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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


den untenstehenden Küchlein herab und hielten ihnen das Nahrungsbröckchen vor, bis das Junge sich entschloß, es vom Schnabel abzupicken.

Anfänglich trugen beide Eltern die Atzung bis in das Nest; schon mit dem achten Tage ihres Lebens aber verließen die Jungen unter Führung der Eltern ihre Sitzstelle und trippelten bis zum Futternapfe, später auch wohl weiter und weiter, bis sie endlich den Boden des ganzen Käfigs durchmaßen und über Stock und Stein wegstolperten. In der Regel führte auch jetzt noch die Mutter beide Sprossen; später aber geschah es nicht selten, daß diese sich trennten und eines hinter dem Männchen, das andere hinter dem Weibchen herlief. Und es war ein wahrhaft erbaulicher Anblick zu sehen, wie beide Eltern mit einander zu wetteifern schienen, dem ihnen eben folgenden Küchlein ihre Liebe und Sorgfalt zu beweisen. Je größer unsere Hühnchen wurden, um so selbstständiger zeigten sie sich; doch währte es sehr lange Zeit, bevor sie sich entschlossen, von dem vorgesetzten Futter ohne Mithülfe der Alten etwas aufzunehmen: sie waren schon mehr als halbwüchsig, und noch immer mußte ihnen Bröckchen für Bröckchen gereicht werden. Doch bemühten sich die Alten ersichtlich, sie weiter und weiter zu bringen, mehr und mehr zu unterrichten.

Die Futterstoffe des Gemenges wurden auch jetzt noch mit dem Schnabel dargeboten, größere Stoffe aber, welche wir anfänglich eigentlich zur Nahrung der Alten gereicht hatten, nicht mehr zerstückelt, sondern nur mit einer Klaue gepackt und so vorgehalten. Besonders hübsch sah es aus, wenn eines der Eltern einen kleinen Fisch den Jungen darreichte. Durch ein paar kräftige Hiebe des starken Schnabels wurde der Fisch zunächst an einer Seite entschuppt, hierauf durch einige Bisse gewissermaßen vorgeschnitten, die so mundrecht gemachte Stelle sodann aber dem Jungen vorgehalten, bis dieses sich entschloß, ein und andere Bröckchen loszupicken. Viele Minuten lang konnte man bei dieser Gelegenheit die Alte auf einem ihrer Füße stehen und mit dem anderen die Nahrung vorhalten sehen, bis endlich beide Küchlein gesättigt sich abwandten und damit die sorgsamen Eltern bewogen, ihnen zu folgen.

So wuchsen die Vögel zu Aller Freude gedeihlich auf und gaben uns vollste Gelegenheit, ihr kindliches Treiben sowohl, wie ihre eigenthümliche Umfärbung zu beobachten. Im Dunenkleide sahen sie bis auf den lebhaft rostrothen Flügelrand und einige zimmetrothe Stellen am Kopfrande kohlschwarz aus, der Schnabel und der Ansatz zur Stirnplatte waren hellblau, die plumpen Beine schwarzblau. Später, noch lange vor erreichtem Wachsthum, verschwand das Rostroth ganz allmählich, und auch das Schwarz wurde auf der Unterseite durch deutlich hervortretende, weißgraue Längsstreifen unterbrochen, während es auf der Oberseite der Vögelchen noch vorherrschend blieb; gleichzeitig begannen die Füße sich röthlich zu färben. Anfangs August hatten sich Rücken und Flügel schon ziemlich dicht befiedert und zwar ganz wie bei den Eltern, nur daß die Färbung der Federn etwas trüber war; auf der Unterseite dagegen verschwanden die erwähnten Streifen ganz allmählich und gingen in einen braunlich fahlgrauen Farbenton über, welcher nach und nach sich in Blau oder Graublau verwandelte, ohne daß dabei eine Feder vermausert worden wäre. Je weiter diese Färbung vorschritt, um so deutlicher wurde das Blau, so daß man alle Uebergänge durch Fahlgrau, Schmutzig- oder Graulich-Violet bis zum Grau-Blau beobachten konnte. Die Umfärbung des Schnabels und der Füße ging ebenso allmählich vor sich, und erst Mitte October hatten diese Theile eine Röthe erlangt, welche der bei allen Vögeln vorhandenen fast gleich kam. Im December endlich trat die Mauser ein, durch welche die Jungen ein ihren Eltern vollständig gleiches Kleid erhielten, und damit endete auch das innige Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern.




Meine Begegnungen mit Meister Heinz.
Von Feodor Wehl.


So ist nun auch Marr in Hamburg dahingegangen, ein glänzender Schauspieler, ein berühmter Regisseur, einer der tüchtigsten Vertreter der alten, heute nun fast ausgestorbenen Schule, mit einem Worte: ein echter Meister in seiner Kunst. Ich lernte Meister Heinz, wie Marr im Kreise seiner näheren Freunde genannt wurde, zuerst in Berlin Anfang der vierziger Jahre flüchtig kennen. Es wurde damals Laube’s Lustspiel „Rococo“ neu in Scene gesetzt und dazu war zugleich mit dem Verfasser auch Marr, der Schöpfer des alten Marquis von Brissar, von Leipzig mit herübergekommen.

Wie der berühmte Schauspieler damals ausgesehen, weiß ich mich nicht mehr zu erinnern; ich war zu jener Zeit noch sehr jung und von dem Ereigniß der bevorstehenden Darstellung vollkommen in Anspruch genommen. Ich gehörte zu den Anhängern und Parteigängern des jungen Deutschland, zu Laube’s näheren Freunden und den ständigen Mitarbeitern seiner Wochenschrift „Zeitung für die elegante Welt“. Selbstverständlich, daß mir aus diesen Ursachen die Darstellung eines Stückes von Laube von höchster Wichtigkeit war. Ich hatte den Vermittler zwischen Laube und dem damaligen Berliner Intendanten, Herrn von Küstner, abgegeben, war der Ueberbringer aller Winke und Rathschläge des Ersteren an die Schauspieler gewesen und ließ es mir zuletzt natürlich auch[1] nicht nehmen, durch die Presse die Aufmerksamkeit des Publicums auf die Arbeit meines literarischen Herrn und Meisters hinzulenken.

Alles dies hatte mich in große Erregung versetzt: zu jener Epoche gab es in Berlin eben noch sehr wenig politisches Interesse, und die öffentliche Meinung gipfelte in der lebhaftesten Theilnahme für Literatur und Theater. Eine Recension Gutzkow’s im „Telegraphen“ über ein neues Buch, eine Kritik Kühne’s in der „Europa“ über das Spiel eines bekannten Darstellers setzten noch die ganze gebildete Welt in Bewegung. An den Tagen, an denen die neuen Nummern jener Zeitschriften in Berlin einzutreffen pflegten, waren die Conditoreien bei Stehely und Spargnapani den ganzen Tag über gefüllt und die Blätter flogen aus einer Hand in die andere. Was Wunder, daß der Gedanke an das Ge- oder das Mißfallen des fünfactigen Lustspiels „Rococo“ meine ganze Seele erfüllte, noch obenein, da nun Laube selbst erschienen war, der Aufführung in Person beizuwohnen. Mit einer nicht zu schildernden Spannung saß ich neben Laube im Parquet.

Der erste Act des Lustspiels fand Anklang, namentlich erhielt der Komiker Gern in der Rolle des Dieners Tulpe am Schluß desselben lebhaftesten Beifall. Ich war erfreut von diesem Erfolg und flüsterte dem Verfasser eben meinen Glückwunsch zu, als sich plötzlich ein Kopf zwischen uns schob, der Laube kurz angebunden in die Ohren raunte: „Das Stück ist verloren; man applaudirt eine nebensächliche Episode in der Exposition und vergißt darüber auf den Schlüssel des Ganzen Acht zu geben.“

Mir stockte das Wort im Munde.

„Wer ist der Mann?“ fragte ich leise.

„Marr,“ antwortete dieser, augenscheinlich sehr verstimmt und stutzig geworden.

Ich sah dem sich wieder Entfernenden kopfschüttelnd nach, indem ich Laube über diese lächerliche Prophezeiung, wie ich meinte, zu besänftigen und zu trösten suchte. „Abgeschmackt,“ sagte ich zuversichtlich. „Das Publicum, ist in gute Laune versetzt, angeregt und lustig. Wie könnte da ein solcher Umschlag kommen?“

Aber er kam doch in der That. Im zweiten Act waren die Zuschauer zerstreut, enttäuscht vor Allem auch darüber, daß der komische Diener nicht so viel Spielraum gewann, als sie gehofft. Sie hatten den Sinn für die Hauptintrigue, die eigentliche Idee der Komödie versäumt; sie verstanden sie nicht und verloren die Theilnahme. Man wurde mehr und mehr unruhig und abgespannt; im dritten Act verließ Laube das Haus, und mit dem vierten war das Stück todt, wie Marr es vorausgesagt. Daß seine Voraussagung so vollkommen eingetroffen, hat mir einen unvergeßlichen Eindruck und den Mann selbst bedeutsam gemacht. Ich habe von da an vor Marr einen besonderen Respect gehabt und auch später alle Ursache erhalten, denselben bestätigt zu finden.

Ich lernte Marr näher in Hamburg kennen, wohin er von Weimar kam. Er hatte dort seine Stellung als Director des

  1. Vorlage: „euch“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_736.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)