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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Berlin am Köllnischen Markt und außerdem noch viel baares Geld. Friedrich Wilhelm wendete sich sogar einmal betreffs eines Anlehens an Derfflinger und schreibt darüber an den Statthalter der Mark, den Fürsten von Anhalt: „Wir haben wegen eines benöthigten Anlehens unsern General-Feldzeugmeister Derfflinger gnädigst ansprechen lassen und hat sich derselbe unter andern auf zweitausend Thaler, so er von Ew. Liebden zu empfangen, erboten.“

Dem Marschall Friedrich Grafen von Schomburg schenkte der Kurfürst ein neues ebenfalls von Nehring auf dem Friedrichswerder zu Berlin erbautes Palais.

Der erste Minister und Oberpräsident des Geheimen Raths, Otto von Schwerin, ein um das kurfürstliche Haus hochverdienter Staatsmann, der sich bei vielen Friedensschlüssen und bei schwierigen diplomatischen Missionen besonders ausgezeichnet, wurde nicht nur mit der Herrschaft Alt-Landsberg in der Kurmark beliehen, sondern Friedrich Wilhelm schenkte ihm auch noch „mehrere Güter“ in Preußen, Pommern und Cleve.

Die Zeit des großen Kurfürsten bietet viele interessante Vergleiche mit der gegenwärtigen, und wir empfehlen unsern Lesern zum Studium recht nachdrücklich das vortreffliche Werk: „Dr. Förster, der große Kurfürst und seine Zeit“.

H. Z.

Sieger-Einzug in’s Dörfchen. (Mit Illustration, S. 553.) Ja, das war reine, himmelklare, selige Lust! Nur Freude und nichts als Glück in jedem Antlitz! Ich kam in das neupreußische, mehrere Stunden abseits der Eisenbahn an der hessisch-thüringischen Grenze liegende Kirchdorf M., um meinen alten Studiengenossen, den dortigen Pfarrer, mit meinem Besuch zu überraschen, und ich ward dagegen mit einem Feste überrascht, das ich am wenigsten in dieser Abgeschiedenheit von den eisernen Weltstraßen erwartet hätte.

Mein rasches Geschirr holte auf dem Wege dahin einen festlichen Zug ein: mit Kränzen und Fahnen geschmückte Leiterwagen, von fröhlichem Landvolk umwogt und von etlichen reitenden Bauernburschen angeführt, brachten eine Schaar aus Frankreich heimgekehrter Krieger in ihr Dorf zurück. Es waren wohl ein Dutzend Soldaten, stramme Burschen und Männer, Infanteristen und Cavalleristen, die allein den ersten Wagen einnahmen, dann kam die Musik mit allen Anderen, jüngeren Männern, Burschen und Mädchen. Ueberall, wo ein Dörfchen, Weiler oder Haus am Wege stand, Gruß, Winken und Freudenruf.

Da lag endlich das Dorf M., die Fahne wehte vom Kirchthurm und die Glocken, die alten Heimathglocken, grüßten schon aus der Ferne die wiederkehrende Schaar. Ich sah’s mit tiefer Rührung, wie mächtig der Glockenton ihre Herzen erregte. Aller Blicke waren dem Thurme zugekehrt, Hände drückten sich und Thränen rannen. Die Heimath grüßte sie mit ihrer herrlichsten Weihe.

Noch weit vor dem Dorfe stiegen die Soldaten ab, es litt sie nicht mehr auf dem Wagen, denn nun streckten sich erst gar liebe Hände ihnen entgegen. Da kamen die Alten und Mütter und Kinder, und da wurde die Freude stumm, die Worte erstickten in der überströmenden Wonne, Hände und Augen thaten Alles allein. Nur die Mädchen blieben standhaft bei der Pflicht: sie schmückten die Krieger mit Kränzen und Gewinden zum feierlichen Empfang vom Ortsvorstand. Ein Zelt war aufgeschlagen und beflaggt und bekränzt. Dort stand der alte Schultheiß mit den Gemeindeältesten. Er hielt gewiß eine wackere Ansprache, aber hören konnte ich sie nicht, ich sah nur, wie er schließlich den großen „Willkomm“ ihnen entgegenbrachte, und hörte, wie Alles in ein mächtiges Hoch ausbrach. Meine Augen suchten lange vergeblich nach meinem alten Freund. Endlich sah ich ihn; er stand hinter der Schuljugend, die mit ihrer Fahne den Zug von der Friedhofmauer herab begrüßte, vor der Sacristei seiner Kirche. Dorthin bewegte sich nun auch der Zug, die Krieger voran.

Alter, deine Stimme hat gezittert, als du die Worte sprachst: „Willkommen, Ihr Braven! Willkommen in der Heimath und an den Herzen Eurer Lieben! Willkommen auf dem Friedhof, wo Eure Voreltern ruhen! Willkommen vor dem Kirchlein, das Euch für das Leben geweihet und bei Eurem Auszug gesegnet hat und in welchem unsere Gebete für Euch und für das liebe Vaterland zum Himmel emporgestiegen sind. Der Herr hat unser Flehen erhört, der Herr hat Euren Arm geführt und Euren Leib beschützt! Der Herr hat durch Euren Sieg uns das lange und schmerzlich ersehnte freie, große, einige Vaterland bescheert! Der Herr sei gelobet in Ewigkeit! Amen.“

Und als wir am Abend allein von derselben Friedhofmauer auf das jubelnde Volksfest herabblickten, da sprachst du: „Gottlob, daß wir’s erlebt haben! Gewollt haben wir alten Burschenschafter ganz dasselbe schon vor vierundfünfzig Jahren. Du weißt, wie klar der Paragraph des Jahn’schen Statuten-Entwurfs die Verfassung des deutschen Reichs darstellte, – fast genau so, wie es heute geworden ist. Und als sie uns damals verhöhnten, verfolgten und grausam bestraften, weil wir gegen den Willen der Mächtigen um ein einiges Deutschland, um Kaiser und Reich rangen, wer von uns hätte in seinem Schmerz geglaubt, daß wir noch Kaiser und Reich feiern würden nach einem solchen Siege? Aber wir behaupten mit Recht unsern Ehrenantheil an ihm. Wir haben treu und fest im Volke weitergekämpft, wir haben den Vaterlandsgedanken nicht aussterben lassen – und er hat endlich gesiegt! Unsere Farben sind freilich beseitigt. – Trösten wir uns. Es war des neuen Kaisers Recht, dem neuen Reich die Farben zu bestimmen – wie früher es unser Recht gewesen ist, der zerrissenen sechsunddreißigfarbigen Nation die Fahne zu geben, unter welcher die Einheit und Freiheit siegen sollte. Wer nicht blind gegen die Bedeutung dieses Geisteskampfes eines halben Jahrhunderts ist und dennoch nicht jedes Vaterlandsfest mit beiden Fahnen feiert, begeht einen schweren Undank. Ehre und Friede, und ein heiliges Andenken unsern Mitkämpfern in den Gräbern! Wir aber haben mitgekämpft und mitgesiegt! Komm’, wir wollen uns auch mit freuen! –“

Fr. Hfm.

Die Geheimnisse der Theater-Claque. Der nicht eingeweihte Theil des Theaterpublicums sieht bei seinen Besuchen der Bühnenvorstellungen nur die Erfolge der großen Künstler und Künstlerinnen; welche Mittel aber häufig angewandt werden, die Ovationen hervorzurufen oder mindestens zu steigern, davon lassen Tausende sich nichts träumen. In Berlin ist die Claque eine wohlorganisirte, an der Spitze derselben stehen einige handfeste Subjecte, die ihr Handschuhleder je nach dem Preise zerhauen. Einer der „Chefs“ that mir bei einem Glase Wein sein ganzes Herz auf.

„Sehen Sie,“ sagte er, „wir haben die Künstler am Fädchen – bezahlen Sie, wird geklatscht und herausgerufen; bezahlen sie nicht – auch gut, dann wird gezischt, auch wohl gepfiffen.“

„Wie viel haben Ihnen die einzelnen Künstler für die ‚Unterstützung in der Kunst‘ zu zahlen?“

„Das wird nach den Vermögensverhältnissen und nach dem Umfange der Arbeit bestimmt. Fest engagirte Künstler abonniren bei uns gleich auf’s Jahr; kommen Gäste, die haben für die Saison zu zahlen.“

„Wollen Sie mir nicht einige Beispiele zur Uebung vorlegen?“

„Wenn es Sie interessirt, mit Vergnügen. Sehen Sie, da ist zum Beispiel die ***, die werden Sie wohl kennen?“

„O gewiß!“

„Diese Künstlerin gastirte in Berlin als ‚Jungfrau von Orleans‘. Ich stellte mich ihr vor und bot ihr meine Dienste an. Das Erste, was sie mich frug, war: ‚Wie oft denken Sie mich zu rufen?‘ Ja, sagte ich, Fräulein, die Augsberger haben wir als ‚Jungfrau‘ zwölf Mal herausgeholt. ‚Dann müssen Sie mich mindestens vierzehn Mal rufen!‘ sagte die *** rasch. ‚Ich zahle Ihnen zwei Friedrichsd’or und gebe Ihnen die nöthigen Billets für Ihre Helfer, aber nur unter der Bedingung, daß ich zwei Mal öfter als Fräulein Augsberger gerufen werde.‘ Das läßt sich leicht machen, gab ich zur Antwort, wenn Sie uns die Kettenscene nicht verderben. Nach der Kettenscene wurde die Augsberger drei Mal gerufen, und für das Uebrige bei Ihnen, Fräulein ***, noch elf Mal, das wäre Kleinigkeit. Aber wie gesagt, die Kettenscene.“

„Was hat es mit dieser Kettenscene für eine Bewandtniß?“

„Sehen Sie, werther Herr, das ist nämlich der Schluß der elften Scene im fünften Act,“ belehrte mich der kundige Thebaner, „Johanna sitzt gefangen im Thurm, mit Ketten belastet. Der Soldat, der auf der Ausluge steht, ruft: ‚Triumph, Triumph! Die Unsern siegen!‘ Darauf höhnt die Isabeau unsere Jungfrau mit den Worten: ‚Jetzt ist es Zeit, jetzt, Retterin, errette!‘ Da stürzt Johanna auf die Kniee und betet inbrünstig:

‚Zu dir, o Himmel, send’ ich meine Bitte!
Du kannst die Fäden eines Spinngewebs
Stark machen, wie die Taue eines Schiffs,
Leicht ist es deiner Allmacht, eh’rne Bande
In dünnes Spinngewebe zu verwandeln –
Du willst und diese Ketten fallen ab.‘

In diesem Augenblick ruft der Soldat: ‚Hurrah! der König ist gefangen!‘ Das giebt bei der Johanna den Ausschlag, auf springt sie und mit dem Ruf: ‚So sei Gott uns gnädig!‘ zerreißt sie die Ketten, stürzt sich auf einen Soldaten, entreißt dem seinen Säbel und ‚ab‘ durch die Mitte. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach. Sehen Sie, mein Herr, das giebt einen Knalleffect, der mit dreimal Herausrufen nicht zu theuer bezahlt wird. Bei der *** ist es uns sogar viermal gelungen.“

„Aber würde das Publicum, hingerissen von der Situation, nicht von selbst den Hervorruf bewirken?“

„Einmal, ja, aber für das zweite und dritte Mal muß das Publicum ‚annemirt‘ werden, sonst legt es die Hände in den Schooß, wir bekommen auch hauptsächlich für’s ‚Annemiren‘ bezahlt.“

„Sie sprachen vorhin von der V–i.“

„Ja, die reist, wie Sie wissen werden, als männlicher Hamlet. Die wollte Blumen und Kränze geworfen haben. Ich verlangte dazu zwanzig Thaler; das fand sie für einen Abend zu viel. Aber ich machte ihr den Standpunkt klar. ‚Madame,‘ sagte ich, ‚die zwanzig Thaler reichen für zweimal ganz gut aus. Heute Abend werden Ihnen die Bouquets durch mich und meine Garde aus den Logen zugeworfen. Nach Schluß der Vorstellung nehme ich die Blumen in einem Waschkorb mit nach Hause, lege sie in’s Wasser und lasse sie die Nacht und den morgenden Tag über darin liegen, dann merkt morgen Abend kein Mensch im Publicum, daß die Bouquets schon einmal gedient haben.‘ Darauf rückte sie denn die verlangte Summe heraus.“

„Sie sind wirklich ein praktischer Mann!“ rief ich voll Erstaunen dem „Chef der Claque“ zu, der sich von mir verabschiedete, weil er noch am selben Abend Fräulein David im Ballet zu „empfangen“ versprochen hatte.

H.

Für die Ueberschwemmten in Tachau gingen hier ein: Ovaler Tisch bei Kaltschmidt in Leipzig 50 Thlr.; Red. d. Gartenl. 25 Thlr.; Max May in Meiningen 5 fl. österr.; Herbig in Roda 4 Thlr.; C. H. in Eschwege 2 Thlr.; Siemens Großenbusch in Beuel 5 Thlr.; Frau Stolz in Detmold 4 Thlr.; D. K. in Berlin 3 Thlr.; Robert Löwe in Steinau 5 Thlr.; B. u. S. in Eisenach 1 Thlr.; Fr. in Neudorf 2 Thlr.; A. G. in Oberfrohna 1 Thr.; E. A. in Ulm 2 fl. südd.; aus Berlin 2 Thlr.; Ungenannt 1 Thlr.; O. R. 1 Thlr.; N. N. 5 Thlr.; aus Böhrigen C. R. 3 Thlr. 10 Ngr.; F. R. in G. 1 Thlr.; Helene R. in Pest 2 fl. österr.; P. K. in Dresden 1 Thlr.; Männer-Turnverein in Arendsee 5 Thlr.; Frl. Schreiber in Breslau 1 Thlr.; Emilie Zisarsky in Wien 3 fl. österr.; aus Markt Leuthern von drei S. à 5 Thlr. – 15 Thlr.; aus Bad Soden 10 fl. südd.; P. R. in Forst 1 Thlr.; A. B. in Langensalza 1 Thlr.; ein Leser der Gartenlaube 10 Thlr.; aus Frohburg 1 Thlr.; Wenig mit Liebe 1 Thlr.; aus Köthen 1 Thlr.; K. u. L. 5 Thlr.

D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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