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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Es kann nicht unsere Absicht sein, hier eine genaue Schilderung der künstlichen Fischzucht zu geben, doch halten wir es für geboten, einige Bemerkungen über selbige voranzuschicken, damit auch der Laie zu beurtheilen vermag, daß die künstliche Fischzucht nicht etwa nur eine artige Spielerei, sondern eine Sache von höchster Wichtigkeit ist, ja, daß durch richtige Handhabung dieser Zucht der ganze Nationalwohlstand um ein Bedeutendes vermehrt werden kann. Gleichzeitig wird hierdurch die Bedeutung der Central-Anstalt Hüningen am besten illustrirt. Nur zu oft kommt es noch heute vor, daß selbst Gebildete keinen richtigen Einblick in das Wesen der Fischzucht haben, ja, es ist durchaus nicht selten, daß „künstliche Fischzucht“ und „künstliche Hühnerzucht“ für etwas sehr Aehnliches gehalten wird.

Der Name „künstliche Fischzucht“ ist durchaus unglücklich gewählt, denn etwas wirklich Künstliches ist bei dieser Zucht nicht, darf auch nicht dabei sein, wenn man den Endzweck der Fischzucht nicht aus den Augen verlieren will, nämlich möglichst billig und möglichst viel eßbare Fische zu erziehen. Wie der Landmann nicht von künstlicher Pferde- und Schafzucht spricht, so wäre es auch weit richtiger einfach den Ausdruck „Fischzucht“ zu gebrauchen. Die sogenannte künstliche Fischzucht ist nur eine genaue Nachahmung des natürlichen Processes, und je genauer wir uns der Natur anschließen, um so besser und sicherer sind die Erfolge.

Der Fisch beginnt zu einer bestimmte Zeit des Jahres eine Wanderung, um an einer geeigneten Stelle für seine Fortpflanzung zu sorgen. Bei einigen Fischen, wie beim Lachs, sind die Strecken, welche sie zu diesem Behufe durchwandern müssen, oft sehr bedeutend, andere begeben sich nur aus der Tiefe der Gewässer an die flachen Uferränder, um hier an Wasserpflanzen oder auf Kiesboden ihren Laich abzusetzen.

Betrachten wir nun einmal das Verfahren, welches die Forellenarten bei ihrem Laichgeschäfte beobachten, etwas genauer.

Im Spätherbste wandern sowohl Männchen wie Weibchen den Strom aufwärts gegen die Quelle hin, jedoch nicht unmittelbar bis an die Quelle, sondern gewöhnlich nur so weit, daß die Wasserwärme + 4 Grad Réaumur beträgt. Hier wühlt das Weibchen mit dem Schwanze eine Grube in den Kiesboden, welche bei größeren Lachsen wohl vier bis fünf Fuß lang ist. In diese Grube legt das Weibchen seine Eier ab, welche dann sofort durch ein Männchen, das seine Milch über selbige ergießt, befruchtet werden. Das Weibchen bedeckt hierauf die Eier wieder und kümmert sich ferner nicht mehr um dieselben. Der Embryo entwickelt sich in dem Ei mehr und mehr, und nach sechs bis acht Wochen schlüpft ein eigenthümliches Wesen aus, welches wohl keiner der Leser für einen jungen Fisch halten würde. Dieser junge Fisch besteht aus einem dünnen Faden, an welchem eigentlich nur die Augen bemerkbar sind; an der andern Seite dieses Fadens hängt ein birnenförmig oder kugelig gestalteter, unverhältnismäßig großer Beutel, der Dottersack oder die Dotterblase. Die Blase wird täglich kleiner und in demselben Verhältniß entwickelt sich der oben erwähnte Faden mehr und mehr zu einem Fischchen, bis nach wiederum sechs bis acht Wochen die Dotterblase völlig verschwunden und der junge Fisch ganz ausgebildet ist. In der ersten Zeit der Dottersackperiode ist das Fischlein beinahe ganz unbeweglich, das feine Häutchen, welches die Blase umschließt, ist überaus zart und kann durch die geringste Reibung verletzt werden, was jedes Mal unausbleiblich den Tod des Fischleins zur Folge hat. Während dieser ganzen Periode nimmt das Fischlein gar keine äußere Nahrung zu sich, die vorsorgliche Mutter Natur hat ihm in seinem natürliche Freßkober, der Dotterblase, hinlängliche Nahrung für mehrere Wochen mitgegeben. Ist das Fischchen nun erst so weit entwickelt, daß es sich selbst seine Nahrung sucht, dann ist es auch bereits so behende, so flink geworden, daß es den meisten Nachstellungen zu entgehen vermag; nur selten wird es jetzt noch einem Feinde gelingen, es zu erhaschen.

Wie viele Gefahren hat aber das Ei, der unvollkommene Fisch zu bestehen, bis er zu dieser Größe heranwuchs!

Gleich bei der Befruchtung geschieht es nicht selten, daß das Männchen nicht rechtzeitig auf der Laichstelle erscheint, dann führt oft die heftige Strömung die belebende Milch so schnell hinweg, daß nur äußerst wenig Eier damit in Berührung kommen und entwickelungsfähig werden. Die befruchteten Eier werden wiederum durch eine Unzahl von Feinden bedroht. Andere Forellen, ferner Grundeln, Kaulköpfe und Quappen verzehren die abgesetzten Eier in großer Menge; Enten, Gänse, Wasseramseln und Wasserstaare verzehren andere Tausende; Frösche und Salamander, Wasserkäfer und Käferlarven, Köcherfliegen- und Libellenlarven, verschiedene kleine Krebsarten vernichten nochmals Tausende; Wasserspitzmäuse und Wasserratten vertilgen oft ganze Bruten. Der gefährlichste Feind der Eier gehört jedoch nicht dem Thierreiche, sondern dem Pflanzenreiche an. Es ist dies ein Schimmelpilz, der Byssus, welcher sich auf einem verdorbenen, unbefruchtet gebliebenen Eie zuerst zeigt und oft in einigen Stunden sämmtliche in der Nähe befindlichen Eier mit seinen feinen Fäden überzieht und dadurch ihre Entwickelungsfähigkeit völlig zerstört. Sechs bis acht Wochen hindurch sind die Eier diesen zahlreichen Feinden ausgesetzt, und wie viele Tausende durch dieselben vernichtet werden müssen, ist wohl leicht einzusehen.

Aber auch nach dieser Zeit ist die Gefahr lange nicht vorüber, die ganz jungen, noch bedotterten Fische sind fast mehr Feinden ausgesetzt, als selbst die Eier. Noch können die jungen Fischlein sich kaum bewegen, in ganzen Haufen sitzen sie unter einem hohlliegenden Steine beisammen und werden so eine leichte Beute nicht nur aller oben erwähnten Feinde, sondern es treten deren jetzt noch eine ganze Menge anderer hinzu. Hechte, Barsche, selbst die niedlichen Karpfenarten verzehren eine Unzahl dieser hülflosen Thierchen, sogar die kleinen Stichlinge werden zu furchtbaren Räubern, indem sie durch wiederholte Bisse die zarte Dotterblase zerstören und dadurch das Fischlein tödten.

Da ist es wahrlich kein Wunder, wenn von tausend gelegten Eiern im Durchschnitt nur ein Fisch völlig entwickelt wird. Fügen wir jetzt noch hinzu, daß eine große Forelle selten mehr als zweitausend Eier enthält, wogegen der Karpfen, Schlei, Barsch und andere gewöhnliche Fische davon wohl eine halbe bis eine ganze Million enthalten, obgleich die ganze Entwickelungszeit kaum so viel Wochen wie bei den Forellen Monate dauert, so sieht wohl Jeder ein, von wie weittragender Wichtigkeit es sein muß, gerade den Eiern und ganz jungen Fischen der edlen Salmenarten Schutz angedeihen zu lassen.

Vergleichen wir nun mit diesem gewöhnlichen Vorgange das Verfahren bei der Fischzucht.

Man fängt die Forellen, wenn sie völlig laichreif sind; am besten ist es, sie von den Laichplätzen selbst zu entnehmen. Treten bei dem Weibchen, wenn man es beim Kopfe in die Höhe hebt, von selbst einige Eier und beim Männchen einige Tropfen Milch aus, so ist der Fisch laichreif.

Man hält jetzt den weiblichen Fisch über ein flaches Gefäß, in welchem ein wenig Wasser vorhanden ist. Die eigene Schwere der Eier und die Bewegungen, welche der Fisch macht, verursachen das Hervortreten der Eier, die in das Wasser des untergestellten Gefäßes fallen. Man kann auch noch durch ein ganz sanftes Streichen des Bauches das Hervortreten der Eier befördern, nur hüte man sich, irgend welche Gewalt anzuwenden. Völlig unrichtig ist es daher, zu sagen, man drückt oder preßt den Fischen die Eier aus. Alle Eier, welche nicht bei geringer Berührung von selbst austreten, sind noch nicht reif, noch nicht entwickelungsfähig. Zu gleicher Zeit hat ein Gehülfe den männlichen Fisch über das Gefäß gebracht und ihn veranlaßt, einige Tropfen Milch in dasselbe zu ergießen. Durch ein gelindes Schütteln des Gefäßes vermischt man die Milch innig mit dem Wasser, läßt das Gefäß einige Minuten ruhig stehen, und die Eier sind befruchtet und weiterer Entwickelung fähig.

Man sieht also, diese künstliche Befruchtung ist nur eine genaue Nachahmung des natürlichen Processes, einzig mit dem Unterschiede, daß man es dem Fische nicht überläßt, wohin er seine Eier absetzen will, sondern ihn nöthigt, dieselbe in einen bestimmten Raum abzulegen.

Diese so gewonnenen Eier, welche nur einen ganz kurzen Transport ohne Nachtheil ertragen, werden jetzt in einen künstlichen Bach gebracht, in welchem sie einige Wochen dem belebenden Einflusse des strömenden Wassers ausgesetzt werden; da der Fisch seine Eier bedeckt, so sorgt man bei der Ausbrütung auch dafür, daß die Eier stets im Dunkeln sind. Also wiederum nur eine Nachahmung des natürlichen Vorganges, doch mit dem Unterschiede, daß man die künstlichen Bäche so einrichtet, daß die Eier und später die junge Brut gegen ihre zahllosen Feinde geschützt sind.

Dies ist das Wichtigste der ganzen künstlichen Fischzucht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_587.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)