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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


drüben einmal an; Eton, Windsor, Oxford, London-Bridge, Crystal-Palace finden Sie darauf dargestellt. Es sind dies sammt und sonders Musterstücke für meine Abnehmer in England.“

Eine besonders umfängliche Abtheilung des Lagers ist dem „Rauchdepartement“ mit seinen vielfachen Annexen und Zubehörden gewidmet. Aschen- und Fidibusbecher, Cigarren- und Tabakskästen – in welchen Variationen sind sie hier vorhanden! Als das Charakteristischste des Genres jedoch müssen wir die Cigarrenspitzen und Cigarrenpfeifen selbst hervorheben. Ihres Geschlechts sehen wir Legion, eine immer grotesker und origineller als die andere. Da wird uns eine Riesengebirgs-Gesundheitscigarrenpfeife in elf Nummern mit Gebrauchsanweisungen gezeigt, dort staunen wir über die urwüchsigen Rübezahltabakspfeifen aus monströsen Wunderwurzeln und Wunderzweigen mit geschnitzten Köpfen und zottigen Moosbärten; auf einem andern Tische winken uns Vexircigarrenspitzen mit herausspringendem Schornsteinfeger oder gar Sanct Beelzebub, mit beim Rauchen beweglichen Figuren, als da sind Schuster, Jäger, Trinker, Schmied, Müller und Schulze und ähnliche Scherze mehr; daneben versetzen uns Urwaldcigarrenpfeifen in den fernen Westen Nordamerikas, phantastische Erzeugnisse aus den seltsamsten Holz- und Wurzelauswüchsen.

„Betrachten Sie sich dies Exemplar gefälligst näher,“ nahm mein Geleiter wieder das Wort, indem er von einem Nagel an der Wand eine sonderbar verschlungene und verschnörkelte Holzcuriosität herabreichte, in der ich erst nach genauerem Anschauen eine Tabakspfeife erkannte. „Das merkwürdige Ding da,“ fuhr er fort, „ist mir nicht für zehn Thaler feil; eine so bizarr geformte Wurzel aufzutreiben dürfte mir sobald nicht wieder gelingen, und zugleich hat der Arbeiter, einer meiner intelligentesten Gehülfen, es verstanden, in den Rübezahlhumor der Natur nachhelfend einzugehen. Die Pfeife wird, denke ich, Staat machen auf der im nächsten Jahre für Wien beabsichtigten allgemeinen Industrie-Ausstellung.“

Hiermit sind wir zugleich an Herrn Herzig’s eigenstem Werke, der von ihm in’s Leben gerufenen Waldsachenfabrikation angelangt, wie er sie selbst getauft hat und wie sie unter diesem Namen im gesammten Riesengebirge in Aufnahme gekommen ist, so daß sie gegenwärtig als ein bezeichnendes Merkmal desselben angesehen werden muß. Auch von diesen merkwürdigen Erzeugnissen, die zum größten Theil dem jedem Bergwanderer wohlbekannten Knieholz (der pinus pumilio) ihr Rohmaterial entnehmen, umfaßt das Magazin bereits mehr als anderthalbhundert einzelne Gruppen, sämmtlich im Grotesk- und Burleskstile: Aschenbecher in Gestalt von Baumstämmen; Blumenständer mit ungeheuerlichen Pflanzen und Figuren; Cigarrenetagèren als reitende Teufel; Schnupftabaksdosen mit moosumwallten Weihnachtsmännern oder komischen Barbierscenen; Feuerzeuge als Reisigbündel, Rübezahle, Burgen, Holzhaufen mit Leitern, alte Weiber, Nachtwächter, Hundehütten; Nipptischholzklaftern als Vehikel für Nadeln und Perlen, als Häkel- und Strickkasten, als Zündholzbüchsen, als Schmuckdosen und Bonbonnièren; ähnliche Klaftern, die, aus vierzehn verschiedenen Holzarten zusammengesetzt, sich trefflich eignen, die Querschnitte und Rinden derselben zu studiren; Schreibzeuge als Ruinen und Schweizerhäuser oder von federtragenden Rehgeweihen überragt, und hauptsächlich die schon oben angeführten Rübezahlerscheinungen als „scherzhafte Präsentirfiguren für Gelegenheitsfeste“, wie es in der betreffenden Section des Preisverzeichnisses heißt.

„Daß einem solchen Lager auch die Spielwaaren im weitesten Sinne des Wortes für die kleinsten wie für die größten Kinder nicht fehlen, bedarf wohl keiner Erwähnung. Ebenso wenig glauben wir betonen zu müssen, daß eine Namhaftmachung des ohnedem alljährlich wechselnden Inhalts dieser Geschäftsabtheilung noch weit unthunlicher sein würde, als bei den übrigen Rubriken. Blos auf eine oder die andere interessante oder amüsante Neuigkeit wollen wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken; so auf die drolligen kleinen Flohfangmaschinen, denen Herr Herzig eine spaßhafte Gebrauchsanweisung beizugeben pflegt; auf die allerliebsten Gucker mit Boden von geschliffenem weißem oder buntem Glase, welche uns die Außenwelt in den ergötzlichsten kaleidoskopischen Brechungen vor’s Auge führen; auf die Kukuks- und Rübezahltrillerpfeifen, und vielerlei sonstigen Schnickschnack, in dem wir, wenn auch nichts Anderes, jedenfalls doch die Unerschöpflichkeit der menschlichen Phantasie bewundern müssen, die nicht müde wird, für Alt und Jung immer neue derartige Schnurrpfeifereien auszudenken.

Die Fabrikräumlichkeiten liegen theils in nächster Nähe von Wohnhaus und Comptoir, zum größern Theile aber ziehen sie sich ein gutes Stück das Thal hinab, sämmtlich so pittoresk umgeben, daß sie jedem Landschafter zur wahren Augenweide gereichen müssen. Am tiefsten unten klappert die Sägemühle, welche einzig und allein für den Bedarf der Fabrik im Betriebe steht. Erwägt man, welche verhältnißmäßig geringe Dimensionen alle Erzeugnisse des Etablissements einnehmen, wie sehr viele in buchstäblicher Bedeutung winzige Dingerchen sind, welche in der Westentasche Platz finden, so hat man Mühe, zu begreifen, daß eine ansehnliche Schneidemühle unausgesetzt für das Etablissement beschäftigt ist und, wie uns Herr Herzig versicherte, gar oft nicht sattsames Material beschaffen kann. In hohen Haufen liegen die mächtigen Baumblöcke umher, die alle der Zerkleinerung warten um als niedliche Nippes oder fingerlange Spielwerke hinaus in die weite Welt zu ziehen, sie, die vielleicht davon geträumt hatten, dereinst als hohe Masten auf dem Ocean zu schwimmen oder stattlichen Bauten zur Stütze zu dienen.

Noch mehr verblüffte uns ein Gang durch die verschiedenen Lager der geschnittenen und zum Trocknen aufgestapelten Hölzer – Fichte, Kiefer, Legföhre, Nuß- und Buchsbaum, Ahorn, Eiche, Buche, sie alle hatten beigetragen zu den massenhaften Vorräthen, welche uns hinreichend dünkten, sämmtliche fünf Erdtheile bis an’s Ende aller Dinge mit Holz- und Waldwaaren zu versorgen.

In einer andern Localität erblickten wir zumeist absonderlich gestaltete Wurzeln und Holzäste.

„Auf die Kerle da, die ungeheuerlichen Gestalten,“ sagte uns Herr Herzig, „richte ich jederzeit mein Hauptaugenmerk; sie sind der wesentlichste und unentbehrlichste Bestandtheil meiner Waldartikel, und ringsum habe ich meine Leute und Agenten, welche Jagd machen müssen auf jedwede merkwürdige Wurzel- oder Astbildung, die ihnen in ihren Forsten aufstößt. Da vergeht kein Tag, wo mir nicht einige der bizarren Gesellen in’s Haus geliefert würden. Aber glauben Sie ja nicht, daß ich unserem Riesengebirge allein mein Rohmaterial verdanke. Die knorrige Gesellschaft dort in der Ecke zum Beispiel erhalte ich aus dem fernen Thüringen, von den Ufern der Saale unweit Jena. Es sind Wachholderstämme, die sich in unseren Bergen nur sehr sparsam vorfinden, mir indeß zur Fabrication bizarrer Spazierstöcke von hohem Werthe sind.“

Näher dem Wohnhause, quer über die Schlucht herüber, stehen die Drechsler- und Tischlerwerkstätten; Drehbänke, Kreissägen, – von den ersteren über ein Dutzend nach den neuesten Constructionen, unter Anderem eine höchst interessante Maschinerie zum Drechseln ovaler Gegenstände, – setzt natürlich ohne Ausnahme das wilde Bergwasser in Bewegung, welches der Fabrik zwar die nothwendige Triebkraft unentgeltlich spendet, aber auch Jahr aus Jahr ein beträchtliche Uferbauten verursacht. Ein besonderes Local im Souterrain des Werkhauses umschloß eine Anzahl von Arbeitern, denen es obliegt, die für die Drechsler bestimmten Hölzer aus dem Groben zuzuhauen und je nach der Form der daraus herzustellenden Artikel bald rund, bald eckig, bald länglich, bald breit, hier größer, dort kleiner zu zimmern. Diese dergestalt vorbereiteten Stäbe, Oblonge, Quadrate, Kegel, Kugeln kommen dann sorgfältig sortirt in eigene Regale, die wir von oben bis unten damit angefüllt sahen.

In einem dem Garten selbst einverleibten Gebäude fanden wir Gelegenheit, die Production der ungeheuerlichen Rübezahle zu belauschen, von denen Agnetendorf so viele hinaus in alle Lande schickt. Ein alter Mann, der selbst den Rübezahl mit Glück hätte vorstellen können, war soeben damit beschäftigt, die fertigen Unholde auf die mit buntem Holzstaube bestreuten Fußbretter aufzuleimen; eine Frau daneben schnitt die Lykopodienbüschel zurecht, die dem Geiste den Hut schmücken sollten; ein Knabe fixirte den genannten bunten Stand auf die Holzplatten, und ein junges Weib leimte kleine, halbfingerlange dünne Föhrenstäbchen um die Aschenbecher, welche der Berggeist huldvoll behüten wird.

„Es wird Ihnen nicht entgangen sein,“ hob der Besitzer des Etablissements von Neuem an, „daß meine Rübezahle sich sehr curioser Beinstellungen befleißigen, zu denen unsere menschliche Muskelbewegung und Gelenkfähigkeit nicht auslangen dürften. Dies erklärt sich dadurch, daß die Herren Berggeister meines Fabrikats im Grunde nichts Anderes sind als costümirte Fichtenäste und Wurzeln, denen ich das Rübezahlkleid anziehen lasse.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_618.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)