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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


er erst nach mehreren Tagen mit reicher Jagdbeute in der Ansiedlung wieder an.

Sein Vater, der die jüngeren Kinder nach amerikanischer Weise als Gottessegen ansah, weil sie ihm von früh auf tapfer bei der Arbeit halfen, ließ diesem Einen Sohn die merkwürdigste Freiheit, dafür arbeitete Aloys aber auch für zwei, wenn zur Zeit des Pflügens, Säens und Einschneidens die Geschäfte sich drängten.

Die Mutter des Aloys war vor einem Jahr gestorben. Mit deren Tode kam über ihn ein neuer Geist. Ein Wanderapostel der Mäßigkeitsvereine war um jene Zeit in diese entfernten Gebiete vorgedrungen und hatte auf der Farm für eine Nacht gastliche Aufnahme nach Hinterwäldlersitte gefunden. Von diesem nahm der Knabe aus eigenem Entschluß die Medaille, die ihn zur Enthaltsamkeit von allen geistigen Getränken verpflichtete, und wenn der Vater bei der Feldarbeit den Kindern einen Whisky einschenkte oder Sonntags ein Glas guten Weines gab, verschmähte er jede Stärkung dieser Art. Man bemerkte im Dorf, daß er seit dem Tod der Mutter auch sonst einsamer und ungeselliger in Gemüth und Sitten wurde und immer länger in Wald und Steppe sich umtrieb.

Diesmal kam aber seine rastlose Jäger- und Reiternatur allen Nachbarn zum Segen. Seit der Indianergefahr war er wie von innerer Unruhe verzehrt. Jeden Abend nach dem Nachtessen lud er die Flinte frisch, bestieg sein Pferd und schweifte nach der Steppe hinaus; oft kehrte er erst gegen die Morgendämmerung zurück, aber seiner starken Natur genügten die paar Stunden Schlaf, um am Morgen wieder mit allen übrigen Hausbewohnern die Sichel oder Sense zu schwingen. Alles kannte seine Tüchtigkeit, und seine Meldung in jener Nacht: die Indianer kommen! wurde aufgenommen, als ob ein reifer Mann sie ausgesprochen hätte.

„Die Indianer kommen,“ sagte er ruhig und leise zu den lauschenden Männern. „An der Creek, drei Stunden von hier, haben sie am Abend ihr Lagerfeuer gezündet. Sie schlachteten und brieten einen Ochsen von unsern Nachbarn, und im Mondlicht malten sie ihre Gesichter mit der Kriegsfarbe.“

„Woher weißt Du das?“ fragte der Vater.

„Ich sah das Feuer fern auf der Prairie,“ antwortete Aloys. „Da ließ ich das Pferd im Gebüsch an der untern Creek zurück, kroch und watete durch’s Flußbett bis zum Lager hinauf. Ich war ihnen so nahe, ich sah den Feuerglanz in ihren Augen sich spiegeln. Hunde haben sie keine mit, sie mögen wohl fürchten, daß ihr Bellen sie verrathen könnte. Als sie aufbrachen, bin ich durch die Creek bis zum Pferd zurückgewatet; sie können keine Fährte von mir spüren, sie wissen sicher nicht, daß wir gewarnt sind, und in einer Stunde sind sie hier.“

„Du bist ein braver Bursch,“ sagte Straites, ein Anglo-Amerikaner unter den sonst deutschen Ansiedlern. „Capitain Wölfling,“ wandte er sich an des Aloys Vater, „hier stellen wir uns Euch zu Dienst, commandirt uns, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

„Aber wohl haben wir noch Zeit für einen kurzen Kriegsrath,“ sagte der Capitain. „Was meint Ihr Herren? Wir sind hier einundzwanzig Männer, die Buben eingerechnet, die auch ihr Gewehr zu führen wissen. Jeder hat seinen Fiveshooter, zwölf haben Bajonnete auf den Flinten, die andern haben gute Büchsen. Wie stark schätzest Du den Feind, Aloys?“

„Es sind nicht unter fünfzig und nicht über sechszig Indianer,“ sagte mit fester Bestimmtheit der Knabe.

Wäre die Nacht nicht dunkel gewesen, man hätte doch bei dieser Zahl einige Gesichter erbleichen sehen. Der Capitain aber entgegnete ruhig. „Im schlimmsten Fall also nur Drei auf Einen, und wir haben bessere Waffen und wehren uns um Weib und Kind, um unser Leben und unser wohlerworbenes Eigenthum. Also, was machen wir? Fünf Häuser und Haushaltungen sind. Sollen wir vier Mann in jedes Haus legen und aus den Fenstern schießen?“

„Unmöglich,“ sagte der Amerikaner. „Nur wenn wir zusammenwirken, können wir über die Ueberzahl siegen. Fallen sie Ein Haus an, da müssen die Anderen doch heraus, um zu helfen, und dann schießen die Indianer die Abtheilungen einzeln nieder. Wir müssen alle Häuser preisgeben bis auf Eins, in das versammeln wir alle Weiber und Kinder, und das eine vertheidigen wir.“

„Das muß Euer Haus sein, Capitain,“ sagte einer der Nachbarn, „denn es ist das festeste und hat die meisten Fenster zum Schießen.“

„Aber,“ warf der kleinere deutsche Ansiedler ein, „soll ich mein Haus abbrennen lassen und einem Anderen seines vertheidigen?“

Der Capitain erwiderte ruhig. „Was Einem zerstört wird, ersetzen wir Alle. Ist das Euch recht?“

„Recht, Capitain!“ tönte es von allen Seiten.

„Also die Frauen und Kinder schnell hierher in dies Haus,“ sagte Straites. „Und wir mit den Büchsen an die Fenster!“

„Capitain Wölfling,“ sagte Aloys, „wollt Ihr und die Männer mir gestatten, daß ich Euch eine andere Meinung sage? Ich habe mir’s überlegt auf dem Ritt hierher.“

„Sprich, Junge, wenn Du etwas Vernünftiges weißt!“

„Also,“ sagte Aloys, „es handelt sich nur um die Pferde. Die Indianer wollen die Pferde vor Allem, auch schon, damit Keiner von uns ihnen entwischen kann. Haben sie die Pferde, so hilft es uns nichts, wenn wir auch siegen, denn sie reiten uns in die Prairie hinaus und treiben auch die Kühe mit sich. Die Pferde, meine ich also, werden sie zuerst zu bekommen suchen und die Pferde müssen wir vertheidigen.“

Die Gründe des Knaben waren so schlagend, daß sie den kleinen Kriegsrath augenblicklich überzeugten. Ein beistimmendes Gemurmel sagte dies dem Capitain.

„Wir sollten,“ fuhr Aloys fort, „zwölf Pferde zäumen, satteln und festpflöcken, damit wir sie nachher verfolgen können, wenn sie fliehen. Dann möchte die Halbscheid von uns, die mit den Bajonneten, sich hinter den Pferdezaun dicht neben dem Gatter in’s Versteck legen. Durch’s Gatter werden sie eintreten wollen, um die Pferde zu fangen, dort empfängt man sie durch den Zaun mit einer Salve und stürzt durch’s Gatter mit den Bajonneten auf sie los.“

„Und die andere Halbscheid von uns?“

„Nun,“ sagte Aloys, „wenn sie beim Roßgatter im Schrecken auseinanderfliegen, so werden sie einzeln in den Wald zu entkommen suchen, wo er ihnen am nächsten ist. Da finden unsere Kugeln sie nicht mehr, sie könnten dort sich sammeln und uns am Ende noch einmal angreifen. Diesen Rückzug müssen wir ihnen abschneiden. Laßt uns die übrigen zehn Mann in drei getrennten Posten hinter dem Zaune aufstellen, der am Walde hinläuft, und wenn sie auf der Flucht ankommen, schießen wir sie dort zusammen. Halten sie aber Stand bei den Pferden, so fallen diese drei Abtheilungen ihnen in den Rücken.“

Der Knabe hatte ganz ruhig, ganz bescheiden gesprochen und trat jetzt aus dem Kreise der Männer hinter seinen Vater zurück. Dieser sagte:

„Es dünkt mich gescheidt, was Aloys meint – aber Ihr sollt entscheiden.“

„Yes, the boy is right,“ sagte Straites, „und so muß es gehen.“

„Alle elf Bajonnete also hinter den Roßhag, dicht bei dem Gatter!“ befahl der Capitain.

„Diese Abtheilung laßt mich commandiren, als Euern Lieutenant!“ verlangte der Amerikaner. „Ihr, Capitain, solltet den äußersten Posten am Walde einnehmen, wo Ihr Alles übersehen und zu rechter Zeit eingreifen könnt.“

„Also trennen wir uns!“ rief Wölfling. „Merkt, Ihr Elf: keinen Schuß, bis der Feind das Gatter fast erreicht hat und der Lieutenant Feuer commandirt. Aloys,“ fragte er leise, „wo willst Du stehen?“

„Allemal auf dem äußersten Posten, und bei Euch, Capitain.“

Die kleine Truppe vertheilte sich; die Frauen kamen weinend mit den schlaftrunkenen Kindern auf dem Arme und zogen in das große Haus ein. Die Mannschaft für die drei Posten am Walde war eingetheilt und legte sich hinter den hohen Zaun in den Hinterhalt. Elf Pferde waren gesattelt und gepflöckt, der Lieutenant schritt durch’s Gatter in den Roßhag und befahl seinen Leuten, sich hinter dem Zaune niederzulegen.

Alles dies ging schneller, als wir es erzählen konnten; auf die rasche Aufregung folgte wieder die lautlose Stille der Nacht. Im Hause des Capitains hörte man nur noch ein Kind weinen, das aus dem Schlafe geschreckt war, und den leisen Gesang der Mutter, die es auf ihrem Schooße wieder einwiegte. Auch das Kind wurde endlich still, der Gesang der Mutter verstummte – und nichts mehr hörten die Männer, als das erwartende Klopfen ihrer eigenen Herzen.

Wie lange diese Stille dauerte, hätte nachher Keiner von ihnen berichten können. Unsäglich langsam schleichen auch dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_662.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)