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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und erhielt das wichtige Decernat der Personalien. So vielfach in dieser schwierigen und einflußreichen Stellung seine Humanität gerühmt wurde, so wenig schien es dem lebensfrohen Manne darin zu behagen, und bald veranlaßten ihn Differenzen mit seinen Vorgesetzten seine Entlassung zu nehmen und sich nunmehr in der diplomatischen Carrière zu versuchen, von der er 1862 zurückkehrte, um in das Ministerium einzutreten.

Herr v. Bismarck hatte soeben die Erbschaft des Prinzen Hohenlohe angetreten und ein Unicum von Ministerium vorgefunden – Holzbrück, Mühler, Jagow, Itzenplitz, Lippe – eine Sammlung berühmter Namen und erleuchteter Köpfe, Staatsmänner von wirklich seltenem Werthe. Ueber einen Nachfolger Jagow’s aber, der zuletzt als Oberpräsident in Potsdam doch verwendbarer erschien, denn als Mitglied des Ministercollegiums, schwankte man lange, bis endlich Eulenburg auf der Bühne erschien.

Er trat, aus den Ländern der Antipoden kommend, in einen romantischen Nimbus gehüllt hervor und wußte die Neugierde, die ihm entgegenkam, geschickt zu benutzen. Eine frische und obendrein eigenthümliche Erscheinung ist an einem Hofe stets willkommen und kann von vornherein auf einen gewissen Erfolg zählen. Kommt Verstand, Unterhaltungsgabe und geselliges Benehmen hinzu, so ist das Glück des Neulings gemacht. So spielte das Glück mit Eulenburg, der zu der Rolle, die ihm ein freundliches Geschick zutheilte, wie geschaffen war. In kürzester Frist hatte er sich das Wohlgefallen des Königs, der Königin und sämmtlicher Prinzen und Prinzessinnen erworben, ganz besonders aber der kronprinzlichen Herrschaften, die in ihm sogar die geeignete Persönlichkeit zu sehen glaubten, mit deren Hülfe Herr v. Bismarck, gegen den, wie bekannt, damals eine scharfe Abneigung vorhanden war, ersetzt werden könnte. Die im Grunde liberal angelegte Natur Eulenburg’s schien dieser Absicht zu entsprechen, die Gunst, welche der König ihm unzweideutig zeigte, die Sache zu erleichtern, Widerstreben von seiner Seite unwahrscheinlich. So wurde ihm denn alsbald ein Portefeuille angeboten, und er fühlte sich so sicher, daß er sogar das ihm zuerst angetragene landwirthschaftliche Ministerium ablehnte. Seine Wünsche gingen auf das Handelsministerium; doch konnte dies dem Grafen Itzenplitz, der schon Landwirthschaftsminister war, nicht füglich vorenthalten werden, und Eulenburg gab sich daher mit dem Innern zufrieden. Wie und in welchem Sinne er seine Verwaltung geführt hat, gehört der Geschichte und einer ernstern Kritik an, als ich in diesen Briefen zu üben mich veranlaßt sehe; doch wird die Meinung, daß er jede andere Stellung mehr zum Heile des Landes bekleidet hätte, bei Ihren Lesern wohl auf ungetheilten Beifall rechnen können. Daß er die ihm von einer Seite zugemuthete Aufgabe, Bismarck in liberalem Sinne entgegenzuwirken, nicht lösen würde, mußte übrigens Jeder, der ihn genauer kannte, voraussetzen; er ist kein Mann der Intrigue und dem Reichskanzler im geistigen Kampfe doch nicht gewachsen.

Seine Freunde aus älterer Zeit hat es allerdings überrascht, daß Eulenburg als Minister sich zu einem so entschiedenen Werkzeuge der Reaction hergegeben hat. Ich glaube aber eine Erklärung dieser Thatsache, die freilich in keiner Weise vorausgesehen werden konnte, in zwei Umständen zu finden.

Einmal ist Eulenburg nicht ein so selbstständiger, festgegliederter Charakter, um mächtigen Einflüssen zu widerstehen, und sein Eintritt in das Amt fiel gerade in die Periode, als die reactionären Elemente in der Hauptstadt wie in den Provinzen, ganz besonders aber bei Hofe, sich mit frischer Kraft und im Bewußtsein des gegen die neue Aera erkämpften Sieges erhoben. Eulenburg war viele Jahre von Berlin und aus Preußen abwesend gewesen, und als er ersteres wieder betrat, kamen ihm in langen Zügen aus allen Winkeln des Landes die Deputationen mit den sogenannten Loyalitätsadressen entgegen, die damals täglich den König zum Festhalten an den conservativen Maximen bestürmten und das ganze Volk wie eine Landwehr der Reaction schilderten. An der Spitze dieser Schaaren sah und sprach Eulenburg viele alte Freunde und Bekannte, die nach Kräften bemüht waren, den an dem politischen Himmel neu aufgehenden Stern zu gewinnen, und deren Darstellungen, Schmeicheleien und Lockungen sicherlich nicht ohne nachhaltigen Eindruck geblieben sind. Sodann unterlag Eulenburg wohl nicht minder als die meisten Personen, welche das Schicksal mit dem Fürsten Bismarck in dauernden Verkehr gebracht hat, der geistigen Uebermacht des Letzteren und lenkte mehr oder minder willig in die von diesem damals gesteckten Bahnen ein.

Zum anderen nahm die liberale Opposition in dem preußischen Abgeordnetenhause Eulenburg gegenüber sofort eine Stellung ein, die ihr mehr von der ehrlichen Ueberzeugung, als von der politischen Klugheit bezeichnet wurde. Wäre der neue Minister nicht sofort auf das Schonungsloseste angegriffen worden, so hätte er vielleicht einen wünschenswerthen Vermittelungspunkt zwischen Regierung und Opposition abgegeben; die scharfe Feindschaft aber, welche ihm von Hause aus entgegentrat, trieb ihn um so schneller in das conservative Lager.

Immer wieder liebt es die Presse, Gerüchte von einem baldigen Rücktritte Eulenburg’s zu verbreiten; wer aber die Verhältnisse in den maßgebenden Kreisen kennt, weiß, daß solche Erwartungen vorläufig jedes Grundes entbehren. Eulenburg steht bei Hofe fortdauernd in allseitiger großer Gunst; nicht nur der Kaiser, auch die Kaiserin, der Kronprinz und die Kronprinzessin haben ihn gern; und von dem Reichskanzler hat er gleichfalls nichts zu befürchten. Ueberhaupt hüte man sich vor der Ansicht, als könne der Letztere nach Belieben einen ihm unbequemen Minister beseitigen; dem ist durchaus nicht so. Eine Hauptstärke Bismarck’s und des ganzen Ministeriums ist die dem Kaiser beigebrachte Ueberzeugung von der Einigkeit seiner Räthe. Nachdem dieser Jahre lang sich mit Ministerien, deren Mitglieder unter einander im Hader lagen, abgemüht hatte, fühlte er sich angenehm erleichtert, als ihm endlich eines mit der Versicherung voller Einmüthigkeit entgegenkam. Diesen vortheilhaften Eindruck muß der Ministerpräsident zu erhalten suchen, und er wird deshalb nicht so leicht angriffsweise gegen einen seiner Collegen vorgehen. Die Entlassung des Grafen Lippe war ein Ausnahmefall. Es galt damals, auch in dem Ministerium die neuen Provinzen vertreten zu sehen; von der Zweckmäßigkeit einer solchen Maßnahme war auch der König zu überzeugen, und für Lippe bot sich auch gerade ein passend scheinender Ersatz. Ein Zwiespalt in den Principien ist nicht Ursache seines Rücktritts gewesen, und sein späteres Auftreten in dem Herrenhause ist nur der Ausfluß des Aergers darüber, daß man ihn, ohne daß er Veranlassung dazu gegeben, hatte fallen lassen.

Eulenburg ist heute am Hofe der am liebsten gesehene Mann. Neben den vielen langweiligen Gästen ist er einer der wenigen, wo nicht der einzige, der Munterkeit und Leben in das ewige Einerlei bringt, und man ist ihm für diese Störung der fast unerträglichen Gleichförmigkeit höchst dankbar. Wie jedem Lieblinge wird ihm sogar manche Unart verziehen, die bei jedem Anderen vielleicht mit Verbannung bestraft würde.

Seine Untergebenen sind mit ihm stets zufrieden. Er ist wohlwollend und höflich, und die Freiheiten, die er sich selbst erlaubt, gestattet er auch seinen Umgebungen. Vor einiger Zeit ging ich in sein Hôtel, um ihn zu sprechen, und durch den Anmelderaum, in dem ich Niemand traf, gleich hindurch in das dahinter gelegene Zimmer, das für gewöhnlich mit als antichambre benutzt wird. Wie erstaunte ich aber, als ich dasselbe mit Tabaksrauch gefüllt und eine Anzahl Herren, sämmtlich mit brennenden Cigarren bewaffnet, um den großen Tisch sitzend fand. Ich zog mich eilig zurück und hörte nun, daß der Herr Minister mit einigen seiner Räthe eine Session abhalte, und daß bei solchen Gelegenheiten das Rauchen stehender Gebrauch sei. Gewiß eine den Herren Räthen nicht unwillkommene Neuerung. – Sie sehen, daß mein alter Freund Eulenburg kein ganz übler Mann ist, wenn ich schon mein Gewissen nicht mit einer Vertheidigung seiner Politik beschweren will.

Mit Eulenburg zusammen oft genannt, obwohl kein Geistesverwandter, wird Herr v. Mühler, der unter den leitenden Größen des preußischen Staats sich vorzugsweise der zweideutigen Ehre erfreut, von rechts und links zugleich angegriffen zu werden. „Viel Feind’, viel Ehr’“ ist aber nur eine Wahrheit, wenn die Feinde auch Feinde der Wahrheit sind; ist dies nicht der Fall, steht der Angegriffene den Freunden der Wahrheit gegenüber, so bringt die Zahl der Feinde nicht Ehre, sondern das Gegentheil; sie giebt dann nur den Maßstab für die Verblendung oder Verhärtung des Widerstrebenden. Wo, wie hier, eine Nation zu Gericht sitzt, kann der Einzelne sein Urtheil sparen, und es würde nur Eulen nach Athen tragen heißen, wenn ich in eine Kritik einer allseits abfällig beurtheilten Amtsthätigkeit eintreten wollte. Nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_703.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)