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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Wer bist Du, Weib?“ schrie der Officier sie an.

„Wer ich bin? Eine Wittwe seit zehn Minuten, eine Wittwe, eine Mutter ohne Söhne, ohne Tochter. Und Ihr seid Schurken seit Jahr und Tag! Des zweiten Decembers Knechte, der Preußen Gefangene, der Versailler Mitverbrecher! Pfui, Ihr Schandsöhne Eurer Mütter! O meine Kinder, wie wart Ihr so tapfer und so schön und so gut! Da liegt mein Jüngster, an seiner Leiche habt Ihr mich gefangen, in der Rue Royale liegt mein Gatte mit zerschmettertem Gehirn, auf der Madeleinetreppe mein anderer Sohn. Was wollt Ihr noch von mir? Laßt mich los, ich muß meine Todten rächen!“

Den Officier schien ein Gefühl von Rührung zu beschleichen, aber schon stand ein Anderer neben ihm, der das Losungswort des Tages ausrief: „Lieber zehn Unschuldige erschießen, als eine Schuldige laufen lassen! Sie riecht gewiß nach Petroleum!“

„Du lügst!“ schrie das Weib. „Mutter Péchon ist keine Mordbrennerin!“

„Sie riecht nach Petroleum!“ übertobte sie das Brüllen der blutgierigen Soldaten. Und Alle drängten sich zum Beriechen der Unglücklichen herbei und bestätigten hohnlachend ihre Entdeckung. Das Ende war nun kurz. „Tritt an die Wand dort!“ herrschte der Officier ihr zu. Sie sprach kein Wort mehr. Noch einen Blick tiefster Verachtung für die Männer, die eine Wittwe und Mutter erschießen wollten – und mit einem Knalleffect war’s abgemacht. Die Sieger zogen weiter, – und Mutter Péchon war gerichtet, denn „sie hatte nach Petroleum gerochen“.

Es gehört auch zum Verhängniß sinkender Völker, daß sie den einzigen Retter ihrer Zukunft nicht erkennen. Wie in Italien ist’s auch in Frankreich und wohl auch in Spanien, kurz, bei der ganzen romanischen Race. Das männliche Geschlecht ist, gegen die Vorzeit, in seinem Werthe zurückgegangen, ist einer ansteckenden Verwahrlosung wahrer männlicher Tugenden verfallen. Nur den Müttern kann es gelingen, eine neue bessere Generation zu erziehen, zumal wenn sie selbst erst vom Gängelband der Pfaffen befreit sind.

H. v. C.


Der Heerwurm im Salon der Gartenlaube. Durch die Zeitungen läuft die Nachricht, daß sich wieder einmal der Heerwurm, jene oft aus Millionen von Maden zusammengesetzte, kriechend den Laubwald durchschleichende schlangenartige Erscheinung gezeigt habe, und zwar unweit Stolberg am Harz, hoch oben im prächtigsten Buchenwald und quer über den Weg nach Breitenstein dahinziehend. Und man schließt die Berichte mit der Bemerkung: „Die Frage: woher? wohin? ist noch nicht hinreichend gelöst, um mit Sicherheit die Natur dieser Erscheinung erklären zu können.“

Diese Erklärung wird die Gartenlaube in einem ausführlichen und illustrirten Artikel auf das Vollständigste bringen; heute theilen wir hierzu nur eine einleitende Beobachtung mit.

Herr Forstmeister Beling zu Seesen am Harz erfreute uns schon vor einiger Zeit mit einer gediegenen Forscherarbeit über den Heerwurm, wie er ihn auf dem Harz selbst beobachtet hatte. Auf unsere Bitte um die Illustrationen, die man zu seiner Abhandlung nothwendig wünschen müsse, schrieb er uns, daß eine seinen Ansprüchen völlig genügende Abbildung von Larvenzug, Puppe und Fliege ihm noch nicht vorgekommen sei und daß er uns lieber in den Stand setzen wolle, selbst einen Heerwurm vor uns sich bilden zu sehen und von unserm Thierzeichner abbilden zu lassen. Und so geschah es.

Es kam eine Kiste an, bei deren Oeffnung uns etwas angegangener Buchenlaubstreuduft entgegenstieg, und zwischen den zum Theil schon stark skeletirten Blättern hing, kroch und lugte das kleine Leben Tausender von Larven der soldatischen Trauermücke (Sciaria militaris), wie der Marschfreudigkeit der Maden wegen wohl das Thierchen getauft worden ist.

Wir, d. h. der Thierzeichner und die gewöhnlichen Insassen der Gartenlaube, trugen unsern naturwissenschaftlichen Schatz in Herrn Ernst Keil’s Gartensalon und verfuhren nun genau nach Vorschrift unseres Gewährsmannes. Wir legten zwei große gefeuchtete Pappebogen auf einen Tisch und beförderten die Larven (Maden) aus ihrer Blätterumhüllung auf die eine Pappe, die andere für den geordneten Marsch des Zugs rein haltend.

Die Geschöpfchen, sehr ähnlich den Käsemaden, nur heller, durchscheinender und mit glänzend schwarzen Köpfchen, sagten durch ihr Benehmen uns gleich in der ersten Minute ihrer Beobachtung, warum sie bei ihren Processionen oder Heerzügen so traulich und erbaulich zusammenhalten und sich nicht von ihrem anscheinlichen Gänsemarsch abbringen lassen. Wir schüttelten sie erst einzeln aus dem Laub heraus, ohne sie gleich zu einem Haufen zusammenzuschieben, der natürlich sofort seine Marschcolonne gebildet haben würde. So aber sahen wir, daß jedes der vielen einsam und alleine umherliegenden Würmchen in seiner Verlassenheit ein recht hülfloses Thierchen ist. Ohne sich weit von der Stelle zu wagen, hebt es unaufhörlich das Köpfchen nach allen Richtungen, nach der ihm unentbehrlichen cameradschaftlichen Hülfe ausspähend. Sobald es aber mit einem andern zusammenkommt oder, wenn der Zufall das zu lange anstehen läßt, man ihm einen Cameraden zuschiebt, so hängen die Kerlchen sofort aneinander und es kriecht immer der eine über den andern fort, hebt dann den Kopf und sucht umher, bis der andere so weit auf ihm wieder vorwärtsgekrochen ist, daß er selbst den Kopf ducken muß. Dann kriecht er wieder über den andern, und so helfen ihrer Zwei sich vorwärts, während das einzelne Würmchen kaum vom Flecke kommt. Vielleicht deutet dies Uebereinanderkriechen an, daß ihre Körperbeschaffenheit diese Art der Fortbewegung ihnen vorschreibt. Bei der Benutzung des lieben Nächsten als glatte Unterlage bleibt es, auch wenn drei- und vierhundert oder tausend übereinander kriechen: immer sind nur die oberen Schichten in Bewegung, alle kriechenden ducken die Köpfchen; sobald sie aber an die Spitze kommen, wo sie dann den Kopf mit bilden, erheben sie selbst die Köpfchen und eben nur so lange, bis die nächsten, bis jetzt unten gewesenen Schichten über sie hinwegkriechen, und so fort.

Es dauerte gar nicht lange – denn da, wo das Glück einzelnen solcher Züge nicht günstig sein wollte, spielten wir etwas Schicksal und schoben frische Truppen in ihre Marschrichtung –, so bewegten sich viele, bald kürzere, bald längere einlinige Züge zwischen den Streutheilchen auf der feuchten Pappe dahin, immer die je Ersten am lebhaftesten mit erhobenem Kopfe die Richtung suchend, bis das Zusammentreffen einzelner Linien begann und damit die Bildung immer dickerer Fäden und Schnuren. Je mehr die einzelnen Züge sich der zweiten, reinen Pappe näherten, desto mehr wurde die Richtung Aller zu einer gemeinsamen. Das geschah aber wieder in verschiedenster Abwechselung. Während fünf und sechs Glieder starke Züge sich rasch zu einem Strang zusammenschoben, liefen ein- und zweigliedrige noch lange Strecken nebeneinander her, bis sie sich aneinander schlossen; ja, vom dicksten, schon kleinfingerstark angeschwollenen Strange zweigten an mehreren Stellen wieder Züge links und rechts ab, machten eine Art Recognoscirungsbogen und kehrten dann zum großen Zuge zurück. Auf der frischen Pappe kam die stahlfarbig glänzende, durch die Beweglichkeit der sich vorwärts windenden Theile fortwährend schimmernde gesammte Trauermückenlarvengemeinde als leidlich stattlicher Heerwurm an, in der That eine kleine Schlange darstellend, die schon einen Begriff geben konnte, wie eine solche Masse von Armsdicke und Vielellenlänge, die im kühlen düstern Wald über den Gehsteig dahinschleicht, eine gar schöne Gelegenheit zu schauderhaften Erlebnissen, gruselnden Sagen und handfestem Aberglauben abgeben konnte. Auch nach dieser Richtung hin beachtet der Beling’sche Artikel alles nur Wünschenswerthe.

Während unser Heerwurm auf der reinen Pappe bedächtig dahinschob, muß ihn plötzlich ein Lichtblitz von der Zwecklosigkeit seines so bereitwilligen Spazierganges getroffen haben, denn der so stattlich breite Kopf ward plötzlich uneins. Wie der unpraktische Doppelkopf des weiland römischen Reichsadlers deutscher Nation, gingen zwei Köpfe nach entgegengesetzten Richtungen auseinander und die beiden anhängenden Theile zerrten am Leib des Heerwurms, wie ehedem Preußen und Oesterreich am deutschen Bundesleib – ja der eine, nach rechts hinstrebende schob sogar ohne alle Ueberlegung über den Pappenrand dem Abgrund zu, während nach links ein starker Strang sich ablöste und viele kleine ihm sich nachvereinzelten. Da wurde uns das Bild zu politisch-anrüchig. Unser Heerwurm hatte seinen Zweck erreicht, er war dem Zeichner verfallen und wird als Holzschnitt in der Gartenlaube wieder auferstehen.

Aber auch seine eigene leibliche Auferstehung hat er bereits gefeiert. Als der Mohr seine Schuldigkeit gethan hatte, ließ Herr E. Schmidt, unser Thierzeichner, den ganzen Herrwurm in die Laubstreu zurückmarschiren und in der Kiste heimtragen. Schon nach etwa acht Tagen überraschte er uns mit den aus den Larven gewordenen Puppen und den aus den Puppen ausgeschlüpften kleinen Fliegen, und so hat Herr Forstmeister Beling durch das interessante Naturschauspiel, das er uns verschaffte, uns zugleich in den Stand gesetzt, seinen Aufsatz in der That auf das Vollständigste zu illustriren.




Aus Schwaben.Drei Kreuzträger des Eisenbahn-Capitals“ in Nr. 31 dieses Blattes berühren einen sehr wunden Fleck unserer gesellschaftlichen Zustände. In theilweiser Berichtigung, beziehungsweise als ein Beispiel, wie viel wenigstens geboten werden soll, theile ich mit, wie es in diesem Punkte in Württemberg steht. Sämmtliche Bahnen sind Staatsbahnen, mit wenig Ausnahmen. Von Anfang an, seit sechsundzwanzig Jahren, stehen die Bahnwärterhäuser unmittelbar an der Bahn. Zuerst etwas klein und bei zahlreicher Familie beschränkt, schon lange aber zweistöckig, von gefälliger Bauart, bieten sie mit einem Gärtlein daneben, an das sich meist noch ein Stücklein Land anschließt, einen freundlichen Anblick.

Die Gehalte der Bahnwärter und ähnlicher Angestellter steigen von hundertdreißig bis hundertsiebenzig Thaler; im Fall keine freie Wohnung da ist, wird Entschädigung mit dreiundvierzig Thalern gewährt. Hierzu kommt noch freie Dienstkleidung. Dienst sechszehn Stunden auf den Tag, beziehungsweise acht Stunden Nachtdienst.

Es sind dies keine glänzenden Zustände, sie bieten aber ein bescheidenes Loos, das die Gründung einer Familie erlaubt. Das Leben ist im Süden außerdem billiger als in der Mitte und im Norden des deutschen Reiches.

G.



Kleiner Briefkasten.

Eduard F. in Estland. Ueber die Wunderheilcuren des Frl. v. S. in Stuttgart mit Nachcur von ganz einfachen Gebeten: anonym! Wir müssen wissen, wer uns derlei mittheilt. Wer der Oeffentlichkeit Personen mit dem vollen Namen zur Rüge überantworten will, muß von selbst die Pflicht fühlen, seinen eigenen Namen zu nennen und für die Wahrheit seiner Angabe die Verantwortung auf sich zu nehmen.

H. A. Ihre Anfrage giebt uns zu der wiederholten Erklärung Anlaß, daß der der Gartenlaube beigegebene „Allgemeine Anzeiger“ mit der Redaction der Gartenlaube durchaus nichts zu thun hat, sondern daß dieser „Allgemeine Anzeiger“ das völlig selbstständige und mit unserem Blatte in Nichts zusammenhängende Unternehmen eines Dritten ist.

Fräulein D. v. C. Sie wünschen zu wissen, ob ein Herr Ulrich von Hutten, baierischer Artillerie-Hauptmann, 1867 auf einer Reise nach Paris Ihr Fahrgenosse, noch am Leben sei, und wo? Ist’s diesem Herrn möglich, so macht er Ihnen vielleicht das Vergnügen, uns Kunde von sich zu geben. – Die zweite Anfrage müssen wir Ihrer directen Besorgung überlassen. Geheim- und Hausmittel empfehlen wir nicht, falls nicht dieselben durch anerkannt tüchtige Aerzte geprüft und uns empfohlen worden sind.

A. Z. in Breslau. Gesandtes Manuscript „Jeanette“ ist unbrauchbar und in den Papierkorb gewandert.

A. S. in Prag. Daß die Gartenlaube keine deutsch-feindlichen Artikel aufnehmen wird, versteht sich doch wohl von selbst; der sonst so wackere „Tagesbote“ ist also mit seiner Voraussage, bezüglich der Rasch’schen Beiträge, im Irrthum.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_576.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)