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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Hintergrund, während die Krankheiten, Leiden und Mißhandlungen des Lehrers, ja die gänzliche Vernichtung seines Hausstandes und seines Familienlebens, für böswillige Erfindungen und Uebertreibungen galten.

Das Eintreffen des Oberpräsidialerlasses änderte darin nichts, als daß später dem Lehrer zwar eine Interimswohnung, aber kein Schullocal angewiesen wurde. Das verdorbene Schulhaus blieb trotzig stehen, und erst als abermals die rauhe Jahreszeit da war, nahm man es wieder in Arbeit: man bekleidete die Füllholzwände mit all ihren Ritzen und Löchern mit einem Lehmanwurf, und zwar, wohl der Billigkeit wegen, nur von innen. Und kaum hatte man die letzte Kelle dieses triefenden Lehmes an die Wand geworfen, so wollte man, ohne nur die äußere Abtrocknung abzuwarten, den Lehrer zwingen, mit Weib und Kindern da hinein zu ziehen. Sie Alle waren noch nicht genesen von den Leiden des letzten Winters, und nun sollte der letzte Rest von Gesundheit gar auf das Spiel gesetzt werden. Der Lehrer verweigerte den Einzug und bat um Aufschub desselben wenigstens auf so lange, bis der Lehmanwurf völlig ausgetrocknet sei. Da trieb man die Gausamkeit gegen die Familie so weit, Thür und Fenster aus der Interimswohnung fortzunehmen! Trotz alledem zog es der Lehrer vor, mit den Seinen sieben Tage lang ohne Thür und Fenster zu wohnen, als in die nasse Lehmhütte einzuziehen. Und als er nun völlig erkrankte und unfähig wurde, noch Schule zu halten, verweigerte der Pfarrer ihm die Erlaubniß, einen Hülfslehrer auf eigene Kosten zu bestellen.

Ob durch die mündlichen Aeußerungen bei der Anwesenheit des Herrn Regierungsraths, oder ob durch spätere schriftliche Kundgebungen veranlaßt, muß hier unerörtert bleiben kurz, eine Anklage auf Beleidigung vorgesetzter Behörden hatte endlich die Amtsenthebung und Pensionirung des Lehrers zur Folge – und damit würde dieses Drama von einer Lehrerwohnung geschlossen sein, wenn der gewesene Lehrer mit den Seinen nicht noch am Leben wäre.

Und an welchem Leben! Er selbst ist aus diesem Drama mit einem siechen Körper hervorgegangen, der ihn zu jedem andern Broderwerb unfähig macht: er fühlt sich an Körper und Geist, an Vermögen und gutem Namen völlig zu Grunde gerichtet – ein Gegenstand des Spottes im Orte seiner langen Lehrerthätigkeit, und höchstens des unfruchtbaren Mitleids bei wenigen Einsichtsvollen. Nicht viel gesünder, wie er, sind die übrigen Glieder seiner Familie davon gekommen, ja eine Tochter verdankt der schrecklichen Wohnung eine unheilbare Krankheit, die ihr für’s ganze Leben keine andere Aussicht eröffnet, als diejenige, welche die öffentliche Armenpflege bietet! – Und all’ dieser Hülflosigkeit soll fortan eine jährliche Einnahme von vierzig Thalern Pension abhelfen. Die Familie besteht aus fünf Personen – da kommen denn zur Bestreitung von Wohnung, Kleidung und Nahrung pro Kopf und Tag gerade acht Pfennige heraus.

So stand es mit diesem Lehrer bis vor unserm letzten großen Krieg; was seitdem aus ihm und den Seinen geworden, ist uns unbekannt.

Fr. Hfm.

Aus den Streifzügen eines Feldmalers. I. und II. Sie haben einmal, schreibt uns der Maler Christian Sell – es ist nun bald ein Jahr – in der Gartenlaube von mir drei Zeichnungen gebracht, deren zwei ihre Motive der Umgegend von Metz aus der Zeit der Belagerung entnommen hatten, und haben dem dazu gehörigen Artikel die Ueberschrift gegeben: „Streifzüge eines Feldmalers“. Das ist nun, wie gesagt, ein Jahr, die kriegerischen Bilder und die noch mehr kriegerischen Artikel haben, Gott sei es gedankt, einer friedlicheren Stimmung Platz gemacht, und wie – der Vergleich möge gestattet sein – auf den Feldern, über die im vorigen Jahre der Kriegsgott verheerend hinfuhr, sie mit heißem Blute tränkend, heuer schon wieder die goldene Saat der Garben und das Blättergrün der Reben wogte, so sind auch die Columnen der Journale in diesem Jahre wieder von den anmuthigsten Genre-Darstellungen und Bildern des Friedens erfüllt.

Wie aber andere Maler, so habe auch ich noch gar mancherlei Blätter in meiner Mappe liegen, und gar manche Skizze, die seiner Zeit nur auf das Flüchtigste zu Papier gebracht werden konnte, möchte es doch verdienen, auch heute noch ausgeführt und veröffentlicht zu werden. Ein geordneter Zusammenhang wird sich in den einzelnen Bildern und in den einzelnen Artikeln freilich nur schwer herstellen lassen: es sind auch heute nur „Streifzüge eines Feldmalers“, der, wie Sie und Ihre Leser schon längst ja wissen, sich geraume Zeit vor Metz bei der Cernirungsarmee herumgetrieben und dann auch in den Ardennen und im Juragebirge, gar mancherlei Interessantes gesehen hat.

Darf ich nun aus meiner Kriegsmappe noch das Eine und Andere herausgreifen, so beginne ich heute füglich mit Metz, dem ja schon früher die meisten meiner Zeichnungen und Skizzen gegolten haben. Ich erinnere mich jener Zeit auch noch mit ganz besonderer Genugthuung; denn – die Tage von Orleans und die Kämpfe bei Belfort waren ja viel später – schon hier konnte man die bewundernswerthe Ausdauer des deutschen Soldaten im Ertragen riesenhafter und andauernder Strapazen erkennen. Im Anfange waren die Aufgaben der Cernirung wohl nur leichte und man stand den etwaigen Ausfallgelüsten der eingeschlossenen Armee Bazaine’s mit einem Muthe gegenüber, so heiter, wie der Himmel war, der über uns lachte. Das war zu Anfang September. Als aber später die Herbststürme kamen und der aschgraue Himmel viele Tage und Nächte lang seine unerbittlichen Schleußen geöffnet hielt, als Pferde und Reiter und Fußvolk bis über die Knöchel im unergründlichen Morast wateten, um nur Augenblicke lang auf dem durchweichten Stroh eine elende Lagerstätte zu finden, als der Wind eisigkalt durch die pechschwarzen Nächte über die Stoppeln und Felder und über die verwüsteten Dörfer hinsauste, und als es gerade um jene Zeit galt, die Augen doppelt offen zu halten, in Sturm und Regen nicht mit der Wimper zu zucken und in der halb erstarrten Hand immer noch seines Gewehres sicher zu sein – da kostete es wohl manchem Braven alle Anstrengung, sich von der Last der Beschwerden nicht ducken zu lassen und immer des hohen Zieles eingedenk zu sein, zu dessen Gewinnung er hier auf Posten stand.

Aus jenen so grundverschiedenen Tagen nun sind meine beiden heutigen Bilder entnommen, aus der, wenn ich so sagen darf, heitern und aus der ernsten Zeit der Cernirung – blutige Köpfe gab es freilich auch in jener und gar Mancher hatte trotz des blauen Himmels und trotz des goldenen Sonnenscheins alle Ursache, sich jede Heiterkeit schließlich doch vergehen zu lassen. Dafür sorgten schon die kleineren Ausfälle und die selbst damals ununterbrochenen Scharmützel der Vorposten in ausreichendem Maße.

Die Leser der Gartenlaube erinnern sich, wie ich, von Sedan über St. Privat la Montagne, wo ich die zerstörte Kirche zeichnete, nach Marly sur Seille zog, einem kleinen Dorfe südlich von Metz und zwischen diesem und Schloß Corny, dem Hauptquartiere des Prinzen Friedrich Karl, unmittelbar an der Cernirungslinie gelegen. Dort nahm ich ein Bild von der Wache im Dorfe auf, das Sie bald nachher gebracht haben, und marschirte nach einem sehr unruhigen Nachtquartier im Schlosse Montbel – der Leser wird sich meiner Skizze vielleicht noch erinnern – nach Mercy le Haut, das, gleichfalls in der Cernirungslinie gelegen, vielleicht nur achthundert Schritte von den äußersten feindlichen Vorposten entfernt war, Angesichts des Forts St. Quelen, dessen tiefe Kanonenbrummer – die Franzosen schossen ja unaufhörlich, um, wie es schien, bis zur unvermeidlichen Uebergabe ihr Pulver los zu werden – wohl noch Manchem von der Cernirungsarmee im Gedächtnisse sind. Damals sah ich nun bei einem Infanterievorposten den heitern Scherz, welchen das eine meiner Bilder darstellt.

Die Leute hatten versucht, sich die Langeweile durch eine improvisirte Schanze und durch Herstellung eines Geschützes zu vertreiben, dessen Rohr zwar des äußern Glanzes entbehrte, das aber dennoch in gewisser Entfernung einem wirklichen Geschütze auf das Täuschendste glich. Es war aus der Hälfte eines zerbrochenen Karrens und einem Baumstamm zusammengesetzt, während als Protze eine Liebesgabenkiste dienen mußte, die vermuthlich eben erst ihres willkommenen Inhalts entleert worden war. Dahinter lagerten unsere Soldaten und es war hier eines der wenigen Male, daß ich dieselben Karten spielen sah. Warum sie dieses in der heimathlichen Garnison doch geradezu unentbehrliche Spiel im Felde so gänzlich vernachlässigten, weiß ich nicht. Daß ihnen die Karten fehlten, ist doch kaum anzunehmen; oder war ihnen die Situation zu ernst? Vielleicht weiß ein Anderer die Antwort.

Mein zweites Bild kann füglich als Gegenstück zu dem eben geschilderten dienen; es ist der ernsten, ja schauerlichen Zeit der Cernirung entnommen, den letzten Tagen derselben, 21. oder 22. October, als man noch allgemein an eine letzte Anstrengung, an einen verzweifelten Ausfall Bazaine’s glaubte. Unsere braven Soldaten mußten deshalb in allen Positionen bei Tag und Nacht unter strömendem Regen, bis über die Knöchel im Wasser stehend, bei ihren Geschützen oder Gewehren zubringen. Welches Lager ihrer nach der Ablösung harrte, habe ich schon oben gesagt. Die Batterie, welche mir zur Aufnahme meines Bildes diente, war die fünfte von der vierzehnten Division. Ich fror während des Zeichnens ganz erbärmlich und der mir befreundete Hauptmann lud mich ein, mir die steifgewordenen Finger wieder am Feuer zu erwärmen, das man im Wind und Regen mit Noth und Mühe brennend erhielt. Die Soldaten zeigten zwar keinen heitern, aber einen festen, gesetzten und durch keine Unbilden erschütterten Muth. Am 27. October endlich schlug auch für sie die Stunde der Erlösung; an diesem Tage, spät Abends, ward die Capitulation von Metz unterzeichnet.


Abendwanderung nach einem Dichterschlößchen. Drei Tage hindurch hatten kürzlich die Volksschullehrer Thüringens im Vereine mit freisinnigen Geistlichen, mit Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen des Landes zur Gründung eines thüringischen Lehrerbundes in dem lieblichen Arnstadt getagt. Es war ein von ernstem Schwunge beseeltes und doch gar frisches und fröhliches Fest. Als aber endlich am späten Abend des 27. September dem herzlichen Beieinander die Abschiedsstunde geschlagen hatte, zuckte mit einem Male ein Gedanke durch die erregte Versammlung, der Allen so nahe gelegen und doch erst in diesem Augenblicke zu gemeinsamem Ausdrucke gekommen war. Man erinnerte sich, daß man Arnstadt nicht verlassen dürfe, ohne einem Gefühle der Verehrung genügt und eine Pflicht dankbarer Pietät erfüllt zu haben. Zu einem langen Ueberlegen und Arrangiren war keine Zeit. Bald sahen die überraschten Bewohner des Ortes auf der Straße einen fast unabsehbar langen Zug sich ordnen und im Scheine schnell herbeigeschaffter bunter Laternen einer benachbarten Höhe entgegenziehen. Unzählige schlossen mit neugieriger Theilnahme sich an und es lag etwas eigenthümlich Feierliches in der schweigenden und leisen Geräuschlosigkeit, mit welcher diese große Menschenmenge sich in stiller Abendstunde bergan bewegte.

Schon nach kurzer Wanderung war das Ziel erreicht, man stand vor dem anmuthigen Bergschlößchen, dem überaus traulichen Heim, das jetzt die beliebte Erzählerin der Gartenlaube, die kranke Dichterin der „Goldelse“ und des „Geheimniß der alten Mamsell“ auf einem der wonnigsten Aussichtspunkte ihres schönen Heimathsortes sich gegründet hat. Ihr galt die Huldigung, mit welcher so viele Lehrer und Lehrerinnen aus allen Theilen des Thüringerlandes ihr erstes Vereinigungsfest beschließen wollten. Nachdem man ohne Mühe das Schlafzimmer der Gefeierten erkundet, tönte bald unter den Fenstern desselben vielstimmiger Männergesang, anerkennungsvolle Rede und begeistertes Hochrufen der imposanten Versammlung in die lauwarme Herbstnacht hinaus. Es war ein unbeschreiblich poesievoller Moment, eine ebenso einfache als ergreifende Scene, und der Schreiber dieser Zeilen schätzt sich glücklich, zufällig Zeuge derselben gewesen zu sein. Eine Hoffnung Vieler, die Dichterin von Angesicht zu sehen, konnte freilich nicht in Erfüllung gehen. Sie war an dem Tage besonders leidend gewesen und hatte schon frühzeitig die Ruhe gesucht.

A. Fr.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_696.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)