Seite:Die Gartenlaube (1871) 586.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Die meisten großen Journale besitzen neben dem „Tartinier“ einen eignen Polemiker, dessen Aufgabe darin besteht, die Fehden mit den Herren Confratres der Presse auszufechten. Das journalistische Rothwälsch nennt diese professionirten Zänker „Engueuleurs“, d. h. „Fresser, Verschlinger“. Sie zeichnen sich durch eine Virtuosität im Erfinden klangvoller Prädicate aus. Nicht selten überschreitet ihr Stil die Grenzen des parlamentarisch Erlaubten.

Aus der beträchtlichen Zahl der übrigen Redacteure verdient zunächst der „Cuisinier“ hervorgehoben zu werden. Ihm liegt die eigentliche „Mache“ des Journals ob. Wie ein Koch die Speise, so setzt er die Zeitung aus den ihm gelieferten Ingredienzien zusammen. Er liest die einlaufenden Artikel, – „la copie“, wie der Kunstausdruck lautet, – und entscheidet über deren Aufnahme oder Vertagung. Er handhabt die Scheere behufs der Ausschneidung brauchbarer Aufsätze, Notizen etc., die er aus andern Journalen zu reproduciren wünscht. Er ordnet das Material nach äußeren und inneren Rücksichten und übt auf diese Weise einen unberechenbaren Einfluß auf die Physiognomie seines Blattes aus.

Eine wichtige Rolle spielen neuerdings die sogenannten „Echotiers“, die verpflichtet sind, allenthalben hinzuhorchen und ihrem Journale die neuesten, pikantesten Nachrichten namentlich auf nicht-politischem Gebiete zuzuführen. Man erfährt zum Beispiel, Michelet werde demnächst ein neues Buch veröffentlichen. Vierundzwanzig Stunden später muß der Echotier wissen, wie viel Honorar der Verleger bezahlt hat, wie viel Seiten das Werk umfassen wird, wovon es handelt, ob es auf Velin gedruckt ist, ob gleichzeitig eine englische Ausgabe erscheint etc. etc. Oder ein berühmter Componist, ein Künstler, ein Diplomat ist gestorben. Der Echotier wäre ein für alle Mal um seinen Ruf, wenn er nicht sofort die genauesten Einzelheiten über Stunde und Minute des Todes, über die begleitenden Umstände, über die letzten Worte des Sterbenden, über sein Testament und über seine Hinterlassenschaft beibringen könnte.

Verwandt mit dem Echotier ist der „Indiscreteur“. Er enthüllt die Familien- und sonstigen Privatverhältnisse bedeutender Persönlichkeiten. Er besucht Jules Favre, Fräulein Christine Nilsson, Herrn von Rémusat u. A., und berichtet in geistvollen Plaudereien, was er geschaut und vernommen: wie Jules Favre Toilette macht, wie die blonde Schwedin frühstückt, wie Rémusat sich den Bart pflegt und die Nägel schneidet. … Das Publicum ist für solche Mittheilungen stets außerordentlich dankbar.

Täglich an Bedeutung wächst auch die Rolle des „Canardiers“, des „Entenmachers“. Oft sind die Ereignisse, über die der „Cuisinier“ verfügt, so mager, daß diesem Uebelstande durch die Erfindung geeigneter Sujets nachgeholfen werden muß. Es ergeht alsdann die Weisung an den Canardier, eine politische, eine literarische und zwei „vermischte“ Thatsachen aus dem Aermel zu schütteln. Die politische Ente bezieht sich mit Vorliebe auf governementale Maßnahmen, die vom Publicum seit geraumer Zeit sehnsüchtig erwartet werden. Zum Beispiel: Der Vertreter Frankreichs bei irgend einem auswärtigen Cabinet gilt für unfähig; die öffentliche Meinung hat sich dringend für seine Beseitigung ausgesprochen. Mit kühnem Griffel versichert nun der Canardier, „man habe im gestrigen Ministerrate die Abberufung des Mr. So und So einstimmig beschlossen“. Die politische Ente geht natürlich durch alle in- und ausländischen Blätter und wird schließlich nicht selten zur Wahrheit, da man sich höheren Ortes scheut, die durch das falsche Gerücht hervorgerufene Befriedigung ohne Grund zu zerstören. Mancher Minister ist durch den Canardier gestürzt worden! –

Die literarische Ente liebt es, hervorragende Schriftsteller, Schauspieler, Dichter etc. als gefährlich krank, oder gar als gestorben auszuposaunen. Tags darauf erhält das Journal eine Zuschrift im Stile des Folgenden:

     Herr Redacteur!

In der gestrigen Nummer Ihres Blattes findet sich eine Notiz, der zufolge ich von einem Schlagflusse getroffen worden sein soll. Ich begreife nicht, was diesen Irrthum veranlaßt haben mag, da ich mich seit zwei Monaten wohler als je fühle. Haben Sie die Güte, die fragliche Notiz durch Einrückung dieser Zeilen zu berichtigen. Genehmigen Sie etc.     Victorien Sardou.

Die Unterschrift eines Victorien Sardou gereicht aber einem Journal zur Zierde, sie „macht sich gut“, wie die Redacteure sagen, und so hat der Canardier denn zwei Fliegen mit einer Klappe erlegt: das Publicum ist durch die falsche Nachricht erschüttert worden, und die Rubrik der „Correspondances“ enthält einen hochklingenden Namen!

Die „vermischte“ Ente ist unter allen die tollste. Keine Combination ist zu verrückt, zu wahnwitzig: der Canardier benutzt sie zu einem „Fait divers“. Im Nothfalle, das heißt, wenn die Unwahrscheinlichkeit die Polhöhe erreicht hat, läßt er sein Begebniß in Amerika spielen, und das Unmögliche wird wieder salonfähig. Es giebt „vermischte“ Enten, die von Zeit zu Zeit regelmäßig wiederkehren. Hierher gehören gewisse Dampfschiffabenteuer vom Mississippi, gewisse Extravaganzen spleenbehafteter Engländer und zahllose angebliche Erfindungen und Entdeckungen speculativer Köpfe, wie zum Beispiel die Kunst, Butter aus Themseschlamm, Brod aus menschlichen Skeleten oder Curaçao aus Lumpen zu verfertigen. Auch die famose russische Prinzessin mit dem Todtenkopfgesicht zählt in diese Kategorie. Der Canardier von Talent wird es indeß verschmähen, eine gebrauchte Platte zu neuen Abzügen zu benutzen. Er erfindet frei aus dem Stegreif, und je verwegener er die Farben aufträgt, um so besser!

Eine gesonderte Welt innerhalb des Journals bildet das Feuilleton, der „Raum unter dem Striche“, – auch „Rez-de-Chaussée“ geheißen. Keine Pariser Zeitung von Bedeutung kann heutzutage auf diese hochwichtige Rubrik verzichten. Der größere oder geringere Werth des Feuilletons wirkt oft entscheidend auf den materiellen Erfolg des Blattes. Als das „Journal des Débats“ die Sue’schen „Geheimnisse von Paris“ unter der Linie veröffentlichte, steigerte sich seine Auflage um das Dreifache. Der „Constitutionnel“ erhob sich von viertausend Exemplaren auf die Höhe von fünfundzwanzigtausend, als die ersten Capitel des „Ewigen Juden“ in seinem „Rez de-Chaussée“ erschienen waren. Wenn Francisque Sarcey eine theatralische Kritik losläßt, so verkauft der „Temps“ zweitausend Exemplare mehr, als unter gewöhnlichen Verhältnissen. Für diesmal fehlt uns der Raum, das Feuilleton und vieles Andere, was hierher gehören würde, auch nur flüchtig zu besprechen. Wenn man höheren Orts damit einverstanden ist, skizziren wir die unerledigten Capitel unseres Themas gelegentlich in einer zweiten Abhandlung.

E. Eckst.




Wasserschatz für den Volkstisch.
Eine Elsässer Morgengabe an Deutschland.


Mit dem jetzt wieder deutsch gewordenen Elsaß ist ein Institut in deutschen Besitz gekommen, welches, was die Größe seiner Anlagen und die Großartigkeit seines Betriebes anbetrifft, einzig in seiner Art dasteht: es ist dies die Fischzuchtanstalt Hüningen.

Diese Anstalt, kaum eine Stunde von Basel und ebenso weit von der badischen Grenze entfernt, hart an dem großen Rhein-Rhonecanal gelegen, wurde vor zwanzig Jahren auf Anrathen des Professor Coste von der französischen Regierung angelegt. Nach und nach vergrößert ist sie heute die großartigste Anstalt der Welt in dieser Branche, und es dürfte unsere Leser wohl interessiren, etwas Näheres über dieselbe und ihren Betrieb zu erfahren, besonders deshalb, weil das Reichskanzleramt, in gerechter Würdigung der großen volkswirthschaftlichen Bedeutung dieses Instituts, sich entschlossen hat, den Betrieb fortzusetzen.

Auch die Erfindung dieser Fischzucht soll zuerst einem deutschen Kopf entsprungen sein: es wird von einem Lieutenant Jacobi erzählt, daß er sie schon vor etwa hundertundzwanzig Jahren praktisch geübt habe. Da er die Sache für sich betrieb und Wissenschaft und Presse sich nicht darum bekümmerten, so mußte ein armer Fischer in den Vogesen, Namens Remy, die Erfindung vor etwa fünfundzwanzig Jahren noch einmal machen. Da nahm aber der französische Professor Coste sich dieser „Fischzucht“ an und benutzte die Presse so nachhaltig für sie, daß endlich die französische Regierung nicht umhin konnte, zu hören und zu handeln.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_586.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)