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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


ist. So sind denn auch die bekannten „sieben Fuß Erde“ eine leere Redensart geblieben, deren Erinnerung einen fast komischen Eindruck macht. – Ebenso verhielt es sich mit den vielen Proclamationen, Tagesbefehlen, Begünstigungen etc., die Manteuffel in die Oeffentlichkeit schickte. Sie stachen seltsam ab gegen die soldatische Einfachheit und stolze Knappheit in den Publicationen der übrigen Generale, besonders des Kronprinzen und des Prinzen Friedrich Karl, die doch wahrlich nicht weniger zu publiciren hatten als der Führer der Nordarmee. Auch die edle Bescheidenheit Werder’s hob sich in einem solchen Gegensatz vortrefflich ab und rechtfertigte die vielfach laut sich äußernde Freude, daß es dem Helden von Belfort vergönnt war, die entscheidenden Schläge gegen Bourbaki vor Manteuffel’s Ankunft zu führen.

Den unbestreitbarsten Beweis der Neigung zu Ueberhebung und scharfer Empfindlichkeit auf Seiten des Letzteren hat jüngst die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ in ihrem vielbesprochenen Artikel über Herrn von Manteuffel geliefert, dessen Inhalt aller erfolgten Angriffe ungeachtet durchweg wahrheitsgetreu ist. Wie dort ganz richtig angegeben worden, richtete Manteuffel nach dem Friedensschlusse von 1866 an den König ein Schreiben, in welchem sich seine verletzte Eitelkeit auf eclatante Weise documentirte. Daß er nicht den Schwarzen Adlerorden erhalten und bei den Dotationen übergangen worden, machte er zum Inhalte so maßloser Beschwerden, daß die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand als die einzig mögliche Antwort befunden wurde. Wenn Herr von Manteuffel gegen diese Aufstellung die Behauptung durch die Zeitungen bei den Gebeinen seines Vaters erhärtet hat, daß er niemals einen unehrerbietigen Brief an Seine Majestät geschrieben, so ist das wohl etwas sophistisch, denn den bezeichneten Brief geschrieben zu haben, kann er nicht leugnen, und über die Schicklichkeit der Form ist von der höchsten Stelle ein Urtheil gefällt worden, dessen Gerechtigkeit das Publicum den Remonstrationen des Betheiligten zum Trotze zu bezweifeln keinen Grund hat.

Daß eine Empfindlichkeit, die selbst vor einer von dem General nach der eigenen Versicherung auf das Höchste verehrten Autorität nicht zurückweicht, überall, wo ein persönliches Zusammenwirken stattfindet, peinlich berühren muß und es nicht zu derjenigen Anerkennung des Verdienstes kommen läßt, zu welcher die militärische Leistungen berechtigen, liegt auf der Hand, und ich glaube deshalb nicht zu irren, wenn ich dieser Schwäche eines unserer ausgezeichnetsten Feldherrn seine geringe Beliebtheit zum größten Theile zuschreibe.

Wenn noch ein anderer und gewichtigerer Vorwurf gegen Herrn von Manteuffel erhoben wird, so befinde ich mich in der angenehmen Lage, demselben auf das Entschiedenste entgegentreten zu können. Es ist nämlich hin und wieder ein Zweifel an der Aufrichtigkeit seines religiösen Bekenntnisses geäußert worden; ich habe mich aber vergeblich bemüht, irgend etwas zu finden, was eine so schwere Verdächtigung begründen könnte, und theile deshalb vollständig die Ueberzeugung seiner langjährigen Bekannten von der Offenheit seines Charakters und seinem Geradsinn. Wenn Eitelkeit und Empfindlichkeit ihn zu einem Abweichen von den Grundsätzen, die er für recht erkannt und erklärt hat, verlocken, so mag man diese Schwächen tadeln; den Charakter anzugreifen, ist man deshalb noch nicht berechtigt. – Ich will hier einen Vorfall mittheilen, der seiner Zeit zu sehr harten Urtheilen Veranlassung gab, der aber doch meines Erachtens auf eine mildere Auffassung Anspruch hat.

Nicht lange vor seinem Duelle mit Twesten hatte Herr von Manteuffel eine an ihn ergangene Forderung abgelehnt. Die Sache verhielt sich folgendermaßen. Der alte Generaladjutant und General der Cavallerie Graf von der Gröben, ein bekannter Freund des hochseligen Königs, war von seinem Gute Neudörfchen nach Berlin gekommen, um als Mitglied des Herrenhauses der Abstimmung desselben über die Aufhebung der Grundsteuereinheiten beizuwohnen, und meldete sich am Tage vor dieser Abstimmung im Laufe des Vormittags bei dem Könige. Dieser, dem die Durchführung des Gesetzentwurfes sehr am Herzen lag, nahm die Gelegenheit wahr, mit dem Grafen Gröben darüber zu sprechen, und gab ihm die Erwartung zu erkennen, daß er, Gröben, der Vorlage zustimmen werde. Dieser aber erklärte offen, daß seine Ueberzeugung von der Unzweckmäßigkeit oder Unbilligkeit des Gesetzes ihn nöthigen werde, gegen dasselbe zu votiren; es erfolgte hierauf eine einigermaßen erregte Rede und Widerrede, und der Schluß der Audienz war, daß Gröben nicht mit denjenigen Zeichen der Gnade, an die er sonst von Seiten seines königlichen Herrn gewöhnt war, entlassen ward. Einige Stunden später versammelte sich in dem königlichen Palais die zu dem Diner befohlene Gesellschaft; darunter General von Manteuffel und der älteste Sohn des Grafen von der Gröben, der Oberst und Flügeladjutant Graf Georg von der Gröben (jetzt Generallieutenant und in dem letzten Feldzuge als Commandeur einer Cavalleriedivision öfters genannt). Dieser war einer der ersten unter den Gästen, die in dem Empfangszimmer auf den Eintritt des Königs harrten; Herr von Manteuffel erschien etwas später und trat, als er den Grafen Gröben erblickte, mit der Frage an ihn heran:

„Sie hier? Wissen Sie nicht, was Ihrem Vater heute passirt ist?“

„Ich bin hierher befohlen worden,“ erwiderte Gröben.

„Es ist unpassend für den Sohn hier zu erscheinen nach dem, was heute dem Vater widerfahren ist,“ entgegnete Manteuffel. Diese Aeußerung kann ich nicht wörtlich wiedergeben, stehe aber für den Sinn.

Der Oberst Graf Gröben fand in diesem mit der militärischen Disciplin in keinem Zusammenhange stehenden Verweise eine Beleidigung und forderte den General von Manteuffel; dieser aber wies die Forderung mit den Worten zurück:

Ich bin ein Christ.“

Alle Achtung vor dem Manne, der den Muth hat, seiner christlichen Ueberzeugung gemäß ein Duell von der Hand zu weisen, insbesondere wenn er als Officier durch diese Handlungsweise mit den Ansichten seiner Standesgenossen in Conflict tritt, obwohl man in dem vorliegenden Falle zu der Bemerkung geneigt sein möchte, daß der Christ vor Allem jede Kränkung des Ehrgefühls eines Anderen zu vermeiden habe. Aber wie verhält sich das Benehmen des Generals von Manteuffel bei dieser Gelegenheit zu seinem Auftreten Twesten gegenüber? Darf der Christ die unter Officieren gebräuchliche Genugthuung dem von ihm Beleidigten versagen, oder solche fordern, wenn er sich selbst beleidigt glaubt? – Das waren Fragen, die auch Manteuffel’s Freunde einander vorlegten und sie bei der Nachricht von dem Twesten’schen Duelle in hohem Grade stutzen machten. Daß ein solches Abweichen von einem bei ernster Gelegenheit erklärten Grundsatze leicht zu einem nachtheiligen Urtheile über die Charakterfestigkeit und die Aufrichtigkeit des Grundsatzes führen mußte, ja daß das ganze Christenthum des Generals angezweifelt wurde, ist sehr natürlich; und doch wird die Annahme richtig sein, daß in dem Twesten’schen Falle nur der Stachel der gekränkten Eitelkeit Herrn von Manteuffel getrieben hat, von dem als recht erkannten Wege abzuweichen.

Ich will doch gleich noch bemerken, daß der Streit zwischen Manteuffel und Oberst Gröben friedlich beigelegt wurde. Auf die ablehnende Antwort des Ersteren trug der Letztere die Sache dem Könige vor und dieser, der in seiner großen Herzensgüte gewiß längst bedauerte, einem alten treuen Diener nicht seine volle Gnade gezeigt zu haben, befahl, den Zwiespalt ruhen zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, daß eine andere Duellgeschichte von europäischem Rufe, welche wie die Twesten-Manteuffel’sche auf politischem Terrain spielte – das BismarckVirchow’sche Drama, gleichfalls schon ein Vorspiel gehabt hatte, welches meines Wissens nur mit sehr bescheidenen Schritten die Bühne der Oeffentlichkeit betreten hat, ein allgemeines Interesse aber keineswegs entbehrt. Es mag daher auch einen bescheidenen Raum in diesen bunten Blättern einnehmen.

In dem Abgeordnetenhause hatte Virchow in einer Rede über den damals vielbestrittenen Militäretat sich gegen den Kriegsminister Herrn von Roon, der so eben die Regierungsvorlage vertheidigt hatte und sich noch am Ministertische befand, direct gewandt und energisch gegen ihn und die ganze Armeereorganisation argumentirt. Die von dem Redner gebrauchten Worte sind mir nicht mehr erinnerlich, können aber die Schranken der Redefreiheit und die Rücksichten, die dem Eifer der Improvisation gezollt werden müssen, nicht überschritten haben, da der zunächst Betheiligte, der Herr Kriegsminister selbst, zu einer Rüge oder anderen Schritten gegen Virchow keine Veranlagung nahm. Sehr unerwarteter Weise fand aber eine Intervention in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_649.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)