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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


von Baden-Baden, Windlichter flackerten auf der Tafel der lustigen Gesellschaft und spiegelten sich in goldenem Rheinwein und rosigem Champagner. Alles lachte und scherzte, Niemand sah das Gespenst des Jahrhunderts, den Bürgerkrieg, obwohl sein Leichentuch in Frankreich schon ausgebreitet war – man schlug dort soeben die Junischlacht von 1848. Damals stand das unbefreite Deutschland aber noch unter dem französischen Geistesjoch und war nur zu geneigt, in allen Wahnsinnsausbrüchen dem Franzmanne zu folgen. Kaum acht Wochen später wurden Fürst Lichnowsky und General Auerswald vom Volke zerrissen. Die Einzelheiten dieses Mordes zu erzählen ist hier nicht der Ort.

Ein Jahr später kamen wir nach Schloß Grätz, wo wir schon einmal als Gast der Herzogin geweilt hatten; sie war nicht mehr dort und hatte das einst so geliebte Besitzthum verschenkt. Der jüngere Bruder des Fürsten, Graf Robert, ihm körperlich und geistig sehr ähnlich, hatte es von ihr erhalten mit der Bedingung, die Erinnerungen an den gemordeten Fürsten darin aufzubewahren. Der Schloßwart führte uns auf vieles Bitten in die dazu bestimmten Räume, denn eigentlich war es nicht erlaubt, dieselben zu besichtigen.

Mit Schauder betrachteten wir die blutigen Kleider, die in Glaskästen aufbewahrt werden. Das blutige Battisthemd mit halb abgerissener Manschette – wir sahen noch die schöne feine Hand, die den vollen Lebensbecher gehalten hatte und nun zerschmettert war – machte einen ganz besonders furchtbaren Eindruck auf uns. Ebenso der feine graue Sommerhut, unter dem wir noch die dichten schwarzen Locken flattern gesehen hatten, zertreten, mit Fäusten eingedrückt. Neben der Todtenmaske von Gyps lag auch eine Abbildung der linken Hand, die unversehrt geblieben war. Auch ein Stückchen Holz aus der Pappel, an die sich der unglückliche Felix lehnte, als die Cannibalen ihm den Leib aufgeschlitzt hatten, lag da, sowie einige Steine aus der Kellerwand, die ihm anfangs einigen Schutz gewährte. Der welken Todtenkränze waren so viele gewesen, daß von jedem nur ein Blatt aufgehoben werden konnte. Die Briefe und Tagebücher, schwarzversiegelt, füllte einen besondern Schrank. In diese melancholische Erinnerungswelt voll Schmerz und Erdenstaub schaute das lebensgroße Bild des einst so glücklichen Fürsten von den Wänden herab, sowie eine große Anzahl von Portraits aus seiner Kindheit, die Liebe beweisend, die seine Eltern für den schönen Knaben hegten.

Die Hand aber, die alle seine Erinnerungszeichen gesammelt und geweiht hatte, war die der Herzogin Dorothea. Wir sahen sie später und öfter wieder, aber niemals wagten wir von dem gemordeten Liebling mit ihr zu reden. Wenn sie nur annähernd an ihn erinnert wurde, flog ein Schatten unheilbaren Schmerzes über ihr immer noch schönes Gesicht. „Sie mußte weiter leben ohne Klagen, fühlt auch ihr Herz sie tief zerschlagen,“ wie eine englische Dichterin sagte. Beinahe vierzehn Jahre überlebte sie dieses Ereigniß; wir sahen sie zuletzt in Schlangenbad, wo sie mit der schmerzhaftesten Todeskrankheit rang. Sie starb am 13. September 1862.

Wunderbarer Weise lebt ihr Gemahl, von dem man so selten etwas hörte, noch als hochbetagter Greis in Florenz; er vermählte sich zwei Jahre nach dem Tode Dorothea’s mit der Wittwe eines Engländers, einer gebornen Fräulein von Ulrich aus Dänemark.

Der jetzige Besitzer von Sagan ist Dorothea’s ältester Sohn, Napoleon Ludwig, Herzog von Talleyrand-Périgord; er ist 1811 geboren und vermählte sich mit der Wittwe des preußischen Gesandten in Paris, Grafen Hatzfeld, die eine geborne Gräfin Castellane ist. Der zweite Sohn Dorothea’s hatte von Kaiser Napoleon dem Dritten den Herzogstitel und Namen der alten Familie von Montmorency erhalten, eine ihrer Töchter ist an den Grafen Castellane verheirathet, eine ihrer Enkelinnen mit dem Fürsten Radziwil, demselben, der die historisch denkwürdige Abweisung Benedetti’s in Ems zu besorgen hatte, da er gerade Dienst als Flügeladjutant des Königs Wilhelm in Abwesenheit des Grafen Lehndorff hatte.

Die Sympathien mit Frankreich können in der herzogliche Familie von Sagan noch nicht völlig ausgestorben sein; doch hat sie so viel Loyalität bewiesen, daß dieselben nicht zu fürchten sind, wenn es sich um das Wohl ihres Adoptivvaterlandes, Deutschland, handelt.




Blätter und Blüthen.


Wie der große Kurfürst seine Generale und Minister dotirte. Es ist nicht die Absicht dieser Zeilen, die Dotation, die Kaiser Wilhelm verdienten deutschen Generalen und Staatsmännern soeben zuwendet, irgendwie zu kritisiren, noch die in politischen Tageszeitungen viel ventilirten Gründe für und wider diese Schenkungen nochmals zu erwägen. Es soll vielmehr die oft und wiederholt ausgesprochene Behauptung, die Dotationen nach den Kriegen von 1866 und 1870–1871 fänden in der Geschichte Preußens kein Beispiel und Kaiser Wilhelm ahme in dieser Beziehung nur Napoleon dem Ersten nach, mit historischen Daten widerlegt und das Gegentheil bewiesen werden.

Es dürfte wohl überflüssig sein, darauf hinzuweisen, daß der große Kurfürst Friedrich Wilhelm der eigentliche Begründer der heutigen Machtstellung Preußens und in Folge dessen auch des deutschen Reiches ist. Daß er dieses sein Werk, dessen ruhmreiche Durchführung ihm den Namen des „Großen“ beilegte, hauptsächlich nur durch Errichtung eines stehenden Heeres in’s Leben rufen konnte, ist ebenso bekannt. Als Friedrich Wilhelm im Jahre 1640 die Regierung über seine Lande übernahm, führte er zwar den Titel: „Wir, Friedrich Wilhelm, Markgraf zu Brandenburg, des heiligen Römischen Reiches Erzkämmerer und Kurfürst, Herzog in Preußen, Jülich, Cleve, Berg, Stettin, der Pommern, Cassuben und Vandalen, sowie in Schlesien, zu Crossen und Jägerndorf Herzog, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Rügen, Graf zu Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc.“, allein das waren größtentheils nichts weiter, als eben nur leere Titel. Das ihm hinterkommene Erbe bestand nur aus dem Herzogthum Preußen, damals ein Lehen der Krone Polen, aus dem Fürstenthum Hinterpommern und dem Herzogthum Cammin, den Herrschaften Lauenburg und Bütow und aus der Mark Brandenburg. Die Herzogthümer Jülich, Cleve und Berg und die Herrschaft Ravenstein besaß er mit dem Pfalzgrafen von Pfalz-Neuburg gemeinschaftlich. In allen diesen Landen jedoch gehörte ihm in Wirklichkeit fast kein Fuß breit Erde, da ein großer Theil derselben durch die entsetzliche Furie des dreißigjährigen Krieges zur völligen Wüste gemacht, ein anderer Theil hingegen von den Feinden noch hartnäckig besetzt gehalten und das Uebrige ihm von den Freunden vorenthalten wurde. Nur durch eigene Kraft und Klugheit, durch die Errichtung eines schlagfertigen stehenden Heeres und durch seinen Scharfblick, vermöge dessen er tüchtige Generale und Staatsmänner gewinnen und heranbilden konnte, befreite er sein Erbe von Feinden und Freunden, schlug er die Schweden, Polen, Tataren, Frankreich etc. und erwarb er sich neue Gebietstheile.

Friedrich Wilhelm fand bei seinem Regierungsantritt ein Erbe von 1300 Quadratmeilen mit 800,000 Einwohnern und ein Heer von 2500 Mann, das zum Theil dem Kaiser geschworen hatte, vor. Die geringen Einnahmen flossen zum Theil in die königlich schwedischen, königlich polnischen und in die kaiserlichen Cassen. Dagegen hinterließ der große Kurfürst seinem Sohne einen Staat von 1932 Quadratmeilen mit 1,500,000 Einwohnern, ein Heer von ungefähr 30,000 Mann (Friedensfuß), nämlich 5320 Reitern und 24,560 Mann Infanterie und Artillerie, dabei regelmäßige jährliche Einkünfte von 2,540,000 Thalern, wovon jedoch nichts in ausländische Cassen floß. Ein großer Theil der letzteren, nämlich 1,110,000 Thaler, wurden für das Heer verwendet. Es ist bekannt, daß sich der große Kurfürst fortwährend in großen Geldverlegenheiten befand, da das verhältnißmäßig zu bedeutende stehende Heer, die vielen Kriege, die Geschenke, die er vielfach an fremde Diplomaten ausgeben mußte, um seine Zwecke zu erreichen, ungeheure Summen verschlangen. Die Stände der verschiedenen Länder, besonders Preußens, sträubten sich regelmäßig gegen neue Auflagen und drangen wiederholt und manchmal sogar in ungehörigen Ausdrücken auf Reducirung der Alles verschlingenden Soldatesca.

Doch Friedrich Wilhelm ließ sich, sein großes Ziel stets fest im Auge behaltend, durch diese Quereleien nicht irre machen. Er fand sogar noch Mittel, seine verdienten Generale und Staatsmänner zu dotiren und sie dadurch noch fester an sich und seinen Staat zu ketten.

So beschenkte er den Generalfeldmarschall Otto Christoph, Freiherrn von Sparr, der den dritten Tag der Schlacht bei Warschau (Sonntag, den 26. Juli 1656) durch seine äußerst geschickt placirte Artillerie entschied, das Haus Nr. 21 in der Spandauer-Straße in Berlin und ernannte ihn zum Generalfeldmarschall. Sparr war der erste brandenburgische Officier, der diese Würde erhielt. Jenes Haus in der Spandauer-Straße trägt an seinem Hintergebäude heute noch das Bildniß von Sparr’s nebst einer Inschrift.

Die bedeutendsten Dotationen erhielten jedoch der Generalfeldmarschall von Derfflinger und der Minister Otto von Schwerin. Nachdem der Erstere schon mehrfache Auszeichnungen und Gunstgaben selbst bis zu zehntausend Thaler genossen, erhielt er nach der Schlacht bei Fehrbellin abermals zehntausend Thaler. Die größte Dotation wurde ihm während des pommerschen Feldzuges zu Theil: der Kurfürst verschrieb ihm nämlich hundertzwanzigtausend Thaler auf die Comthurei des Johanniterordens Wildenbruch, dann gab er ihm nach der Eroberung der Insel Rügen eine Anweisung von fünfzigtausend Thalern auf die spanischen Hülfsgelder, die er in dem folgenden Jahre auf zweiundsechszigtausend Thaler erhöhte, außerdem ließ er ihm durch seinen Hofbaumeister Nehring in Berlin ein „stattliches“ Haus am Köllnischen Markte, dem Schlosse gegenüber, bauen.

Derfflinger, der als blutarmer Schneidergesell in die Welt gewandert war, hinterließ nach den damaligen Verhältnissen ein kolossales Vermögen, nämlich die Güter Gusow, Platkow, Wulkow, Kerkow, Hermsdorf, Theeren, Kraneiche, Schildberg und Quitemen, dann das bereits erwähnte Haus in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_559.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)