses, die Folgen des Umganges mit dem reinen Rebensafte sind, und mit jenem Ernst im Gesichtsausdruck, welcher dem Abschluß eines schwierigen und wichtigen Geschäfts angemessen ist. Da finden wir die Eigner oder die Agenten der großen und berühmten Weingeschäfte, zum Beispiel den Agenten des Bremer Rathskellers und die Beauftragten rheinischer Privatgesellschaften, welche, wie etwa das Casino in Coblenz, es sich zur heiligsten Pflicht gemacht haben, ihren Mitgliedern nur reinen Wein einzuschenken; aber vor allen Dingen finden wir da die eigentlichen Kenner des Rheinweins, die Privatbesitzer von Weinbergen, die Producenten, deren Wiege im Rheingau gestanden hat und die in einem langen Leben manchen Schluck musternd auf die Zunge nahmen. Da sitzt uns gegenüber eine alte ehrwürdige Greisengestalt mit glatt rasirtem, stark gefurchtem Gesicht, die langen weißen Locken hinter das Ohr gestrichen und den schwarzen runden Filzhut auf das ehrwürdige Haupt gestülpt, etwas rücküber, so daß eine breite denkende Stirn sichtbar wird, unter welcher ein Paar alte, aber blitzende Augen hervorleuchten. Ein herrliches Greisenbild mit dem Blick der frischen Jugend! Und wer ist dieser eigenthümliche Mann, der eher nach einem Geistlichen oder Schulmeister, als nach einem Weinkenner aussieht? Haben wir ihn nicht schon oft im Leben gesehen, ohne doch im Augenblick zu wissen, in welchem Fache des Gedächtnisses wir ihn finden sollten? Aber da hilft uns unser freundlicher Nachbar aus Mainz, an den wir unsere Frage richteten. „Gewiß,“ lautete die Antwort, „kennen Sie den Alten, er ist ja eine Hauptfigur aus Hasenclever’s berühmter und überall gekannter ‚Weinprobe‘, er ist der alte, nun fast neunzigjährige Weinbauer G. hier aus Rüdesheim, ein Freund des Malers, der ihn auf seinem Bilde offenbar mit besonderer Vorliebe als die ansprechendste Figur von allen gemalt hat, und eine allbekannte Wein-Autorität.“

Die Versteigerungsverhandlung begann mit der Vorlesung der Bedingungen, aus denen wir lediglich hervorheben, daß als geringstes Weitergebot nur drei Thaler zugelassen werden, ein Gebot, welches übrigens selten genug vorzukommen scheint. Nach dieser Vorlesung, der Niemand zuhörte, da jeder Anwesende die Bedingungen und eine Liste der zur Versteigerung kommenden Sorten gedruckt vor sich liegen hatte, setzten sich die blaubekittelten Küferjungen in Bewegung, um sämmtliche Gläser mit einigen Tropfen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_752.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)