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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Von der Roseninsel eines Königs.


Selten war die Zeit der Rosen so früh schon eingezogen bei uns, selten eine so schöne gewesen, wie im Frühsommer eines der letzten Jahre. Der Strauch der Heckenrose am Zaune des Feldes war nicht minder reich mit Knospen und Blumen überdeckt, als das Remontantenbäumchen in den sorglich umhegten Gärten der Stadt und als der schlichtgrüne Busch der wundervollen, durch nichts an Duft, Farben und Form erreichten hundertblättrigen Rose, die freilich vor dem mannigfaltigen Reiz der eingewanderten Schönen sich auf’s Land geflüchtet hat und eine Bäuerin geworden ist. Es liegt etwas Zauberhaftes in dem Dufte dieser Blume, zumal wenn er von einer größeren Anpflanzung verstärkt und verdichtet einherweht; wenn er in den Harzgeruch der Tannenwälder sich mischt, deren kräftiges, männliches Grün sich zu Duft vergeistigt hat, ist es, als ob hier das zarteste jungfräuliche Roth in Aetherform uns begrüße. Dabei steigt vor dem Erzähler die Erinnerung an ein Fleckchen Erde empor, auf welchem eine der schönsten Sammlungen von Allem, was Rose heißt, vereinigt ist – wenn irgendwo auf Erden das Märchen von der Liebe der Nachtigall zur Rose wirklich gespielt, so muß hier dessen Schauplatz gewesen sein.

Dies Fleckchen Erde ist die Roseninsel im Würmsee in den oberbairischen Bergen.

Bekanntlich wird der Würmsee im Volksmunde nach dem an seinem nördlichen Ufer gelegenen Markte Starnberg benannt, der, noch zu Anfang des Jahrhunderts nur von irgend einem einsam wandernden Naturfreunde, wie Lorenz Westenrieder, besucht und beschrieben, seit seiner Entdeckung und zumal seit Herstellung der Eisenbahn eine Art Vorstadt von München geworden ist; eine beträchtliche Anzahl reicher Leute hat sich schöne Landhäuser gebaut, und es ist wohl zu glauben, daß in weiteren dreißig Jahren der ganze See von einem Kranze reizender Villen und Ansiedlungen eingerahmt sein wird. Andere und zwar sehr Viele beziehen wenigstens auf ein paar Monate oder Wochen eine Miethwohnung in einem der Uferdörfer und begnügen sich mitunter mit der ärmlichsten Bauernstube, nur um ihre „Sommerfrische“ zu haben – ein völlig einheimisch gewordener Begriff, wenn auch die Benennung zunächst von den benachbarten Tirolern eingewandert ist, welche in den südlichen Gegenden regelmäßig aus den heißen Thälern in die frischen Berge flüchten. Alle aber machen wohl mindestens eine Fahrt an den Starnberger See. Da hallt es dann in den Wäldern von den Chören der Liedertafler oder Turner, von den Gesängen der Studenten oder Maler, die unser vortreffliches Bild eben bei munterer Landung zeigt, der irgendwo eine romantische Lagerung folgen wird; in den Dörfern am See wimmelt es von Gästen, welche Keller und Hühnerstall entvölkern und erst spät Abends sich verlaufen, um Reich und Herrschaft den ständig eingemietheten Sommerfrischlern endlich zu überlassen. Am ganzen See ist kaum ein Haus, sicher kein Ort, der nicht städtische Sommergäste aus aller Herren Landen beherbergte – hier mehr, dort weniger, je nach der Mode, und je nachdem von dem einen oder anderen Orte besonderes Rühmen gemacht wird. Es giebt daher der Klagen viele, welche, wenn sie so glücklich sind, eine noch unentweihte Scholle zu entdecken, diese Wissenschaft wie ein kostbares Geheimniß für sich und ihren nächsten Kreis bewachen und dem Ort, wenn ja die Rede darauf kommt, lieber verleumden und schlecht machen, um nur vielen Besuch und den Alltagsstrom abzuhalten. –

Es war ein herrlicher Morgen in der ersten Rosenzeit, als das Dampfschiff dem Gestade, auf welchem Starnberg in Abstufungen hinansteigt, den Rücken wendete und wieder zum ersten Mal den Bergen entgegenrauschte, die sich in lockender Ferne emporhoben; ein duftiger Flor hing darüber, wie ein Schleier, welcher ein schönes Antlitz noch verschönt, indem er es zu verhüllen scheint. Es war frisch und kühl auf dem Deck, die sommerliche Völkerwanderung begann erst in einzelnen Vorläufern; man hatte volle Freiheit, dem Zuge der Berglinien zu folgen, von der breiten Benedictenwand an zum schroffgezackten Karwendel, über Heimgarten und Herzogstand hinweg bis zu der das felsige Wettersteingebirge abschließenden Zugspitze – ein einsamer riesiger Thron, welcher des ihn bewältigenden Fürsten zu harren scheint. Die Gesellschaft war noch klein; sie bestand außer einigen Landleuten aus einem Häuflein Studenten, welche zum ersten Mal einen Ausflug in’s Hochland zu machen vorhatten und in einer Art feierlicher Scheu die fernen Säulen des Tempels betrachteten, dessen Geheimnisse sich ihnen nun so bald erschließen sollten.

Bald war die Haltestelle zu Possenhofen erreicht, von welcher der Pfad den See entlang durch Wiesen und unter prachtvollen Gruppen alter Buchen sich dahinschlänget und in eine nicht minder schöne Parkanlage führt, in die auf Geheiß des verstorbenen Königs Maximilian von Baiern das ganze Gestade umgeschaffen wurde. Die schönen Ufer mit ihren malerischen Hängen, Matten, Wäldern und seltenen alten Bäumen sind dadurch für alle Zeit der zerstörenden Gier der Habsucht, wie dem sich abschließenden Dünkel der Eigensucht entzogen: sie sind ein Gemeingut geworden „für alle Wanderer, die des Weges fahren“ und dankbar des Königs gedenken, der ein Freund der Menschheit im schönsten Sinne des Wortes war und mit ihr Frieden haben wollte wie mit seinem eigenen Volke. Deshalb war er auch ein Freund der Natur und flüchtete zu ihr in die Einsamkeit, wo und wie er es nur konnte, und wenn es durchaus unmöglich war, da gebrauchte er seine königliche Macht und ließ sie zu sich kommen, und so entstanden die Anlagen mit Alleen, Gebüsch- und Blumengruppen in den Straßen und zwischen den Steinmassen der Paläste, so verwandelte er die unwegsamen, häßlichen und sogar gefährlichen Isaranhöhen des Gasteigs in einen fortlaufenden Garten und baute sich einen anmuthvollen Wintergarten neben seiner Königsburg.

In den erwähnten Parkanlagen sollte ein großes Schloß gebaut werden und Alles in sich vereinigen, was Wissenschaft, Kunst und Dichtung des Schönen und Edlen zu bieten vermögen; der kaum begonnene Bau gerieth mit dem Tode des Königs in’s Stocken, der Park aber ist geblieben und ebenso das schräg gegenüberliegende Eiland, das, von Gebüsch und hohen Bäumen eingerahmt, jeden Einblick in sein Inneres abwehrt.

Das eben ist die Roseninsel, auch eine der Schöpfungen König Maximilian’s, und zwar eine seiner liebsten, eine der wenigen, an deren Vollendung sich zu erfreuen ihm selbst noch vergönnt war. Mit der Erlaubnißkarte des Hofmarschallamts in der Tasche kann man ihr getrost nahen; ohne diese versagt der Fischer die Ueberfahrt in das kleine Paradies unerbittlich; denn der Verlust des Dienstes hängt über ihm, wie das feurige Schwert der Paradieswächter.

Wenige Ruderschläge genügen, den schmalen Wasserstreifen zurückzulegen, welcher das Inselchen vom Lande trennt, mit dem es früher zweifellos zusammenhing. Bis ganz zuletzt stand hier das Wohnhaus einer Fischerfamilie, die es aber, nachdem es niedergebrannt war, nicht wieder aufbaute, sondern auf das Festland übersiedelte. Die Insel ging dann käuflich an König Maximilian über, der sich in ihr eine Zuflucht für jene philosophische Ruhe und Beschaulichkeit erschuf, welche er so sehr liebte. Ein einfaches Gebäude halb im englischen Cottage-, halb im italienischen Stil mit einem Thurm, der eine herrliche Rundschau gewährt, entstand an der Stelle des Fischerhauses, von dem jetzt in Wien lebenden Architekten Kreuter analog der früher gleichfalls von ihm erbauten, jüngst in der „Gartenlaube“ erwähnten Elsholtz’schen Villa hergestellt.

Die Gemächer des Hauses fallen dem Besucher sofort durch die Einfachheit ihrer Haltung und Einrichtung auf, aber gerade dieses fügt sich so recht in die stille Harmonie des Ganzen. Nord- und Westseite sind fast ganz vom dunkelgrünen üppig wuchernden Epheulaube bedeckt, während an der Veranda der Ostseite wilde Weinreben, Geisblatt und dergleichen sich emporranken und in vielfachen Verschlingungen sich so fest umarmen, als wollten sie für alle Ewigkeit nicht von einander lassen – ein Bild deutscher Treue und Beständigkeit.

Vor dem Hause steht eine Säule mit einer hübschen weiblichen Statuette, einer Jägerin, welche den Falken von der Faust steigen läßt. Der Schaft der Säule ist der Länge nach blau und weiß gestreift, während Sockel, Capitäl und Statuette vergoldet sind und im Strahle der Sonne hell glänzen. Das Ganze ist ein Geschenk des verstorbenen Königs Friedrich Wilhelm des Vierten von Preußen, welcher einstmals mit König Max auf der Roseninsel dinirte und zum dauernden Andenken hieran die Säule für seinen Gastfreund gießen ließ. Zwei ähnliche Säulen kamen dann auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_651.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)