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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ein verstohlenes Lächeln huschte durch seine Züge. „Das wäre nicht geschäftsmäßig,“ sagte er. „Wenn ich Ihnen das Capital gebe, dann genügt die Unterschrift der Frau Ilse nicht. … Ihren Namen werden Sie doch schreiben können?“ –

„O ja; aber Sie werden sehen, es sind schauderhafte Krakelfüße.“

Ich stieg auf die Estrade, setzte mich auf den gepolsterten Drehstuhl, den er mir zurechtschob, und sah vergnügt auf Fräulein Fliedner und Charlotte herunter, die Beide lachten. Wie lächerlich mochte aber auch die schmächtige Mädchengestalt mit der unförmlichen Rathsherrnkrause und den wilden Locken aussehen auf dem ehrwürdigen Comptoirstuhl, vor dem dicken, ernsthaften Folianten, über den sie kaum ihre kleine Nase zu erheben vermochte! … Ich lachte mit, und wie leicht kam mir das vom Herzen! Ich war ja so glücklich, daß ich das Geld für meine Tante erkämpft hatte.

Herr Claudius stützte seinen Arm auf den Schreibtisch, so daß seine Gestalt mich völlig von den Anderen schied. Ich ergriff die Feder und begann ein L zu malen.

„Das geht aber nicht,“ sagte ich und hielt inne, als ich bemerkte, daß er mich ansah. „Auf meine Hände dürfen Sie nicht sehen.“

„So, ist das verboten? Darf man fragen, weshalb?“

„Ei, sehen Sie das nicht selber? Weil sie so braun und abscheulich sind,“ sagte ich unumwunden und ein wenig geärgert darüber, daß er mich zwang, es auch noch selbst auszusprechen.

Er bog lächelnd den Kopf weg, und ich begann eifrig weiter zu schreiben – es gehörten doch aber auch gar zu viel Buchstaben zu dem Namen!

Da ging die Thür auf und der junge Herr trat eilig herein. Die feuerfarbene Nelke sprühte zu mir herüber, wie ein Gluthball – ich ließ die Feder fallen und legte die Hand über die Augen; mir war, als drehe sich die ganze Welt vor mir im Kreise.

„Onkel,“ rief er hastig, „ich bin mit dem Grafen Zell einig über den Preis – nur fünf Louisd’or mehr, als Du angenommen. … Ist Dir’s recht? Und willst Du Darling nicht einmal ansehen? Ich habe ihn in den Hof bringen lassen.“

„Herr Helldorf hat Dich gegrüßt, Dagobert,“ sagte Herr Claudius statt aller Antwort und zeigte auf den jungen Commis.

Dagobert neigte den Kopf flüchtig dankend hinüber und trat, sichtlich erstaunt und ergötzt über meine Situation am Schreibtisch, näher heran.

„Himmel, Dagobert, eine sentimentale Nelke im Knopfloch?“ rief Charlotte und schlug in die Hände. „Wie kommt denn die zu der Ehre?“

Dagobert lächelte verständnißvoll und schalkhaft zu mir hinüber. Ilse fing den Blick auf, der Allen auffallen mußte.

„Ach, thun Sie doch nicht, als wenn Ihnen die Kleine da oben die Blume geschenkt hätte!“ sagte sie trocken. „Er hat das arme Ding mit seinem Stock vor unseren Augen geköpft und läßt es nun auch noch in seinem Knopfloch elend umkommen,“ wandte sie sich erklärend, zum allgemeinen Ergötzen, an die Umstehenden.

Der junge Herr zuckte, in das Gelächter einstimmend, die Achseln.

„Aber wie ist’s denn nun, Onkel Erich, darf ich Dich bitten? Willst Du nicht mitkommen?“ fragte er, indem er die Sache auf sich beruhen ließ.

„Geduld – erst muß ein Geldgeschäft erledigt werden,“ sagte Herr Claudius. „Nun?“ wandte er sich wieder zu mir und nahm seine frühere Stellung ein.

Die Feder lag noch auf der Quittung, ich hatte jetzt beide Hände über das Gesicht gelegt, denn ich fühlte, daß es glühendroth sein müsse.

„Ich kann nicht,“ flüsterte ich.

„Gehe hinaus, Dagobert, damit kein Unfug im Hofe geschieht,“ gebot er. „Ich komme in wenig Augenblicken.“

Der junge Herr verließ das Zimmer.

„So, nun schreiben Sie,“ sagte Herr Claudius beschwichtigend zu mir und heftete seine blauen Augen durchdringend, aber freundlich auf meine heißen Wangen.

Ich vollendete die letzten Züge und schob ihm das Blatt hin. Zugleich griff ich nach seiner Hand; es geschah zum ersten Mal in meinem Leben einem Fremden gegenüber. „Ich danke Ihnen!“ sagte ich aus vollem Herzen.

„Wofür denn?“ fragte er in gütigem Ton zurück, Hand und Dank ablehnend. „Wir sind einfach in Geschäftsverbindung getreten, und dafür dankt man nicht.“

Ich stieg vom Fenstertritt herunter und legte meine Arme um Ilse’s Hals – ihr finsteres Gesicht ängstigte mich über die Maßen. „Ilse, sei gut,“ bat ich. „Das mußte sein. Siehst Du, nun kann ich auch wieder ruhig einschlafen.“

„Ja, ja, die Ilse ist nun auf die Seite geschoben und hat nichts mehr zu sagen,“ versetzte sie, aber sie wies mich nicht zurück. „Also das mußte sein. Nun meinetwegen – ich wasche meine Hände. … In der Haide konntest Du vor einem fremden Gesicht nicht drei zählen, und nun auf einmal, wo es gilt, Deinen Kopf durchzusetzen, und wo Du merkst, daß Du Andere auf Deiner Seite hast, da kannst Du schwatzen und lärmen wie eine Elster und hast Backen so heiß, wie die Bratäpfel. … Zum Segen fällt Dir die Geschichte nicht aus – denk’ an mich – dann kommst Du mir aber nicht mit Klagen!“

Sie löste meine Arme von ihrem Halse, nahm meine Hand in ihre Rechte und wollte das Zimmer verlassen.

„Halt!“ rief Herr Claudius, der sich unterdessen an seinen Schreibtisch gesetzt hatte und die Feder über das Papier fliegen ließ, „wollen Sie Fräulein von Sassen’s Vermögen ohne alle Bescheinigung in meinen Händen lassen?“

Jetzt wurden Ilse’s Wangen heiß, wie die Bratäpfel. Sie schämte sich, so alle Vorsicht aus den Augen gesetzt zu haben, sie, die Besonnene, die „den Kopf stets oben behielt“.

„Da ist nur Ihr gutes Gesicht schuld, Herr Claudius – bei jedem Anderen hätte ich ganz gewiß nicht vergessen, mir eine Bescheinigung auszubitten,“ entschuldigte sie sich verlegen und nahm das Papier in Empfang, während ich die Banknoten, die ohne Herrn Claudius’ Erinnern auch auf dem Tische liegen geblieben wären, in die Tasche schob – der strenge Geschäftsmann mochte einen schönen Begriff von der Gesellschaft aus der Haide bekommen.

„Gott, diese unausstehliche Pedanterie!“ rief Charlotte in der Hausflur. „Als ob nicht die ganze Welt wüßte, daß sich die Firma Claudius mit solch lumpigen paar tausend Thalern nie die Finger beschmutzen würde! … Aber da muß jeder Pfennig und jedes Samenkorn verbrieft und besiegelt werden!“

„Ordnung muß sein – vielleicht lernen Sie das doch noch einmal einsehen,“ sagte Fräulein Fliedner und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Mantille, die im vorderen Zimmer einen leichten Staubstreifen mitgenommen hatte.

Die junge Dame warf den Kopf zurück. „Jetzt wollen wir Darling ansehen,“ sagte sie statt jeder Antwort und sprang die Stufen zur Hofthür hinab.




14.

Der Hof war leer. Dagegen lagen beide Flügel der Gartenthür weit zurückgeschlagen an der Mauer, und aus dem Garten herüber scholl ein wüstes Geschrei und Toben, als ob Menschen und Thiere wild durcheinander liefen.

Herr Claudius war uns nachgekommen. Er horchte einen Augenblick befremdet, dann eilte er uns voraus in den Garten.

Mir schlug das Herz vor Angst und Mitleid bei Dem, was ich durch die offene Thür sah. … Ein scheugewordenes Pferd raste durch den Blumengarten. Wie ein Blitz fuhr das schlanke, rehähnliche Thier, dessen spiegelnden Rücken- und Weichenflächen die Sonne alle Nüancen der reinsten Goldfarbe entlockte, über den weiten, farbenbunten Plan und spottete mähneschüttelnd und in wilder Freiheitsfreude aufwiehernd aller der Hände und Füße, die es verfolgten. Mit einer wahren Wollust zerstampften die Hufe ein weites Levkoyenfeld, dann flogen sie schmetternd in die Scheiben des großen Glashauses. Hoch aufbäumend und zurückschaudernd vor dem Geklirr, stand der Goldfuchs einen Moment wie in Erz gegossen auf den Hinterhufen, aber auch nur einen Augenblick – pfeilschnell wandte er sich und stürmte weiter gegen ein Spalier, das, betropft von tausend prächtigen Purpurrosen, sofort zusammenbrach.

Alle Gartenarbeiter, die im Hause beschäftigten Leute, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_628.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)