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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


in dem der Jubel allmählich versank. Von allen den reichbewegten Bildern aber und all den heitern wie rührenden Scenen, welche uns auf’s Neue vor die Seele treten, während wir, zum ersten Male nach Monaten, durch Linden und Brandenburger Thor in den Thiergarten hinausschlendern, bleibt unsere Erinnerung wieder und wieder auf einer Gruppe haften, denn in ihr gipfelt wie das äußere so zugleich das innere, das geistige und nationale Interesse des weltgeschichtlichen Festes. Es ist dieselbe, mit welcher der berühmte Düsseldorfer Meister die gegenwärtige Nummer der Gartenlaube geschmückt hat: Wilhelm der Siegreiche mit seinen Paladinen, mit dem hellstrahlenden Dreigestirn Bismarck, Moltke und Roon und mit den glorreichen Marschällen und Führern des deutschen Heeres.

Die Gestalten sind uns längst vertraute. Unzählige Male haben unsere Augen auf ihnen geruht, auf den leibhaftigen Männern und auf ihren Conterfeis, wie diese jetzt, in jeglichem Grade der Vollendung und Abscheulichkeit, Heimath und Fremde überschwemmen; allein wir können uns nicht versagen, unsere Blicke stets von Neuem auf sie zu richten, wann und wo sie in unsern Gesichtskreis treten. Nicht weil sie alle so mannhaft-deutsche, so vornehm-stattliche Erscheinungen sind, sondern weil wir in ihnen die Schöpfer und Träger der neuen Aera verehren, welche Deutschland für alle Zeiten aus der Schattenhaftigkeit des bloßen geographischen Begriffs zur staatlichen Wirklichkeit erhoben und das verlorengegangene Reich in einer Herrlichkeit wieder aufgerichtet hat, vor der selbst sein alter Glanz erbleichen muß. Darum und weil schon ihre äußere Persönlichkeit darthut, daß sie nicht zu den Dutzendmännern gehören, weil vielmehr sich in Physiognomie und Haltung unverkennbar die geistige Bedeutung ausprägt, welche sie zu dem gemacht hat, was sie uns geworden sind – darum dürfen wohl auch wir, die sonst das schlichte Bürgerkleid sympathischer zu berühren pflegt als die bänder- und sternenbedeckte Uniform, mit warmer Theilnahme die hohen Reiterfiguren betrachten, welche der Griffel des genialen Künstlers so lebens- und wirkungsvoll veranschaulicht, ebenso wie wir, begeistert gleich den Tausenden um uns her, aus vollem Herzen unser Hurrah losgejubelt haben, als sie an der Spitze unserer tapferen Brüder, mit denen sie getreulich Nöthen und Gefahren getheilt, den beispiellosen Triumphzug eröffneten.

Kaiser Wilhelm, der Greis von mehr als siebenzig Jahren, der noch heute so fest und gerade im Sattel sitzt, wie ein Mann in der Fülle seiner Kraft, ist nach seiner äußern strammen, stattlichen Erscheinung schon so oft und in so beredten, glänzenden Farben geschildert worden, daß wir den Lesern der Gartenlaube hier kein in die Einzelnheiten gehendes Bild des Mannes zu geben brauchen, der, bedürfnißloser als der jüngste Lieutenant, mit frohem Muthe die Beschwerden eines langen Feldzugs auf sich genommen und seinen Thron zum mächtigsten der Gegenwart gemacht hat. Kaiser Wilhelm ist vielleicht nicht der Idealkopf, nach dem sich der Bildhauer einen Karl den Großen oder Barbarossa modelliren möchte; sein Kopf hat nichts gemein mit dem Haupte eines römischen Imperators, dessen Blick uns erstarren macht wie der Blick der Medusa; nichts mit den wie aus Stein gemeißelten Zügen eines Napoleon des Ersten, welche uns bannen mit unheimlichem Zauber – aber er ist deutsch durch und durch, der echte Hohenzollernkopf. Daß in seiner Erscheinung, in seinem ganzen Wesen das Soldatische vorwaltet, ist bekannt. Er liebt das militärische Element in seinem Staate und pflegt es mit um so größerer Vorliebe, nachdem er ihm so weittragende Erfolge verdankt. Hoffen wir denn, daß das Leben seines Nachfolgers zwar nicht lassen möge von der alten tüchtigen Art, aber das Leben eines Bürgerkaisers werde, dem die Uniform nicht höher gilt, als der Civilrock, und die Heldenthat auf dem Schlachtfeld nicht höher, als der Sieg im Wettkampf des Geistes – und wir haben Ursache zu glauben, daß sich unsere Hoffnung verwirklicht.

Wilhelm der Erste hatte noch nicht den Thron bestiegen, er war noch Prinz von Preußen, als er einst an einem Julitage nach Frankfurt am Main kam. Das gesammte diplomatische Corps des Bundestages hatte sich am Bahnhofe aufgestellt, den erlauchten Reisenden zu empfangen, darunter ein hochgewachsener, breitschulteriger Mann in den dreißiger Jahren und mit der Uniform eines einfachen Landwehrlieutenants. Die meisten der übrigen Herren Gesandten, Legationsräthe und Legationssecretäre erstickten fast unter der Last von Kreuzen und Sternen und Bändern auf ihrer Brust, der Officier war mit einer einzigen Decoration erschienen, der simplen Medaille „für Rettung aus Gefahr“, die ihm zu Theil geworden, weil er „die Gewohnheit hatte, gelegentlich einmal Menschen das Leben zu retten“, und hätte sich auch mit keiner andern schmücken können, aus dem triftigen Grunde, weil er keine andere besaß. Der Mann war zwar schon eine politische Persönlichkeit, hatte im Vereinigten Landtage, in der preußischem zweiten Kammer, im Erfurter Parlament als Heißsporn unter den Hochconservativen sich einen Namen erworben und bei allen Liberalen zu einer Art Popanz gemacht, als die Verkörperung des rücksichtslosesten, hochmüthigsten Junkerthums, in diplomatischer Schule aber war er nie gewesen, ja er hatte, nach seiner eigenen Erzählung, überhaupt nur zweimal ein Universitätscolleg besucht, „im Dienste“ es nicht weiter gebracht, als bis zum Referendarius und nachher das Amt eines Deichhauptmanns bekleidet. Ehe er sich verheirathete, hatte er in Berlin, in der Mark, in Pommern, auf Reisen ein ziemlich wildes Leben geführt, so daß man ihn weit und breit den „Tollen“ hieß und seine Schwiegereltern nur mit Widerstreben die Hand ihrer Tochter in die seinige legten. Trotz alledem aber war er von seinem Gönner Friedrich Wilhelm dem Vierten zum preußischen Gesandten am Bundestage zu Frankfurt am Main bestimmt.

Der Prinz von Preußen mochte das offene, frische Wesen des neu creirten Diplomaten wohl leiden, allein daß derselbe so ganz ohne Weiteres mit dem wichtigen und gerade in jenen Tagen besonders heiklen Posten eines Bundestagsgesandten betraut werden sollte, das wollte ihm nicht in den Kopf, und er unterdrückte seine diesfälligen Bedenken gegen den ergrauten Gesandten nicht, den der Landwehrlieutenant und Deichhauptmann zu ersetzen ausersehen war.

So viel wir wissen, ist dies die erste mehr als oberflächliche Begegnung des nachmaligen deutschen Kaisers mit seinem nachmaligen Reichskanzler gewesen – denn der Diplomat in der Lieutenantsuniform war der märkische Junker Otto von Bismarck-Schönhausen, derselbe reckenhafte Mann mit den vorstehenden, großen graublauen Augen, dem bleichen Gesicht und dem dicken kranzartigen Schnurrbart um die vollen Lippen, den wir dort auf dem schweren dunkelbraunen Rosse seinem Kaiser voraus reiten sehen; nicht mehr in unscheinbarer Lieutenantsuniform, sondern in Generalsgala, das orangefarbige Band des Schwarzen Adlers über der Schulter – nicht mehr Otto von Bismarck-Schönhausen, sondern Bismarck schlechtweg, Fürst-Reichskanzler des neuerstandenen Deutschlands, und im vollen Ernst der „populärste Mann“ nicht blos Deutschlands, sondern der Welt, wie er dies, seinen Gegnern zum Hohne, vor neun Jahren geweissagt. Ob er es selbst geglaubt? Wer, außer ihm allein, vermöchte dies zu entscheiden?

Daß er in Wirklichkeit dieser populärste Mann unserer Zeit geworden, was beweist dies schlagender, als die Thatsache, daß sich bereits ein Mythenkreis um ihn zu ziehen begonnen hat. Gleich allen im eminenten Sinne populären Menschen, wie Friedrich der Zweite, Napoleon der Erste etc., umspinnt auch ihn schon ein Gewebe von Aussprüchen und Anekdoten, von denen es schwer ist zu sagen, wo die Wahrheit aufhört und die Dichtung anfängt, welche aber alle wahr sein könnten, weil sie Geist und Wesen des Mannes, seine offene, rücksichtslose, joviale, schlagfertige, sarkastische, geniale Natur, charakterisiren. Solcher „Bismarckiana“ haben wir bereits Legion. Zahllos sind die „geflügelten Worte“, die man ihm mit Recht oder Unrecht in den Mund legt, existiren doch schon mehrere Sammlungen davon. Ebenso besitzen wir bereits umfängliche Darstellungen von Leben und Wirken des mächtigen deutschen Reichskanzlers, und keine Woche vergeht, ohne daß eine oder die andere Zeitung irgend ein pikantes Dictum oder Factum Bismarck’s auftischt. Daß viele derselben ihm in der That ihren Ursprung verdanken, werden am besten die Mitglieder der verschiedenen Land- und Reichstage bezeugen können, die so manchmal über seine witzigen Bemerkungen und Entgegnungen gelacht haben, auch wenn seine Pfeile ihnen im Fleische staken.

Gewiß, ein populärer Mann wie kein zweiter der Gegenwart, das ist Bismarck. Wo er sich zeigt, und ob auch neben seinem Kaiser, neben Moltke, neben dem Kronprinzen, neben allen Heerführern des letzten Kriegs, immer wird er es sein, welcher zunächst den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses bildet. „Bismarck! Bismarck!“ läuft es durch die Reihen des Volks,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_671.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)