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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

auf einmal mit einem bitterbösen Ausdruck über meinem geschmückten Kopf im Spiegel.

„Nun ist wohl auch schon der Spiegelnarr fertig?“ schalt sie. „Das ist sein Lebtag kein ehrbares Frauenzimmer, das sich neugierig beguckt, ob ihm auch die Nase schön im Gesicht stehe. … Sünde ist’s, weißt Du das? … Wenn meine arme Frau der Christine bei Zeiten den Spiegel weggenommen hätte, da wäre auch Vieles anders gekommen. … Zuhängen werd’ ich das Glas, ehe ich fortgehe, daß Du’s weißt!“

Das brauchte sie nicht. Daß es Sünde sei, konnte ich nicht einsehen; denn die Nase und die ganze Gestalt hatte mir ja der liebe Gott gegeben; aber eine Lächerlichkeit war’s, mit sich selbst zu liebäugeln; ich errötete vor meinen eigenen Augen und schämte mich, als hätte ich etwas Dummes gesagt.

Das Stubenmädchen entfernte sich mit einem mitleidig lächelnden Blick auf mich, der der Text so scharf gelesen wurde, und ich ging hinauf in die Bibliothek, um meinen Vater abzuholen.

Schon draußen vor der Thür hörte ich ihn mit raschen Schritten hin- und hergehen und laut sprechen. Ich meinte, es sei Jemand bei ihm, und öffnete leise die Thür, – er war allein, aber in nicht zu verkennender Aufregung. Unablässig durchmaß er das weite Zimmer und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Manchmal blieb er stehen, nahm die Goldmünze, die er heute Ilse gezeigt, vom Tische auf, besah sie, als wolle er das mattblinkende Metall mit seinem Blick durchdringen, und legte sie tief aufseufzend wieder nieder. Dann schlug er mit seinen fleischlosen Knöcheln so hart auf die Tischplatte, daß sie erdröhnte, und die Wanderung begann von Neuem. Mich bemerkte er nicht, obwohl ich schon einige Minuten im Zimmer stand.

„Vater, was hast Du?“ fragte ich endlich schüchtern.

Er fuhr herum. Im ersten Augenblick erkannte er mich nicht in dem neuen Costüm, ich lachte und lief auf ihn zu. Sein verdüstertes, sehr erhitztes Gesicht erheiterte sich, ein wohlwollendes Lächeln, das mich tief beglückte, flog wie ein Sonnenstrahl darüber hin.

„Ei sieh da, Lorchen! … Was bist Du für ein hübsches, kleines Mädchen!“ rief er. Er erfaßte meine beiden Hände und betrachtete mich von Kopf bis zu Füßen. … Wie unsäglich dankbar schlug ihm mein Herz entgegen! Inmitten seiner wissenschaftlichen Sorgen und Kümmernisse hatte er doch Augen für meine kleine Person.

„Wollen wir noch nicht gehen, Vater?“ fragte ich, nahm allen meinen Muth zusammen, strich ihm das Haar glatt und zog die verschobene Atlascravatte unter seinem Kinn zurecht. „Die Prinzessin wartet vielleicht – o, wie mein Herz klopft vor Angst!“

„Ich erwarte erst noch einen Herrn, den ich zum Herzog führen will,“ sagte er kurz, ohne meinen letzten Ausruf zu beachten – weg war die heitere Stimmung! Er entzog sich meinen ordnenden Händen, fing wieder an zu wandern, und nach zwei Secunden starrten die glattgestrichenen Haare zu meinem Leidwesen nach allen vier Winden.

„Willst Du mir denn nicht sagen, was Dich so sehr bekümmert?“ fragte ich bittend.

Er schritt gerade mit rückwärts verschränkten Armen an mir vorüber.

„O mein Kind, das kann ich Dir nicht sagen! … Ich wüßte gar nicht, wie ich es anfangen sollte, mich Dir verständlich zu machen! – War es doch heute Mittag eine wahre Riesenaufgabe Ilse gegenüber!“ rief er fast ungeduldig nach mir zurück und ging weiter.

Ich ließ mich nicht so ohne Weiteres abfertigen. „Es ist wahr, ich bin entsetzlich dumm in der Haide geblieben!“ sagte ich aufrichtig. „Aber wer weiß, vielleicht verstehe ich Dich doch besser, als Du denkst – probir’s einmal!“

Er lächelte halb verdrossen und unlustig, nahm aber doch die Münze auf und hielt sie mir hin.

„Nun, da sieh her! … Das ist ein wunderseltenes Stück – ein sogenanntes Medaillon. … Es ist in meiner Sammlung nicht vertreten, weil ich bis zur Stunde seiner nicht habhaft werden konnte.“ Mit strahlenden Blicken hielt er es gegen das Licht. „Köstlich! – Es hat seine Stempelblume fast unberührt erhalten! … Der Herr, den ich erwarte, verkauft diese Medaillen, lauter unschätzbare Exemplare – verstehst Du mich, mein Kind?“

„Die Ausdrücke nicht, Vater, aber was Du schließlich willst, weiß ich ganz genau – Du möchtest die Goldstücke um Alles nicht wieder aus der Hand lassen –“

„Kind, ich gäbe freudig Jahre von meinem Leben darum, wenn ich sie kaufen könnte!“ unterbrach er mich schwärmerisch. „Aber ich bin leider außer Stande – binnen einer Stunde wird der Herzog die auserlesensten Stücke für sein Medaillencabinet erworben haben – und ich –“

Er verstummte, denn der Herr mit seinem Kästchen unter dem Arm, der gestern schon in der Bibliothek gewesen war, trat herein. Ich sah, wie mein Vater erblaßte.

„Nun, wie ist’s, Herr von Sassen?“ fragte der Herr im Eintreten.

„Ich – muß davon absehen –“

„Vater,“ sagte ich rasch, „ich verschaffe Dir, was Du brauchst!“

„Du, mein kleines Mädchen? … Wie wolltest Du denn das anfangen?“

„Das lasse meine Sorge sein! Aber die Münze muß ich haben, damit ich mich auf sie berufen kann!“ … Ei, wie ich plötzlich resolut und praktisch wurde! Ich war ganz stolz auf mich selbst – das hätte Ilse sehen sollen!

Mein Vater lächelte ungläubig, aber es war doch ein Strohhalm, an den er sich noch für einen Augenblick anklammern konnte. Er sah den Herrn fragend an – derselbe neigte zustimmend den Kopf, wickelte die Münze in das Papier und übergab sie mir. Ich umschloß sie in der Tasche krampfhaft mit meiner Hand, denn ich wußte ja, daß sie unschätzbar sei, und lief nach dem Vorderhause.

Wie wollte ich Herrn Claudius bitten, mir dreitausend Thaler von meinem Gelde zu geben! Wie wollte ich ihm den Kummer meines Vaters in beweglichen Worten vorstellen! Wenn er nicht durch und durch von Stein war, da mußten ihn doch die Bitten der Tochter rühren, die ihren Vater um Alles gern glücklich sehen wollte. … Freilich hatte mich noch nie eine so unsägliche Scheu vor ihm erfaßt, als gerade in diesem Augenblick, wo ich, in mich hineinfröstelnd, als Bittende die kühle dunkle Hausflur wieder betrat, die ich kaum erst im offenkundigen und übermüthigen Widerspruch verlassen. … Aber vorwärts! – Es mußte ja sein! Ich hatte meinen Vater schon viel zu lieb, um ihm nicht jedes Opfer zu bringen, selbst das, vor der kalten Geschäftsmiene des Herrn Claudius geduldig auszuharren. … Ach was! Hatte er mir doch auch die vierhundert Thaler für meine Tante gegeben – weshalb sollte er mir da die Dreitausend verweigern! Ich unterschrieb eben einfach wieder, und damit war die Sache abgemacht.

(Fortsetzung folgt.)




Die jüngste „Königin der Instrumente“.


Die ernste Stille des herrlichen Domes zu Schwerin wurde in den Tagen des Monats Mai vom frühesten Morgen bis in die späten Abendstunden durch Schläge des Hammers und der Axt verscheucht. Bald sollte nach rastlosem Schaffen das rauhe Getöse dem wunderbarsten Orgelklange weichen, denn schon verkündeten unter des Künstlers Hand die ersten Stimmen aus metallenem Munde, wie herrlich sie gelungen! Da traten, vom Landesfürsten, dem im letzten Franzosenkriege vielgefeierten Großherzog geleitet, der Kronprinz des deutschen Kaiserreichs und seine Gemahlin in den Dom. Der Besuch desselben galt dem genialen Orgelbauer Fr. Ladegast. Bald stand der Künstler im bescheidenen Werkeltagskleide vor seinen Gästen und bald konnte er hocherfreut wahrnehmen, wie Alle teilnehmend den großartigen Orgelbau mit all seinen neuen Schöpfungen hinsichtlich Größe und Anzahl der Principal-, Gamben-, Flöten- und Zungenstimmen, sowie der neuen Constructionen innerer Theile in einem vollen Bilde zu erfassen suchten. Der Wunsch derselben, daß der Meister sein großes Werk glücklich vollenden möge, ging schon nach einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_700.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2021)