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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

meinem Großvater, noch mir das Recht zusteht, Kunstschätze der Welt zu nehmen und sie für immer verschwinden zu lassen,“ lautete die sehr ruhige Antwort.

Ich stand wie auf Nadeln bei diesem Gespräch – die kostbare Zeit verrann. Zu meiner Beruhigung trat Dagobert in das Fenster und sah einer Equipage nach, die vorüberrollte; Herr Claudius aber legte das Medaillon in den Kasten, schob ihn zu und gab mir die Münze zurück.

„Es thut mir herzlich leid, daß ich mein gegebenes Wort zurücknehmen muß,“ sagte er zu mir. „Allein beim Ankauf dieser Art Münzen möchte ich nicht behülflich sein – das Medaillon in Ihrer Hand ist unecht.“

Dagobert fuhr herum.

„Wer will die Münzen kaufen?“ fragte er

„Herr von Sassen.“

„Wie, Onkel, er findet die Münzen preiswürdig, und Du willst ihn corrigiren? … Verzeihe, das fuhr mir so heraus – es war nicht höflich!“ setzte er augenblicklich entschuldigend hinzu.

Herr Claudius lächelte leise. „Du hast eben nur meine Ansicht documentirt, nach welcher der Laie sehr wohl thut, mit seiner Weisheit still zu Hause zu bleiben. Einer Autorität gegenüber wird sein Urtheil stets eine Unbescheidenheit sein.“

Er schloß den Schrank, und ich verließ, ohne noch ein Wort zu verlieren, aber auch mit steifem Nacken, das Zimmer. Dagobert trat mit mir zugleich über die Schwelle der Salonthür.

„Unverschämt!“ murmelte er zwischen den Zähnen, doch so, daß ich’s hören konnte, und schritt wieder nach dem Zimmer seiner Schwester, während ich scheu und schweigend davonrannte.

Ja, eine Unverschämtheit war es meinem weltberühmten Vater gegenüber! … Ich lief wie gejagt durch die Gärten und stürmte in großer Aufregung die Treppe der Karolinenlust hinauf.

„Nun?“ fragte mein Vater in athemloser Spannung, als ich eintrat.

„Herr Claudius behauptet, die Münze sei unecht!“ rapportirte ich mit erstickender Stimme.

Der fremde Herr brach in ein unauslöschliches Gelächter aus – er schien sich gar nicht wieder beruhigen zu können. Mein Vater dagegen zuckte verächtlich die Achseln. „Krämerweisheit!“ stieß er hervor. „Mit solchen Leuten muß man sich eben nicht einlassen.“

Er griff nach seinem Hut, stülpte ihn auf das wirre Haar und reichte mir den Arm. „Gehen wir,“ sagte er resignirt.




20.

Im Geschwindschritt ging es durch die Gärten; mein Vater wußte schon nach wenig Augenblicken nicht mehr, daß ein ängstlich trippelndes kleines Mädchen an seinem Arme hing und auf den Zehenspitzen wie eine fortgewirbelte Schneeflocke neben ihm herflog. Er sprach unausgesetzt mit dem fremden Herrn, zu meinem Verdruß genau so unverständlich und in Fremdwörtern herumwühlend wie der alte Professor in der Haide.

Als wir quer den Hof durchschritten, scholl Helldorf’s prachtvolle Stimme herab, er sang allein. Mein Vater hemmte überrascht für einen Moment seinen Sturmschritt. Bis dahin hatte ich mich nie weiter in dem Hofe zu orientiren gesucht, er war mir zu kahl und nüchtern. Jetzt aber, wo wir uns direct nach dem Ausgangsthor wandten, das den linken Seitenflügel durchbrach, glitten meine Augen über das vor mir liegende Erdgeschoß des Hintergebäudes. An vier Fenstern, die sich nebeneinanderreihten, war je ein Flügel halb geöffnet; eine ganze Schaar junger Mädchen saß drinnen; die Brustwehr war sehr niedrig und ließ ununterbrochen geschäftige, flinke Hände sehen; an dem mir zunächstliegenden Fenster hielt eben eine Arbeiterin einen halbvollendeten Myrthenkranz prüfend an sich, ehe sie den nächsten Zweig einband.

Das war also die Hinterstube, mit welcher mir Charlotte schon am zweiten Tage meines Aufenthaltes einen heillosen Schrecken eingejagt hatte. Sie erschien mir durchaus nicht finster und abschreckend; Licht und Luft hatte sie vollauf, und die Mädchen sahen sehr sauber und wohlgekleidet aus. Alle diese blonden und dunklen Köpfe lauschten dem Gesange, keine Lippe regte sich. … Da sah ich, wie plötzlich ein jähes Aufschrecken durch die ganze Gesellschaft zuckte, sämmtliche Stirnen senkten sich tief auf die Arbeit, und das Mädchen mit dem Myrthenkranz schob leise und unmerklich mit dem Ellenbogen den Fensterflügel zu, während sich ihr erröthetes Gesicht nach der Tiefe des Zimmers drehte. … Eine Thür fiel drinnen heftig in das Schloß und gleich darauf hörte man den alten Buchhalter schelten.

„Welch ein Zugwind!“ rief er – seine sonore Stimme scholl um so kräftiger hinaus in den Hof, als der Gesang droben für einen Augenblick schwieg – „Ach so, man hat die Fenster geöffnet und horcht auf die Verlockung des Satans und legt dabei die Hände in den Schooß! … Ihr thörichten Jungfrauen, bei Euch wird es auch heißen: ‚Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht‘ … ‚Es ist besser hören das Schelten des Weisen, denn hören den Gesang des Narren.‘“

Während des letzten Bibelspruchs schlug er klirrend ein Fenster um das andere zu und rüttelte an ihnen, auf daß auch nicht der kleinste Spalt für die eindringenden Töne der Weltlust blieb. Er sah uns vorübergehen; aber seine Augen glitten stolz und abweisend an uns hin – er grüßte nicht.

Mein Vater schüttelte ironisch lächelnd den Kopf.

„Das ist auch so ein dictatorisches Päpstlein,“ sagte er zu dem Fremden, „einer jener Beschränkten, die sich zum Scandal breit machen dürfen mit ihrem leeren Kopf, weil die Reaction den Gedanken verfehmt. … Mit welch staunendem Hohne wohl die nächsten Jahrhunderte auf diese entstellenden und zärtlich gehätschelten Sonnenflecken unserer Zeit zurückblicken werden!“

Wie dauerten mich die armen jungen Geschöpfe in der Hinterstube! Ihnen waren auch die Flügel grausam verschnitten worden; in ihrer Seele hatten sie freilich keine Spur des „wilden Elementes“ mehr; dafür waren sie aber auch Gefangene ohne allen Willen. Sie duckten mäuschenstill die Köpfe und ließen es geschehen, daß man ihnen auch noch die frische Luft entzog, weil sie verbotene Klänge zu ihnen getragen hatte. … Und der unheimliche Morgensänger war es, der ihnen die Flügel stutzen und sie bewachen mußte. … O Herr Claudius, ich machte Ihnen ganz gewiß mehr Mühe! Ich konnte laufen wie ein Hase, und wenn ich hier nirgends ein rettendes Dach fand, unter das ich den Kopf stecken konnte, da ging es eines schönen Tages wieder dahin zurück, wo ich hergekommen. … Es mußte ja nicht gerade der Dierkhof sein, wo Ilse mich scheltend empfing – ich schlüpfte in die kleine Lehmhütte mit den flaschengrünen Fensterlein, da aß ich mit Heinz Buchweizengrütze und flog lachend mit meinen unbeschnittenen Flügeln über die Haide hin. …

Wir hatten das Haus in der Mauerstraße verlassen, und nun ging ich ja doch durch die häßliche, stauberfüllte Stadt, die ich nie wiedersehen wollte. Sie erschien mir nicht mehr so schrecklich, als da die sengende Mittagshitze über ihr brütete. Es hatte sich aber auch Manches verändert – meine Augen begegneten nicht einem einzigen spöttischen Blicke. Frauen gingen an uns vorüber, die mir wohlwollend und so freundlich forschend unter den Hut sahen, als mache es ihnen Freude, zu wissen, was für ein Gesicht auf dem kleinen trippelnden Menschenkinde im nagelneuen Galakleide säße. … Was mir aber plötzlich einen ganz besondern Halt, ja eine Art innern Schwunges gab, infolge dessen ich meinen Kopf um einige Linien höher zu tragen suchte, das war die Art und Weise, wie mein Vater gegrüßt wurde. Der eilig dahinrennende Mann mit der nachlässigen Haltung und dem wirrflatternden Haar war eine nichts weniger als imposante Erscheinung, und doch neigten sich Officiere und elegant gekleidete Herren tief und respectvoll vor ihm, und vornehme Damen, die in prächtigen Equipagen vorüberrollten, grüßten ihn, lebhaft mit der Hand winkend, als sei er ihr bevorzugter Freund. … Dieser große Respect galt einzig und allein dem berühmten Manne, der so ungeheuer viel Wissen in seinem Kopfe hatte – Alle beugten sich vor ihm, nur „der Krämer“ in der Mauerstraße nicht – der wußte ja Alles besser. …

Grollend dachte ich an die Scene vor dem Münzenschranke, und was mich am meisten ärgerte, das war der Eindruck, den ich selbst dabei empfangen. … Hatte der Mann doch wirklich dagestanden, als sei er mit einer überlegenen Macht ausgerüstet, als ruhe jedes seiner Worte auf so solidem Grunde wie sein altes Krämerhaus, und – abscheulich – selbst der glänzende Officier bei all seiner Eleganz und Schönheit war doch neben dem Manne im simplen schwarzen Rocke für einen Augenblick völlig in den Schatten getreten. … Welch eine Entpuppung! Das war „der

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