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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

in welcher Schiller’s Name strahlt, die Urtheile liest, welche von diesen jugendlichen Schwarmgeistern, von anscheinend berufenen Lehrern und Meistern des Schönen über den Dichter gefällt wurden. So schreibt z. B. Friedrich Schlegel über den Wallenstein-Prolog, in welchem er eine Nachahmung Goethe’s findet, und über den „Kampf mit dem Drachen“:

„Was Schiller betrifft, so bewundere ich nächst der heldenmüthigen Selbstentäußerung in dem Goethe’schen Prolog, der mir wie eine ausgehöhlte Fruchthülse vorkommt, nichts so sehr wie die Geduld. Denn, um solche lange Drachen in Papier, in Worte und Reime auszuschnitzen, dazu gehört doch eine impertinente Geduld. Uebrigens erinnert mich sein Glück an sein Unglück, daß ihm die ästhetischen Briefe nicht rein herauskamen, und gestört wurden. Die stecken ihm nun im Geblüt und der ganze Würdemuth ist auf die innern Theile gefallen. Auch vergeht selten eine lange Zeit, daß er sich nicht in einigen Gedichten, die ästhetischer sind als dichterisch, Luft macht.“

Karoline selbst fällt die schärfsten Urtheile über den „Wallenstein“, den sie „ein Werk der Kunst ohne Instinct“ nennt, über „Maria Stuart“, „die Jungfrau von Orleans“. Das non plus ultra antipathischer Kritik aber sind wohl die folgenden Zeilen über das volksthümlichste Gedicht Schiller’s:

„Ueber das Lied von der Glocke sind wir gestern Mittags fast von den Stühlen gefallen vor Lachen; es ist à la Voß, à la Tieck, à la Teufel, wenigstens um des Teufels zu werden.“

So bestritten war der Ruhm der Classiker bei ihren Lebzeiten, und nicht etwa von verständnißloser Unbildung, sondern von den Geistreichsten, die aus der Poesie und Literatur ihre Lebensaufgabe gemacht hatten.

Das Verhältniß zwischen Karolinen und ihrem Schwager Friedrich Schlegel sollte sich bald auch in bedenklicher Weise trüben. Friedrich begann mit der verzückten Bewunderung der liebenswürdigen Schwägerin; er eröffnete später eine regelmäßige Correspondenz mit der niedlichen Tochter derselben, Auguste Böhmer, und wickelte in diese buntschillernden Bonbonpapierchen allerlei zierliche Devisen, welche eigentlich für die Mutter bestimmt waren. Das „Aeffchen Augustchen“ erhält in diesen Briefen verschiedene gute Lehren für seine Ausbildung und bekommt Dinge zu hören, von denen es noch gar keinen Begriff hat. Wie weit die Taktlosigkeit des Lucindendichters ging, das zeigt wohl der folgende Auftrag, den er dem zwölfjährigen Mädchen giebt:

„Wenn die Mutter aber auch wissen will, was sie für eine Natur hat, so sage ihr nur: politisch-erotisch, doch möchte das Erotische wohl überwiegend sein. Ich sehe Dir nun schon an, daß Du nun auch Deine Natur wissen willst. Du hast aber noch keine, liebes Kind. Die wächst einem erst später.“

Friedrich Schlegel machte inzwischen in Berlin eine Eroberung; die Tochter des würdigen Moses Mendelssohn, Dorothea, an einen Banquier Veit verheirathet, ließ sich von diesem scheiden, um dem Romantiker zunächst nach Jena zu folgen. Gegen diese geistreiche Berliner Jüdin hegte Karoline eine unüberwindliche Antipathie; wenn sie von ihr spricht, scheinen die Worte sich in Krallen zu verwandeln mit denen sie ihr die Augen auskratzen will. Natürlich erlitt das Verhältniß der beiden Brüder eine unerwünschte Störung durch den Eifer, mit welchem die Töchter des christlichen und des jüdischen Moralphilosophen sich gegenseitig befehdeten.

Doch der Lebensroman Karolinens wurde bald mit einigen der interessantesten Capitel bereichert. Aeußere Veranlassung dazu gab die kleine, harmlose Auguste, die nicht nur das Brieftäubchen für Friedrich Schlegel’s Herzensergüsse an die Mutter war, sondern auch als liebliches Naturkind die Augen des jungen Naturphilosophen Schelling auf sich gelenkt hatte.

Die „granit’ne“ Natur Schelling’s, der sich inzwischen auch in Jena eingefunden hatte, übte auf Karoline große Anziehungskraft; sie beschäftigte sich damit, eine „Granitin“ für ihn zu suchen, und glaubte dieselbe eine Zeitlang in Rahel gefunden zu haben. Bald zeigte es sich indeß, daß sie deshalb nicht in die Ferne zu schweifen brauchte; denn ihre eigene Auguste hatte es dem eisernen Denker angethan. Es bildete sich bald ein Verhältniß, das für die Dauer berechnet schien. Das zarte Kind, das übrigens „impertinent lustige“ Briefe zu schreiben verstand, nannte Schelling sein „liebes Müllchen“ und umgab ihn mit so vieler rührender Kindlichkeit, daß der junge, etwas schroffe Gelehrte sich auf diesem Spielplatze der Empfindungen etwas sonderbar vorkommen mußte. Nur ein Schatten fiel auf dies holde Verhältniß. Die geistreiche Mutter nahm einen Pflichttheil der Liebe, welche ihrer Tochter gespendet wurde, für sich in Anspruch – und Schelling’s Empfindung mochte darüber oft in’s Schwanken gerathen. Er befand sich in der Lage, welche der römische Dichter Horaz besingt, wenn er von der schöneren Tochter der schönen Mutter spricht, und welche ebenso Heine zu den bekannten sinnreichen Versen begeistert hat, die wir hier nicht weiter anzuführen brauchen.

Die Mutter machte Randglossen zu den Briefen der Tochter, corrigirte gelegentlich in dieselben hinein, war allgegenwärtig bei dem kindlichen Liebesverkehr, und selbst wo die Tochter dem eigenen Herzen zu folgen schien, war sie nur das Echo der mütterlichen Empfindungen, wie die folgende höchste charakteristische Stelle in einem Briefe Augustens an Schelling beweist: „Ich danke Dir recht herzlich für das Mittel, was Du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen zu amüsiren, es schlägt herrlich an. Wenn ich auch noch so viel Narrenspossen treibe, um sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: ,wie sehr er Dich liebt‘, und sie wird gleich mullig[WS 1]. Das erste Mal, als er es ihr sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr Du sie denn liebtest. Da war nun meine Weisheit aus, und ich half mir geschwind damit, daß ich sagte? ,mehr als Alles‘; sie war zufrieden, und ich hoffe, Du wirst es auch sein!“

Arme Auguste, unglückliche Tochter einer bedeutenden Mutter – hattest du nie das Gefühl, daß Deine Adresse oft nur der Einlagen wegen benutzt wurde? Doch größere Kämpfe ersparte ihr das Geschick! Am 12. Juli 1890 starb sie im Bade Boklet, innig und rührend betrauert von der Mutter und dem gemeinsamen Freunde. Diese Trauer selbst aber wurde zu einem neuen Bande zwischen Beiden. „Nie kannst Du doch,“ schreibt Karoline an Schelling, December 1800, „das Weh der Mutter ganz in Dich aufnehmen. Es löst sich meine Seele immer mehr und mehr in jenes Wehe auf, und doch bin ich getrost und stark. Das erhalte Dir gegenwärtig, wenn ich auch nicht verhindern kann, an Deinem Busen zu weinen. Es quillt ein neues Leben aus diesen Augenblicken, sie sind selbst ein hohes Lebenszeichen, mein Gram ist nicht Niedergeschlagenheit, kein Verzagen und keine Verzweiflung und dann kann ich erst volles Vertrauen zu meinem Freunde haben, wenn ich ihm nichts davon zu verbergen brauche. Berühren laß mich es wenigstens, ich will Dich nicht daher verweilen; ich verweile selbst nicht. Wenn die Wolken des eig’nen Jammers mir auch das Haupt eine Weile verhüllen, es befreit sich bald wieder und wird vom reinen Blau des Himmels über mir beschienen, der mein Kind einschließt, wie mich. Die Allgegenwart – das ist die Gottheit – und meinst Du nicht, daß wir einmal allgegenwärtig werden müssen, Alle Einer in dem Andern, ohne deshalb eins zu sein?“

Der hier angeschlagene Ton liebender Hingebung zeigt bereits die bevorstehende Wendung in Karolinens Leben an. Sie begeisterte sich für Schelling’s geistiges Schaffen, vertiefte sich in seine philosophischen Schriften, studirte Naturwissenschaften, zum Beispiel die Geschichte der Erde, und begann, vor derartigen Kenntnissen eine tiefe Ehrfurcht zu hegen, dagegen von A. W. Schlegel’s Beschäftigungen gering zu denken; denn Poesie brauchte sie ja nicht zu lernen. Als Ausdruck der Empfindungen, die sie für Schelling hegte, wanderte auch gelegentlich an den Philosophen ein echt englischer Ueberrock, trotz seiner Schattenseite, daß er viel Haare ließ, empfohlen wegen seiner Lichtseite, daß man die Arme darin frei hat, um eine Freundin zu umarmen. Sie war indeß nicht blos eine nachbetende Freundin, sie war selbstschöpferisch im Denken, und Schelling konnte nicht schlagender den Gipfelpunkt seiner damaligen Gedankenwelt, die Kunst, verherrlichen, als Karoline dies in den prächtigen Worten eines Briefes an A. W. Schlegel that: „O mein Freund – wiederhole es Dir unaufhörlich, wie kurz das Leben ist und daß nichts so wahrhaftig existirt als ein Kunstwerk. Kritik geht unter, leibliche Geschlechter verlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die letzten lebendigen Funken sein, die in das Haus Gottes gehen – dann erst kommt Finsterniß.“

Wenn wir bei diesem Bericht vergessen haben, daß Karoline noch immer Schlegel’s Gattin war, so erging es den Betheiligten nicht viel anders. A. W. Schlegel lebte meistens in Berlin, wo er Vorlesungen hielt und den jungen Schauspielerinnen, zum unverhohlenen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: muthig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_600.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)