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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


In mir aber tauchten in diesem Augenblicke noch andere Erinnerungen auf. Elsholtz – der Name ist ja auch nicht unbekannt auf dem deutschen Parnaß! Kenn’ ich doch feine, geistreiche Lustspiele, attischen Witzes voll, und so manches frische, kernige Lied aus der gewandten Feder des alten Herrn, dessen schon Meister Goethe rühmend gedacht, und dessen poetische Ader heute noch nicht versiecht, der aber trotzalledem seit Jahren so viel wie verschollen ist. Wie kommt das? Er hat es wohl verschmäht, für sich Reclame zu machen, er hat sich in keine Ruhmesassecuranz-Gesellschaft auf Gegenseitigkeit aufnehmen lassen, und so ward er, der „zugleich ein Dichter und ein Held“, vergessen. Sein Stern erbleichte am deutschen Dichterhimmel, während so mancher Versifex, der sich selbst Dichter nennt und nennen läßt, ohne auch nur ordentlich Deutsch zu können, es zu einem „Renommée“ bringt, das freilich nur Ignoranten für baare Münze nehmen. Doch der heutige Abend hat ihn der unverdienten Vergessenheit entrissen.

Aus diesen Gedanken weckt mich eine gewaltige Rednerstimme. Ein hoher Militärbeamter hat eben einen der Tische bestiegen und bringt auf den rothen Husaren in begeisterten Worten einen Toast aus. Einen wesentlichen Antheil – ist der Grundgedanke seiner Rede – an der nationalen Erhebung und an der Befreiung des deutschen Vaterlandes vom fremden Tyrannen habe die damalige deutsche Jugend gehabt, und nicht minder habe ihr durch Körner und andere vaterländische Sänger im Liede verherrlichtes Beispiel zur Belebung und Kräftigung des Nationalgefühls unserer heutigen Jugend und dazu beitragen, daß diese mit gleicher Begeisterung auszog in den Kampf für des Vaterlandes Freiheit, Größe und Ehre und gegen denselben Feind gleich große Thaten vollführte. Es werde damit gewiß jeden Theilnehmer des schönen, erhebenden Festes erfreuen, zu vernehmen, daß Einer, der theilgenommen an jenen Siegen vor mehr als einem halben Jahrhundert, anwesend sei, und diesem Veteranen aus jener denkwürdigen Zeit zu Ehren fordere er die Versammelten auf, das Glas zu leeren.

„Hoch! hoch!“ und nochmal „hoch!“ schallt es aus Hunderten kräftiger Männerkehlen, und von diesem Augenblicke an ist der Veteran von 1813 der Gegenstand der allgemeinen, lebhaftesten Huldigung, der nunmehrige Mittelpunkt des Festes; Jeder will ihm die Hand drücken, Jeder ihm zutrinken. Er nimmt selbst das Wort und fügt an seinen Dank den Vortrag eines launigen Trinklieds. Man herzt und küßt ihn, Bürger laden ihn ein, sie in ihren Behausungen zu besuchen, wo auch ihre Frauen ihn begrüßen könnten; von einem Punkte des Saales zum andern wird der Veteran geschleppt, überall will man ihn haben, und so taucht der rothe Husar bald da, bald dort auf aus dem Kreise der ihn Umdrängenden, in der hoch erhobenen Hand den schlanken Kelch mit dem perlenden Schaumwein, womit er den ihm Zutrinkenden Bescheid thut, – ein unverwüstlicher Zecher, als stünde er noch im Mai seines bewegten Lebens. Und das ging so fort, bis der anbrechende Morgen mahnte, das Gelage zu enden. Man brach auf, und Viele steuerten auf dem Heimwege einen ziemlich schiefen Curs. Unserem Helden gab eine große Schaar seiner neuen Verehrer das Geleite, und Einige wollten ihn durchaus führen. Er aber wollte zeigen, daß er keiner Führung bedürfe, und der Beweis gelang, wenn auch der Schritt des alten Herrn nicht mehr ganz sicher, sondern durch die eben durchgemachte Zechcampagne etwas aus dem Gleichgewicht gebracht war.


Die Tage der Einzugsfeierlichkeiten waren vorüber, das Alltagsleben wieder in seine Rechte getreten. Für diejenigen geplagten Menschenkinder, die als Mitarbeiter der Tagespresse – vulgo Zeitungsschreiber –, um ihrer Berufspflicht zu genügen, nicht nur an all’ den verschiedenartigen Festlichkeiten Theil nehmen, sondern auch darüber eingebend Bericht erstatten mußten, waren diese Tage doppelt anstrengend gewesen und eine geistige und körperliche Abspannung die naturnothwendige Folge hiervon. So ging es auch mir, und ich dachte: ein Tag, tüchtig ausgenutzt, wird genügen, die erschlafften Kräfte wieder zu beleben, und so wanderte ich denn alsbald an einem herrlichen Morgen mit einem das gleiche Bedürfniß fühlenden Collegen nach dem Bahnhofe, um einen Ausflug nach dem Starnbergersee zu machen. Ohne einen bestimmten Feldzugsplan, lediglich froh, wieder einmal frische, reine Luft zu athmen, bestiegen wir in Starnberg einen Kahn und ließen uns zuerst nach Berg, dem bekannten königlichen Schlosse, hinüberrudern. Als wir so auf dieses unser nächstes Ziel lossteuerten, fiel uns ein anmuthiges Landhaus in’s Auge, das zwischen den das ansteigende Ufer bedeckenden Bäumen von der Höhe so einladend herunterlugte, daß es in uns die Lust erweckte, es näher zu betrachten und auch zu sehen, wer wohl darin hausen möge.

Gedacht, gethan. In Berg angelangt, stiegen wir den steilen Waldpfad hinan, und als wir die Höhe erreicht hatten, sahen wir uns vor einer Villa, die, von Blumenbeeten und Parkanlagen umgeben, auf ihrer Schwelle die Inschrift „Salve!“ zu tragen schien, wie wir denn auch schon auf dem Wege durch Mittheilungen der ländlichen Umwohner belehrt worden waren, daß jeder fremde Besuch dem gastfreundlichen Besitzer willkommen sei.

So traten wir durch das offene Pförtlein, welches die Umzäunung des Anwesens unterbrach, ohne Bedenken ein und sahen uns bald von einem bejahrten Herrn begrüßt, der in noch strammer Haltung sich mit der freundlichen Frage, was ihm das Vergnügen verschaffe, sich als den Herrn des Landsitzes kundgab. Aber diese Züge mußten wir schon einmal gesehen, diese Stimme schon früher gehört haben und zwar vor ganz kurzer Zeit. Und so war es. Während wir über unsere Persönlichkeiten Aufschluß gaben und den Zweck unseres Eindringens in sein Besitzthum nannten, fiel es uns wie Schuppen von den Augen: der hier vor uns stand, war ja – frohe Ueberraschung! – unser Banquetgenosse, der greise Ziethenhusar, frisch und lebhaft wie bei jener Festkneiperei. Der Alte vom Berge, in den sich der rothe Husar verwandelt hatte, war nicht minder, als wir, erfreut über dieses unerwartete Zusammentreffen, das Gelegenheit gab zum Austausch der beiderseitigen Erinnerungen an die im Glaspalaste zu München verlebten schönen Stunden. Unter seiner Führung promenirten wir nun in den weitläufigen Gartenanlagen, an deren Ende ein höchst origineller Kegelbahnbau unsere Aufmerksamkeit fesselte, dem ein mächtiger, wohl mehrhundertjähriger Eichbaum als Mittelpunkt und Stütze dient; besichtigten dann das Wohn- und Nebenhaus, wo wir wie überall mit dem feinsten Geschmacke in der Ausstattung die größte Einfachheit verbunden fanden; zuletzt erstiegen wir auch den Thurm, der eine entzückende Ausschau über die Alpenkette bis tief in das Salzburger Land hinein bietet.

Uns schien es nun Zeit uns zu verabschieden, unser Führer dagegen meinte, daß wir unsern Zweck vor der Hand nur halb erreicht hätten, weil zwar sein Haus und Garten nicht aber er selbst uns näher bekannt geworden sei. Und siehe, eine Flügelthür ward geöffnet und ein gedeckter, mit Flaschen und Speisen wohlbesetzter Tisch sichtbar, an welchem wir der herzlichsten Nöthigung gegenüber ohne allzu langes Widerstreben Platz und dann an dem kräftigen und pikanten Imbiß Theil nahmen, der nach dem Spaziergange ein gar angenehmes Labsal bot. Nachdem wir mit den trockenen Bestandtheilen reine Arbeit gemacht hatten, wurde noch energischer jenen flüssigen Stoffen zu Leibe gegangen, deren berechtigte Eigenthümlichkeiten schon in classischen Alterthum die gebührende Würdigung gefunden haben. Die Unterhaltung, die während der angestrengten Thätigkeit der Eßwerkzeuge sich nur in eingestreuten kurzen Bemerkungen geäußert hatte, floß nun rasch dahin wie das Bächlein, das unweit des Elsholtz’schen Besitzthums dem See zueilt, und unser jovialer Wirth entwickelte wieder jene jugendliche Lebhaftigkeit, die wir schon beim Festbanquet an ihm bewundert hatten, indem er bald amüsante Erlebnisse und lustige Streiche aus seinen Jugendjahren schilderte, bald in satirischen Glossen über politische, literarische, Bühnen-Zustände u. s. w. mit seinen Gästen wetteiferte.

Mein Wunsch, von den Schicksalen und dem Lebensgange unseres Gastfreundes mehr zu erfahren und zwar aus seinem eigenen Munde, wuchs durch all’ das immer mehr. Und ich gab ihm denselben durch die Bemerkung zu erkennen: „Wollen Sie, verehrter Herr Baron, unserem Verlangen, Sie selbst näher kennen zu lernen, vollständige Befriedigung verschaffen, so müssen Sie uns ein Bild von Ihrem Lebenslauf entwerfen; ich bitte also darum.“

„Wenn ich,“ erwiderte er, „von einer so bewegten, ereignißreichen Laufbahn, wie ich sie zurückgelegt habe, von meinen Wanderungen, Abenteuern und Bekanntschaften mit den bedeutendsten Persönlichkeiten des Jahrhunderts Ihnen nur die Umrisse zeichnen wollte, so müßte ich, da das Alter“ – fügte er lächelnd bei – „geschwätzig macht, Ihre Geduld auf eine starke Probe stellen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_570.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)