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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Beide verschwanden wieder zu gleicher Zeit und kehrten in etwa fünf Minuten angezogen zurück.

Sobald sich im Schiffe die Nachricht verbreitete, daß dasselbe aufgelaufen sei, entstand ein gräßlicher Lärm. Alles rannte schreiend, weinend, betend oder fluchend durcheinander, und der Schrecken wurde noch erhöht durch das Benehmen des Capitains, der gänzlich den Kopf verloren hatte. Er warf sich in die Arme des Obermaschinenmeisters Slote und heulte und schluchzte wie ein kleines Kind.

Der erste Lieutenant hielt es für möglich, das Schiff zurückzubringen, da es nur angestoßen hatte und nicht aufgelaufen war; allein auch er gab die Hoffnung auf, als gemeldet wurde, daß im untersten Raume ein Leck sei, so groß „wie der Leib eines Pferdes“. Das Schiff schwenkte übrigens herum und legte sich mit der Breitseite gegen das Riff, so daß Hoffnung war, es werde halten, bis ein Floß gebaut sei, wenn kein Sturm kam. Unter der Leitung der drei Officiere wurde sogleich mit dem Bau eines Floßes begonnen, wobei die ganze Mannschaft willig Hand anlegte.

Die Lage des Riffes Roncador war wohl bekannt und ebenso daß in diesem Theil eine Strömung nach Nordwesten stattfand, welche es durchaus nöthig machte, sechs bis acht Meilen vom Riff vorbeizusteuern; allein der Capitain blieb nur etwa drei Meilen ab und mußte demnach gerade auf das Riff getrieben werden.

Um neun Uhr Morgens fuhr Pendleton mit sechs Mann in einem kleinen Boote nach Providence-Island, welches etwa achtzig englische Meilen entfernt ist, um Hülfe zu holen, und als man später einige Meilen wirklich Land zu sehen glaubte, ging auch Reed um drei Uhr Nachmittags ab zu recognosciren. Er kehrte gegen Abend mit der freudigen Nachricht zurück, daß er Land gefunden, und ungeheurer Jubel unter den armen Leuten an Bord folgte der Verzweiflung.

Es war heller Mondschein, als das Floß gegen acht Uhr vollendet war und Anstalt gemacht wurde, die Passagiere nach der kleinen Insel hinüberzuschaffen, zuerst natürlich Frauen und Kinder. Die letzten derselben kamen um drei Uhr des nächsten Nachmittages an, die letzten Männer erst vierundzwanzig Stunden später.

Die Lage der armen Schiffbrüchigen war schrecklich. Es regnete, was es konnte, und auf der kleinen, etwa fünfundzwanzig Morgen haltenden Insel war kein Schutz. Die Frauen saßen trostlos im Sande und hatten ihre Kinder an sich gedrückt, die vor Angst, Nässe und Hunger weinten. Die Insel erhob sich nur wenige Fuß über die See und trug nichts als ein der Petersilie ähnliches Kraut; allein glücklicher Weise nistete hier eine große Menge Seevögel, welche Menschen nicht kannten und sich nicht fürchteten, sondern auf ihren Nestern sitzen blieben und sich von den Kindern streicheln ließen. Die Eier, die man roh aß, gewährten wenigstens einige Nahrung, allein das Fleisch der Vögel war fast ungenießbar.

Allmählich brachte man indessen Lebensmittel und Material zu Zelten von dem Wrack; allein der Capitain wollte Niemandem erlauben, nach der Bagage zu sehen. Er, Herr Gibbs und einige Personen, welche der Letztere bezeichnete, nahmen den Bagage-Raum – in welchem sich auch die Geldkiste befand – unter ihre specielle Aufsicht, und nicht einmal die beiden Schatzamt-Clerks erhielten Erlaubniß hineinzugehen, obwohl das noch sieben Tage lang möglich war. Endlich am achten Tage setzte es Smith durch, mit einigen Arbeitern die Rettung der Geldkiste versuchen zu dürfen, allein ehe sie noch das Geringste hatten thun können, befahl ihnen der Capitain barsch abzulassen. Am folgenden Tage blieb Smith mit den Arbeitern auf dem Floß, in der Hoffnung, vom Capitain Erlaubniß zu erhalten, ihre Arbeit fortzusetzen; allein in der Nacht peitschte ein starker Wind die See zur Wuth. Die ganze Seite der Golden Rule brach ein, und nun war alle Hoffnung verloren, das Geld und die Bagage zu retten. Man erbeutete indessen einige Koffer und fand, – daß alles Geld daraus verschwunden war. Auch den von Gibbs rettete man, und man fand in demselben das Silberzeug des Schiffes.

Endlich am 8. Juni kamen zwei Schooner von Musquito-Bay, wohin Pendleton in seinem offnen Boot verschlagen war. Alle Mannschaft und Passagiere wurden eingeschifft, aber Herr Smith blieb allein auf dem Riff und schrieb von dort den Brief an den Minister Mac Culloch, den ich früher erwähnte und im Namen desselben beantwortete. Der brave Beamte schickte seine Frau und Kinder, die er bei sich hatte, nach St. Francisco und blieb vierzehn Tage lang allein auf dem Riff, bis Hülfe von Aspinwall kam und er seine Versuche, die Geldkiste zu finden, fortsetzen konnte.

Das Erste, was man fand, waren siebenundzwanzig Pakete mit Bonds, die auf die Namen von Personen in Francisco, oder Firmen zahlbar gemacht waren, also nicht ohne deren Endossement verkauft werden konnten. Aus einem derselben fehlten zwei Fünfhundert-Dollarnoten, endlich fand man auch die Geldkiste; sie war offen und sämmtliche au porteur zahlbare Cassenanweisungen, zusammen eine Million, waren verschwunden! – Die zerbrochene Kiste wurde auf Befehl des Finanzministers nach Washington geschickt, – wohin sie nie gelangte. Sie war an D. W. Gray comp. in Baltimore adressirt und wurde auf dem Schooner „Virginia“ dorthin geschickt. Sie kam nicht nach Baltimore. Der Capitain des Schiffes sagte, er habe sie bei einem Sturm in der Chesapeak-Bay, um das Schiff zu erleichtern, über Bord werfen müssen.

Der brave Victor Smith verließ Fort Roncador erst am 8. Juli und kam so krank von all den Anstrengungen in St. Francisco an, daß er seinen Bericht nicht machen konnte, sondern denselben aufschob, bis er von einer Reise nach Oregon zurückgekehrt sein würde, wohin er in dem Schiffe „Brother Jonathan“ segelte, welches mit ihm zu Grunde ging.

Auf Veranlassung des Unter-Schatzmeisters Cheeseman in St. Francisco, der mit Smith eine Unterredung hatte in Bezug auf das Verschwinden der Million, wurde ein Beamter der Detectiv-Polizei dem Capitain Dennis auf die Fährte gesetzt; allein gar bald mußte man einen andern Beamten senden, welcher seinen Cameraden, Namens Girvan, und Dennis beobachtete. Dies führte zur Arrestation Girvan’s, allein es scheint, daß derselbe sich mit seinem alten Cameraden abfand. Geld hatte der früher ganz arme Mann, denn er erwarb im Namen seines Sohnes eine Farm für zwanzigtausend Dollars ganz in der Nähe einer andern, welche Capitain Dennis kaufte, nicht weit von Ellicot’s Mills in Maryland, er hatte sein Vermögen durch Speculationen erworben und Girvan hatte Geld durch Hopfenhandel verdient, – sagten sie.

Gibbs ging nach Paris, wo er herrlich und in Freuden lebte und von wo er, erzählt man, kostbare Geschenke an Beamte im Schatzamt sandte, deren Agent er in der ganzen Geschichte gewesen sein soll. Das würde es allerdings erklären, daß alle Versuche, die Diebe aufzufinden, fruchtlos blieben; der Controller des Schatzamts, Herr R. W. Taylor, behauptet jedoch, daß das Geld nicht gestohlen, sondern ehrlich und rechtschaffen ertrunken sei. Warum allein die Noten au porteur ertranken und die Sieben-Dreißiger Bonds nicht, – darüber bleibt er den Aufschluß schuldig. Auch sagt er, daß die offene Geldkiste im Schatzamt von Washington angekommen und von dem Ober-Maschinisten untersucht worden sei und daß derselbe erklärt habe, die Kiste sei durch keine Instrumente geöffnet worden, – wenigstens könne das nicht bewiesen werden. –

Ich war damals im Schatzamt und wundere mich nur, daß ich von der Ankunft der Kiste nichts hörte, obwohl das schon möglich ist. Jedenfalls ist in dieser Geschichte nicht alles klar und die öffentliche Meinung spricht sich dahin aus, daß Capitain Dennis, den Gibbs ganz beherrschte, das Schiff absichtlich auf das Riff laufen ließ, entweder um den Raub zu begehen, oder den bereits vorher vielleicht schon in New-York begangenen Raub zu verdecken.

Dennis lebt in menschenscheuer Abgeschiedenheit und verkehrt außerhalb seines Hauses mit Niemand. Hin und wieder erscheinen in der Gegend verdächtige Gestalten, die mit dem Capitain verhandeln, oder doch den Versuch machen es zu thun, was nicht oft gelingt, da er sich verleugnen läßt. Man meint, daß diese Personen Mitwissende sind, welche ihre Kenntniß dazu benutzen, ihn auszupressen.

Von einem Montgomery Gibbs wollte man nichts im Schatzamt wissen. – Da haben die Romanschriftsteller einen Stoff, wie sie ihn sich nicht besser wünschen können.

Corvin.

„Aus der Jugendzeit!“ Das war in dem fröhlichen Jahr 1836, wo man den Vierunddreißiger so gern trank. Da hatten sich unterschiedliche Cadetten im Darmstädter Hofe zu Rüdesheim am Rhein zusammengefunden und genossen die liebe Gottesgabe mit großer Entschiedenheit. Während sie mitten im Treiben waren, trat auch ein Referendar heran, ein junger schlanker Mann, dem die muntere Gesellschaft gefiel und der deshalb sich die Anfrage erlaubte, ob er sich ihr anschließen dürfe. Bereitwilligst wurde das angenommen, und der neue Mann war nicht der schlechteste Trinker unter ihnen.

So zechte denn die wackere Runde und ließ die richtigen Lieder dazu erschallen, bis die Köpfe heiß waren und die Sehnsucht nach den „Bettzipfeln“ ihr Recht behauptete. Alle schlichen zufrieden dem dienstbaren Geist mit dem Leuchter zu den Schlafstätten nach, nur Einer war anderer Meinung als Alle, und das war der lange Referendar. Dieser behauptete, daß jetzt ein kühles Bad im freien deutschen Rhein angezeigt sei, und er spannte alle Segel eines unbeuglichen Willens auf, seinen Zweck zu erreichen, wie eifrig auch der Nüchternste von der Gesellschaft sich dagegen sperrte. Es begreift’s kein Mensch, wie das zuging, daß, während man den Badeschwärmer endlich in seinem Zimmer beruhigt glaubte, derselbe plötzlich durch ein Fenster in der untern Etage entschlüpfte, und zwar in einem so leichten Costüme, wie es sich für einen schickt, der in’s Bad gehen will. Allein ebenso rasch sprang der Nüchterne ihm nach, Beide kamen fast zugleich auf den Kähnen am Ufer an und jagten sich nun von Kahn zu Kahn, der Schlanke zwar immer voraus, aber der Nüchterne wacker hintennach. Ohne Schreien, Fluchen, Lachen und Krachen ist das natürlich nicht abgegangen, und so kam wirklich der Nachtwächter herbei und machte der Sache ein Ende. Der Schlanke mußte durch dasselbe Fenster wieder zurückwandern, zu dem er herausgesprungen war. Die Hatz mag die Stelle des gewünschten Bades ersetzt haben, Alles streckte die Glieder und Rüdesheim war ruhig.

Am andern Morgen fuhr die Gesellschaft von Rüdesheim nach Bingen, und da verrieth der Herr Referendar noch einen so grimmigen innern Brand, daß er auf der ganzen Fahrt fortwährend mit der hohlen Hand Rheinwasser schöpfte und zur Kühlung trank.

So erzählte der alte Wirth mir die Geschichte. Und was ist denn Besonderes daran? Dasselbe kann ja schon Tausenden an dem weinseligen Rhein widerfahren sein. Ja, der Unterschied liegt in den Personen selbst. Von Hinz und Kunz wird’s leicht vergessen; ganz anders sehen wir’s an, wenn wir erfahren, daß der Nüchterne noch heute als Oberst Sterzing in Wiesbaden lebt, und auch der Referendar hat später noch einigermaßen von sich reden gemacht, denn es ist kein Anderer gewesen, als Fürst Bismarck.


Warnung. Herr A. Kilian in Neuwied zeigte in den der Gartenlaube beiliegenden Annoncen, die mit der Gartenlaube selber natürlich in keiner Verbindung stehen, eine Flohfangmaschine unter dem Titel „Attrape-Puces à Caire“ – „dieses im Orient so beliebte Damengeschenk“ an, Preis 15 Ngr. mit Postnachnahme.

Ich ließ mir, um diesem Schwindel auf die Spur zu kommen, eine schicken – kostete mit Postnachnahme 21 Ngr. und enthielt: eine kleine durchlöcherte lackirte Blechbüchse, mit einem Holzzapfen darin, die recht gut – mit dem daranhängenden seidenen Band für 3 Ngr. herzustellen ist.

Neben dem Blech lag eine Gebrauchsanweisung: Flohfangmaschine à 15 Ngr., Fangtinctur direct aus Cairo bezogen à Flacon 10 Ngr.

Das Flacon folgte aber nicht bei, sondern man müßte es jedenfalls noch apart wieder mit Postnachnahme verschreiben, und erhielte dann für 10 Ngr. ein Fläschchen Quassia-Extract, das für einen Groschen herzustellen ist – mit dem wird dann der Holzzapfen bestrichen und daran sollen sich die Flöhe fangen. Hoffentlich läßt sich das Publicum von diesem Schwindel nicht fangen.

Friedr. Gerstäcker.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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