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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Befehl geben, Ihr Haus anzuzünden, und Sie werden dann ein petit feu pour plaisir sehen können, wie es vor zwei Tagen in jenem Dorfe zu sehen war, wo ich mit den Lanciers zusammen war. Die Uhr ist jetzt ein und drei Viertel nach Mittag, thun Sie, was Sie wollen“. Indem ich mir dann, am Kamine Platz nehmend, ruhig meine Pfeife anzündete, mochte es dem Pisang trotz der Kälte am Kamin (es brannten oder vielmehr kohlten wie gewöhnlich nur zwei kreuzweise über einander gelegte Holzstücke) doch anfangen, etwas warm zu werden; er erhob sich, machte ein höchst einfältiges Gesicht und sprach vom Wetter, von der Kälte. „Nix comprah“ (comprends) lautete meine Antwort, er fragte, von wo wir kämen und wohin wir gingen. „Nix comprah.“ Da schien es ihm kalt oder heiß über den Rücken zu gehen, zumal ich schweigend meine Uhr aus der Tasche nahm und sie ebenso schweigend langsam einsteckte; er suchte schleunigst das Weite.

Natürlich beobachteten wir, während Madame auf Geheiß das Dejeuner servirte, sorgfältigst die Hofthüre. Kaum zwanzig Minuten waren vergangen, als unser liebenswürdiger Wirth mit dem Maire erschien, dessen erste Frage war, wie Viele wir im Dorfe seien. Ich sagte ihm, ich könne nicht wissen, ob schon von der andern Seite Mannschaften eingetroffen seien, und hörte nun, daß dies schon auf zwei andern Seiten der Fall sei; auch erbot sich der Maire, die Leute aufsuchen zu lassen, was ich jedoch mit dem Bemerken dankend ablehnte, daß die Uebrigen sich bei mir zu melden und von mir ihre Befehle zu empfangen hätten. Wir gingen nun, von dem Maire geleitet, in’s Dorf, um für unsere zwölf Officiere (wir hatten deren nur zwei) Quartiere zu suchen und gleichzeitig nach den Stallungen für unsere nahezu sechshundert Pferde, deren wir etwa einhundert und sechszig hatten, zu sehen. Da jedoch der Maire im Fortgehen mich forschend ansah und seine Frage nach dem Wieviel wiederholte, auch mit einem inzwischen eingetretenen, äußerst verdächtig aussehenden Domestiken Zeichen und leise Worte gewechselt wurden, so entgegnete ich: „Wir sind jedenfalls genug hier, um einen etwaigen Meuchelmord, wie er gestern wenige Minuten von hier verübt worden ist, gebührend strafen zu können. Sie werden an meiner Seite bleiben und sich jedes verdächtigen Zeichens enthalten; ein von anderer Seite gegen uns gerichteter Angriff ist Ihr Tod.“ Dabei nahm ich meinen ungeladenen Revolver zur Hand und ging schußbereit, wie ich es beim Ein- und Ausreiten gewesen war, mit ihm. Diesen Revolver führte ich stets bei mir, wenn eine Gefahr irgend denkbar war, aber stets war er ungeladen, und das aus folgenden drei Gründen: Erstens hätte der Schuß, wenn geladen gewesen wäre, einmal losgehen und Reiter oder Pferd treffen können; zweitens verstehe ich mich nicht auf Handfeuerwaffen, als echter Feldartillerist kann ich nur mit Kanonen schießen, und zwar nur mit ungezogenen, da ich vor Einführung der gezogenen Geschütze mein Dienstjahr absolvirte, aus welchem letztern Umstande unser Oberst die Folgerung zog, daß ich nicht Vicefeldwebel oder Officier werden könne, und daher alle betreffs meiner von meinem Commandeur gemachten Beförderungsvorschläge zurückwies, wiewohl fast jede Colonne einen Officier besaß, der nicht einmal ungezogener Artillerist, sondern Cavallerist gewesen war; drittens lud ich meinen Revolver nicht, weil nicht anzunehmen war, daß jemals ein Franzose auf den Verdacht kommen könne, der Revolver sei ungeladen.

Unsere Colonne kam, galt als sechshundert Mann stark und wurde dem entsprechend viermal so gut aufgenommen, als wenn ihre wahre Stärke bekannt gewesen wäre.

Am folgenden Morgen war mir als Begleiter statt des Obergefreiten ein ehemaliger Trainsoldat beigegeben, derselbe hatte unser Abenteuer natürlich schon Abends vom Obergefreiten gehört und meinte daher, als wir eine Weile unterwegs waren, in seiner gewöhnlichen sarkastischen Weise: „Lise ist heute stolz auf den kühnen Reiter, sie hält den Kopf so hübsch hoch.“ Meine Lise, das gute Pferd, trug sonst meist das edle Haupt ähnlich wie eine Kuh; Lise war offenbar nicht Linie, nicht einmal Landwehr, sondern wahrscheinlich Armeereserve; Lise war aus Oldenburg, und ihr Geburtsjahr fiel in die schönen Zeilen von anno olim, wo man noch einen Stellvertreter stellen konnte; doch war Lise ein treues Thier und von guter Ausdauer, sie hat den ganzen Feldzug hindurch auf all meinen Quer- und Irrfahrten mich getragen, daher ich ihren Hauptfehler stets durchgehen ließ.




Spät Abends am 19. August traf unser Quartiermacher, der damals Capitaine d’Armes war, im Bivouac ein, diesmal von Allen mit Jubel empfangen, denn er brachte ja eine Speise, die wir Alle fast nur noch vom Hörensagen kannten: er brachte uns Brod; und was bargen wohl die Fässer, die einen ganzen vierspännigen Leiterwagen in Anspruch nahmen?

„Aber woher so spät?“ hieß es von allen Seiten. „Man glaubte Sie schon gestern verloren; Sie müssen doch ganz nahe dem Schlachtfelde gewesen sein?“

„Freilich bin ich das; um ein Haar, so wäre ich gefangen gewesen oder hätte selbst an fünfzig Mann gefaßt.“

„Ja, ja,“ betheuerten Einige, die mit auf Requisition gewesen waren.

„Erzählen, erzählen!“

„Nun ja. Von der Schlacht gestern haben wir nichts bemerkt; daß überhaupt etwas vorgefallen war, erfuhren wir erst heute gegen Mittag, wo wir, beiläufig gesagt, gern etwas Warmes zu essen gehabt hätten. Bis gestern gegen fünf Uhr hatten wir trotz der größten Anstrengung nur erst einen Backofen mit etwa hundert Pfund Brod abgefangen, eine Kuh und ein paar Fässer Wein aufgetrieben. Als ich gerade mit dem Maire eines leidlich wohlhabenden Dorfes in Unterhandlung stand, da erschien zu meinem größten Schrecken ein Officier vom dritten Armeecorps mit dem Sanitätszeichen; nun war also auch hier nichts zu machen. (Für Verwundete und Kranke wird stets Alles mit Beschlag belegt, und nur mit Bewilligung der Sanitätsbehörde kann Anderen etwas verabfolgt werden, natürlich nur Gegenstände, deren die Sanität nicht bedarf oder wovon sie genügenden Ueberschuß besitzt.) In der That, der Officier untersagte mir jede Requisition in diesem Dorfe, und mehr noch, er nannte mir unter Vorzeigung einer Specialkarte noch eine Menge Dörfer, die er heute noch zu bereisen gedenke.

Doch ihn jammerten die Meinigen. Seit acht Tagen mindestens schon kein Brod, und die armen Pferde hatten schon einige Tage ihre ganze Einbildungskraft aufbieten müssen, um sich ihre zwölf Pfund Hafer vorzustellen, wenn sie vielleicht ein Viertel so viel von dem schlechten schwarzen Hafer aus der Umgegend erhielten. Der Officier empfand ein Rühren, er hatte soeben gute Geschäfte gemacht und versprach mir, redlich zu theilen, was wir im nächsten Dorfe fassen würden. So war uns denn geholfen.

Nachdem wir im nächsten Dorf gut eingeheimst und Pferde und Wagen zum Fortschaffen requirirt hatten, verfuhren wir uns gründlich, nahmen in Onville Nachtquartier und zogen heute früh von dannen. Da blitzen bald vor uns im Walde Waffen, wir sehen Uniformen; wahrhaftig es sind Franzosen! mindestens fünfzig Mann gegen uns Neun. Unser Entschluß ist bald gefaßt: ich reite mit dem Obergefreiten vor; die Franzosen werden aufgefordert, sich zu ergeben; im Weigerungsfalle soll gefeuert werden. Wir waren nämlich soeben um eine Waldecke gebogen, und der Feind konnte nicht wissen, was noch hinter uns war; flohen wir aber, so mußten wir unser Brod im Stiche lassen und vielleicht in Folge einer tückischen Kugel doch noch das Leben. Also vor in sausendem Galopp! Plötzlich hält mein Nebenmann sein Roß in demselben Augenblicke an, wo ich ein Gleiches thue; aber schon in demselben Moment geht es weiter bis auf etwa hundert Schritte vor den Feind. Nun wird die Aufforderung, sich zu ergeben, entgegengerufen, worauf unter schallendem Gelächter die Antwort erfolgt: ‚Mein Gott, wir sind ja Baiern!‘ Das war mir nun freilich nichts Neues, ich hatte es wohl bemerkt und darum mein Pferd parirt; als ich dann wieder losgaloppirte, geschah es nur des Scherzes wegen, um zu sehen, ob wohl mein Begleiter nach seinem guten Frühstück oder besser Frühtrunk die Baiern erkenne würde. Er seinerseits versicherte nun freilich, zu derselben Zeit dasselbe gedacht zu haben. So war denn für dieses Mal die Gelegenheit, einen Orden zu bekommen oder wegen Auszeichnung vor dem Feinde trotz meiner Unkenntniß des gezogenen Geschützes befördert zu werden, zu Wasser geworden.

Wir kamen über Trouville nach Jouonville. Dieses ganze Dorf war ein großes Lazareth. Hier und da war ein Haus niedergebrannt, eine Scheune zerstört, dort lag mitten auf der Straße ein bereits anrüchiger Pferdeleichnam. Ich war mit Peter etwa ein halbes Stündchen voraufgeritten, ein mächtiger Durst plagte mich; hier war aber wohl kein Wein mehr zu haben, und bald mußten ja die requirirten Fässer da sein. Bescheiden verlangte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_591.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)