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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Deutsche Gräber in der Fremde.


Zu Anfang der dreißiger Jahre war es, als der deutsch-freiheitliche Vulcan zum ersten Male mit einigem Erfolge unterirdische Regungen zeigte und und durch häufige, von verhängnisvollem Rollen begleitete Bewegungen der Oberfläche seine Existenz bekundete.


Ruhestätte eines Regenten.


Constitutionen wuchsen aus der Erde, Wahlmänner und Landtagsabgeordnete machten die Gegenden der „alten, guten Zeit“ unsicher. Die Befreiungsgeschichte Griechenlands lebte noch frisch in den Gemüthern, Polens Flüchtlinge durchpilgerten Deutschlands freisinnige Oasen und wurden begeisterungsvoll ausgerüstet und von einer Grenze zur andern geschoben, um in der Schweiz, in Frankreich oder sonst wo das schützende Asyl zu finden. Julius Mosen’s, des Voigtländers, herrliche Polenlieder ertönten durch die Zeit zu Guitarre, Clavier oder der unvermeidlichen „Harfe“ Böhmens, so daß Hoffmann v. Fallersleben wirklich nicht ganz Unrecht hatte, wenn er etwas später über die musikalische Begeisterung jener Tage klagend ausrief: „In jedem Haus ein Klimperkasten!“ „Der alte Feldherr“ von Holtei bildete die künstlerisch-patriotische Tagesordnung, wo er nicht verboten war.


Ruhestätte eines von der Linken.


Zu jener Zeit war es, als droben in den Bergen des Obervoigtlandes in Sachsen, wir möchten fast sagen: auf der Giebelseite desselben nach dem herrlichen und fruchtbaren Egerlande hinaus, in einem alten, unansehnlichen Schlosse, eine Anzahl junger Männer beieinander saßen. In der hochgewölbten Inspectorstube spielte eine kurze politische Scene. Düster und kellerartig war der Raum, hell aber und frisch der Geist, der ihn belebte, erquickend dazu der schäumende, ehrliche Gerstensaft. So eine Gesellschaft war damals an sich schon halber Hochverrath. Aber kein Uneingeweihter wußte davon. Hier war einer der stillen Häfen, von denen aus die Flüchtlinge aller Art „durch die Wälder, durch die Auen“ und in allerhand kurzweiliger Gestalt hinüber nach Böhmen, nach Baiern und in’s Reich hinaus geschmuggelt wurden, zur gefälligen Weiterbeförderung.

Der zu jener Zeit dort installirte Inspector Rödiger – von 1812 bis 1815 freiwilliger Reitersmann im Befreiungskrieg, und mit dem eisernen Kreuze geschmückt, später aber im Jahre 1849 Landtagsabgeordneter der ersten Kammer in Sachsen – galt als Befehlshaber dieser „Insel der Freiheit“. Er erhob das Glas und trank „auf die schöne Zeit, die ihm gönnen werde, noch einmal, gemeinsam mit seinem Sohne,“ der als siebenjähriger Knabe im Fenster spielte, „zu Pferd’ zu steigen, für des Vaterlandes Größe und Freiheit!“

Man trank. Herrliche Gedanken umrankten die Zukunft. Unter den Anwesenden befanden sich zwei junge Juristen, Wilhelm Becker aus Adorf und Karl Todt aus Auerbach, beide echte, kernhafte voigtländer Naturen und schon einige Jahre später offene Träger der freiheitlichen Ideen und spätere Mustergestalten für den kleinen Knaben dort im Fenster und noch für viele Andere.

Die dreißiger Jahre rollten vorüber. Todt wurde wohlbestallter Bürgermeister des Städtchens Adorf, das bald als die Metropole aller Freisinnigen im Obervoigtlande galt und allwo die „Freigeister“, wie das Volk sie schüchtern nannte, von nah und fern ineinanderströmten, wie die belebenden Blutwellen zum menschlichen Herzen, vor- und rückwärts. Zuletzt wurde er Landtagsabgeordneter und als solcher namentlich berühmt durch die entschiedene Parteinahme, welche er in Dresden und unter den Augen der Allerhöchsten für das Volk zeigte. „Ich will für das Volk auftreten,“ rief er einmal in der Kammer aus, „da ohnehin nur Wenige sein werden, die diese Partei ergreifen.“

Ein andermal – irren wir nicht, so handelte es sich um die Verletzung der hannoverschen Verfassung – citirte Todt zum Schrecken aller politischen Wetterfahnen gar die Stelle aus Wilhelm Tell:

„Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last, – greift er
Hinauf getrosten Muthes in den Himmel
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die droben hängen unveräußerlich.“

Selbstverständlich sah er sich sofort vom Präsidenten unterbrochen und zur Ordnung gerufen; denn so Etwas war damals „wahrhaft entsetzlich“! –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_633.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)