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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Wer bewegt die Uhren? Der hübsche Aufsatz, welchen die Gartenlaube unter der Überschrift „Das Wunder in der Westentasche“ brachte, hat allgemein gefallen und angesprochen. Mich hat er daran erinnert, wie oft ich gerade die Taschenuhr als Beispiel angeführt habe, wenn es mir bei gemeinnützigen Vorträgen darauf ankam nachzuweisen, wie Vieles wir sehen, gebrauchen und täglich, ja stündlich in Händen haben, ohne daß wir uns Rechenschaft darüber geben, was das eigentliche Wesen dieser Dinge ausmacht und wie Vieles wir lernen könnten, wenn wir uns daran gewöhnen wollten, auf den Grund der gewöhnlichsten unserer täglichen Hülfsmittel, Werkzeuge und Vorrichtungen zu sehen.

Bleiben wir bei der Uhr stehen, so sehen wir, daß Tausende von Menschen sie vom Erwachen bis zum Schlafengehen als treuesten Begleiter durch das ganze Leben bei sich tragen, und wie Viele von Allen sind denn im Stande, auch nur annähernd den innern Zusammenhang dieser interessanten Maschine zu verstehen oder gar zu erklären? Es scheint das fast unbegreiflich und doch ist es nicht anders sind zwar auch in den zahlreichsten anderen Beziehungen. Ohne weiter auf solche einzugehen, möchte ich eine andere Thatsache erwähnen, welche mir beim Lesen des gedachten lehrreichen Aufsatzes einmal wieder in den Sinn kam und die gewiß ebenfalls interessant genug ist, da wohl noch seltener Jemand über sie sich Rechenschaft geben dürfte, als über das Wesen so vieler Dinge, die uns stündlich dienen.

Wenn man Jemanden fragen würde, welche Kraft denn seine Taschenuhr in Bewegung setzt, so würde man die schnelle Antwort erhalten, daß dies ohne Zweifel die Feder, noch besser die Federkraft, sei. Wollte man fragen: „Was treibt denn Deine Schwarzwälder Wanduhr oder Deinen sogenannten Regulator?“ so erhielte man sehr schnell die Auskunft, daß die Gewichte dies besorgten. Und wenn man hierüber etwas weiter katechisiren würde, so könnte man die Antwort erhalten, daß die Schwerkraft es sei, welche mittelst des Gewichtes die Uhr in Bewegung erhalte. Das sind denn in der That die beiden Theile der Uhren aller Arten, welche augenscheinlich das Werk zu treiben bestimmt sind, und sie wiederholen sich bei der verschiedensten Construction derselben. Aber hat denn eine Uhrfeder an und für sich Kraft? Oder hat ein Gewicht unter allen Umständen die Fähigkeit, irgend eine Bewegung hervorzubringen? Keins von beiden; die Taschenuhr bleibt stehen, sobald sie nicht mehr aufgezogen ist, und ebenso die Wanduhr, wenn das Gewicht abgelaufen ist. Welche Kraft treibt denn nun aber die Uhr, sei es vierundzwanzig Stunden lang oder vierzehn Tage lang? Das sagt sich eben Niemand, weil man nicht gewohnt ist, auf den Grund der täglichsten Dinge zu gehen. Thut man dies aber in diesem Falle, so ist einfach zu ersehen, daß die Kraft, welche die Uhr in Bewegung erhält, von demjenigen allein ausgeht, welcher die Uhr aufzieht.

Bei den Uhren, welche mit Federn versehen sind, wird diejenige Kraft, welche man anwenden muß, die Feder zu spannen, von dem Aufziehenden in dieser Feder angesammelt und letztere giebt sie langsam, in kleinen Theilen die vierundzwanzig Stunden hindurch an das Werk ab. Die Uhr gebraucht also zu ihrem Gange in vierundzwanzig Stunden gerade soviel Kraft, als das Aufziehen der Uhr erfordert. Ebenso die Uhr mit Gewichten. Hier hebt der Aufziehende das Gewicht bis zu einer bestimmten Höhe und dieses erhält durch das langsame Herabfallen die Uhr im Gange. Auch hier bedarf die Uhr zu ihrem täglichen, acht- oder vierzehntägigen Gange gerade so viel Kraft, als das Aufziehen der Gewichte erfordert. Also weder mit Federkraft noch mit der Kraft der Gewichte werden die Uhren getrieben, sondern mit Menschenkraft, die durch das Aufziehen der Uhr in Feder und Gewichten sich ansammelt. Das ist eine Thatsache, welche sich erst Wenige klar gemacht haben, daß ein Theil ihrer eigenen Kraft die Betriebskraft ihrer Uhren ausmacht.

Als Seitenstück zu den Berechnungen über die Wege, welche die Unruhe einer Uhr zu machen hat, wollen wir hier erwähnen, daß auch bei Betrachtung der Kräfte, welche hier in Frage kommen, sich ganz überraschende Zahlen herausstellen. Nimmt man an, daß in einer Stadt fünftausend Wanduhren mit Gewichten vorhanden sind, welche täglich aufzuziehen sind, und hat jede Uhr ein Ganggewicht von einem halben Kilogramm oder einem Zollpfund, welches ein Meter hoch aufzuziehen ist, so würde, wenn dieses Aufziehen in zwei Secunden erfolgt, für alle diese Uhren die zwei Secunden lang eine Kraft von 16,5 Pferdekräften nöthig sein. Das Ablaufen dieser Uhren vertheilt sich auf vierundzwanzig Stunden, und es würde daher für jede Uhr eine auf diese Zeit vertheilte Betriebskraft von 38/100000 Pferdekräften sich ergeben. Bedenkt man nun, welche Massen von Uhren auf der ganzen Erde täglich im Gange sind, so wird man sich verwundern dürfen über die großen Kräfte, welche angewendet werden müssen, um diese kleinen Maschinen im Gange zu erhalten.


Bock’s neuester Mahnruf. „Ueber die Pflege der körperlichen und geistigen Gesundheit des Schulkindes!“ So lautet der schlichte Titel einer in hohem Grade ernsten, tief in die Gewissen greifenden „Mahnung“, welche Professor Bock in Leipzig soeben in einem selbstständig veröffentlichten Schriftchen an Eltern, Lehrer und Schulbehörden gerichtet hat. Die Wichtigkeit des Themas wird seit Jahren nicht mehr in Zweifel gezogen, da ja sehr viel und schon manches Tüchtige darüber gesagt und geschrieben worden. Noch niemals aber ist es in seiner Bedeutung, seinem ganzen Zusammenhange und in allen seinen Einzelnheiten so scharf als eine öffentliche Frage betont, noch niemals so gemeinverständlich und mit einer solchen Wärme nachdrücklicher Ueberzeugung der Gesammtheit an’s Herz gelegt worden, wie wir es jetzt von dem verdienten und weithin anerkannten Gesundheitslehrer des Volks auf den wenigen Seiten seines neuesten Schriftchens behandelt sehen.

Bock zieht nur die Summe, verfolgt nur die natürliche und nothwendige Consequenz seines langjährigen volksthümlichen Wirkens, wenn er jetzt mit so hingebender Aufmerksamkeit bei den Erziehungsaufgaben verweilt, und das wirre Durcheinander der vielen ungelösten pädagogischen Fragen auf die Gesetze des menschlichen Organismus, die unwidersprechlichen Erkenntnisse und Forderungen der wissenschaftlichen Menschen- und Gesundheitskunde zurückzuführen sucht. Die Masse der heute Erwachsenen ist zum großen Theil schon durch anerzogene Irrthümer und Gewohnheiten für eine naturgemäße Verbesserung ihres Lebens verdorben. Was in dieser Hinsicht der Fortschritt der neueren Forschung an sicheren Einsichten, an positiven Lehren und Regeln gewonnen hat, wird erst ein kommendes Geschlecht in ausreichender Weise für sein Glück und Gedeihen, sowie zur Verscheuchung und Fernhaltung störender und herabdrückender Uebel verwerthen können. Zu einer solchen Verwerthung aber muß die heranwachsende Jugend körperlich und geistig befähigt und erzogen werden. Wie in Deutschland die Bewegung unseres Jahrhunderts, die Verwirklichung des modernen Humanitätsgedankens zuerst mit einer pädagogischen Bewegung, einer Reform des Erziehungs- und Unterrichtswesens begann, so wird auch erst eine durchgreifende Umbildung der Erziehung und der Schule den Boden bereiten, dem ein gesundes und ungebrochenes Volk entwachsen, auf dem es ein wahrhaft freies und menschenwürdiges Dasein sich gestalten kann.

Das sind die großen politischen und socialen Gesichtspunkte, welche in Bezug auf die innere und äußere Einrichtung der Schulen, auf die Bildung der Lehrer und die Behandlung der Kinder den ganz bestimmten Anweisungen und Forderungen Bock’s zu Grunde liegen. Zugleich aber pochen dieselben auch jedem Einzelnen an’s Herz, decken sie die Ursachen wesentlicher Störungen, schwerer Sorgen und Leiden des Familienlebens auf, erinnern sie Eltern und Lehrer an die aus Unwissenheit und gedankenlosem Schlendrian so oft von ihnen vernachlässigten Pflichten gegen die ihnen anvertrauten Menschenleben. Dies Alles in der knappen, klaren und eindringlichen Weise, welche den Darlegungen des Verfassers ihre anregende und charakteristische Färbung giebt. Ganz abgesehen von dem bedeutsamen Gesammtinhalt finden sich viele goldene Sprüche in dem Büchlein, die jeder Denkende in sein Notizbuch schreiben mag.

Da man in Deutschland noch auf die Stimme wissenschaftlicher Autoritäten zu hören pflegt, wird hoffentlich das hier von Bock unserer Zeit vorgehaltene Sündenregister nicht ohne die entsprechende tiefe Wirkung bleiben.

A. Fr.

Noch einmal der Soldaten-Aberglauben. Aus dem Felde zurückgekehrt, benutze ich meine Mußestunden mit dem Nachlesen der fast seit einem Jahre entbehrten Gartenlaube, und da riefen in Nr. 1 und 6 dieses Jahrgangs die Artikel „Zum Aberglauben der Soldaten im Kriege“ folgende Thatsache in mein Gedächtniß zurück.

Der große Ausfall der Franzosen aus Metz am 7. October 1870 gab unserm Bataillon, eben zum Ablösen der Vorposten herangezogen, Veranlassung zum frischen Vorwärtsgehen. Das Glück war uns hold; außer acht Verwundeten hatten wir nur einen Todten zu beklagen, Füsilier H. der 11. Compagnie, einen braven furchtlosen Soldaten. Die tödtliche Kugel war in der Gegend des linken Schlüsselbeins in die Brust gedrungen und führte augenblicklichen Tod herbei. Und was hatte der Aermste, wohlverwahrt neben der geringen Baarschaft, auf der Brust? Einen „kugelfesten“ Schutzbrief.

Nie habe ich wieder einen solchen bei Leuten unseres Bataillons ermitteln können; aber allgemein beliebt waren kleine Bibelsprüche, und zwar, wie ich annehmen muß, nicht als Schutz, sondern aus wahrhaft religiösem Gefühl; denn es ist unumstößliche Thatsache, daß der furchtbare Ernst des Krieges einen tief religiösen Sinn in unsrer Armee entwickelte und selbst manch hart Gemüth zum Nachdenken veranlaßte.

Unsere Fahrt von der Mark bis zum Rhein war ein ununterbrochenes „Glück auf zum Kampfe! brave Brandenburger!“ Namentlich war der Empfang in Bonn, am 27. Juli vorigen Jahres gegen Abend, ein sehr herzlicher. Jung und Alt brachte sein Scherflein, die Krieger zu erquicken. Kurz vor Abgang des Zuges noch reichte man mir ein Päckchen mit dem Wunsche, den Inhalt zu vertheilen. Es waren Butterbrödchen, jedes sauber eingewickelt und mit einem Sinnspruch versehen. Der Meine lautete:

     „Der Herr segne Dich und behüte Dich.“
„Der Gerechte muß viel leiden; aber der Herr hilft ihm aus dem Allen. –
Er bewahrt ihm alle seine Gebeine, daß derer nicht eins zerbrochen wird.“

Gerührt verwahrte ich das Sprüchlein, – nicht als Amulet – nein, als Trost in schwerer Stunde und doch immer von dem Gedanken niedergedrückt, daß trotz Alledem recht vielen „Gerechten“ die Glieder „zerbrochen“ worden sind. Sollte der freundliche Geber sich noch seiner Gabe erinnern, meinen besten Dank und zugleich zur Nachricht, daß ich den Krieg von Anfang bis Ende mitgemacht und mich noch heute eines guten Wohlseins erfreue.


Kleiner Briefkasten.

N. N. in L. bei Schneidemühl. Sie haben das Schicksal des königlich würtembergischem Kriegsministers von Wiederhold sich zu romantisch ausgemalt. Erstens kann derselbe kein directer Nachkomme des Vertheidigers des Hohentwiel im dreißigjährigen Krieg sein, weil jener Konrad Wiederhold keine directen Nachkommen hatte; zweitens ist der Kriegsminister von 1866 durchaus nicht aus politisch-criminalistischen Gründen entlassen worden und hat auch nicht auf dem Hohenasperg „geschmachtet“, sondern in Eßlingen und zuletzt in Ludwigsburg von einer guten Pension ruhig gelebt. Hätte er übrigens das wirklich begangen, was Sie ihm in sehr fehlgehendem Patriotismus nachsagen; hätte er wirklich die würtembergische Armee im traurigen Jahr 1866 absichtlich total untauglich in den Feldzug geschickt, aus nationaler Gesinnung(!): so hätte er eine ganz andere Strafe, als blos den Hohenasperg, verdient. Aber, Gottlob, der Mann ist unschuldig an diesem von Ihnen fast mit Liebe gestreichelten Verbrechen.

H. in Königsberg. Nicht verwendbar; geben Sie uns Ihre Adresse an, damit wir Photographie und Text Ihnen wieder zustellen können.

D. H. in Tr. B. Ihr Geschenk wurde mit größter Freude angenommen; nur bedauerte man, Ihnen nicht persönlich danken zu können.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_608.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)