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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Christian Böttcher.

der grüne Strom seine mächtige Wassermasse dahinwälzt, eine reiche Abwechselung von malerischen Ansichten in ununterbrochener Folge, freundliches lachendes Gelände, wie im Rheingau, dann schroffe Felsenschluchten und waldbekrönte Höhen, von deren Ausläufen Burgen und Burgruinen herabblicken, am Ufer alterthümliche Städtchen und Dörfer, von Obstgärten umgeben, dann das elegante Coblenz, von seinen gewaltigen Felsenvesten überragt; weiter der flache, von ferneren Höhenzügen umgebene Thalkessel um das anmuthige Neuwied, dann wieder, das abwechselnd bald engere, bald breitere Thal mit gelegentlichen Einsichten in die abzweigenden Seitenthäler und Schluchten, und endlich das von allen Seiten, von nahe und ferne immer ein vollkommenes Bild gebende Siebengebirge, eine Berggruppe von so harmonischer Form, wie sie außerhalb Italiens sich nicht wiederfindet.

Aber nicht nur diese allgemeine landschaftliche Schönheit ist es, welche dem Rheinthal seinen Reiz verleiht, man muß sich auf das Einzelne einlassen, um den ganzen Zauber zu empfinden. Man muß am Ufer wandern, um die Theile des großen Panoramas als abgeschlossene Bilder zu betrachten, man muß in die Seitenthäler eindringen, die theils von der Industrie belebt sind, theils enge und steile Wald- und Felsenschluchten bilden, wo nur das Rauschen des Baches, der Gesang der Vögel und vielleicht der Schrei des Hähers oder der Weihe die Stille unterbricht. Vor Allem muß man die alten Städtchen durchstreifen mit ihren altersbraunen wunderlichen Häusern, ihren verfallenden, von Weinreben überrankten Mauern, ihren oft prachtvollen alten Kirchen. Alles das redet und zeugt von alten Zeiten, erzählt Geschichte, erinnert an so manche Sage und hat einen unvergleichlichen Charakter der Heimlichkeit und Traulichkeit. Bei alledem aber herrscht auch ein lustiges Lebens darin, zwar ein Klein- und Stillleben, aber rege und rührig, umgänglich und leichtlebig; denn es wohnt da ein Volk, welches schon in der Wiege mit Wein getränkt wird und bei dem unter allen Lebensereignissen und Lebenslagen der edle Traubensaft seine erheiternde Wirkung ausübt, selbst wenn er nach schlechten Sommern nicht gerade edel ist.

Aber dieses echte rheinländische Volk und Leben darf man nicht mehr an der großen Straße des Stromes suchen. Da verkehrt der Fremde und zieht in Schaaren hinauf und herunter und an seiner Straße wird Alles umgewandelt und erneut. Da werden die alten Stadtmauern und die alten wackeligen Giebelhäuser niedergerissen und weiße Gasthöfe erstehen an ihrer Stelle, da werden die Ruinen wieder ausgebaut und verputzt, da ersetzen elegante Veranden und Balcons die alten traulichen Weinlauben und der Hôtelverkehr mit allen seinen Comforts und neuesten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_717.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)