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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Beschränkungen scheinen erst im 17. Jahrhundert eingeführt worden zu sein. So hatte man ihnen früher im Brühl ungehindert ihren Gottesdienst gestattet, der 1704 untersagt und erst später wieder erlaubt wurde. Ferner mußten sie auf ihren Geleitszetteln nachweisen, daß sie auf der Reise nach Leipzig nicht von den Stapelstraßen abgewichen waren. Ihre Weiber, Diener und selbst die Rabbiner mußten einen Leibzoll entrichten, wovon man nur Kinder und trotz der eifrigen Verwendung ihres Bevollmächtigten, des braven Elias Berend Lehmann, nicht einmal die armen Betteljuden und ihre Weiber befreite. Außer den Judenpässen sollten den israelitschen Handelsleuten keine Freizettel ertheilt werden und nur Pässe gültig sein, die königliche Majestät eigenhändig unterschrieben hätte, oder welche sich im Besitz von Münzjuden oder Kammerjuden befänden. Offene Verkaufsgewölbe waren ihnen nicht gestattet, sondern sie durften ihre Waaren nur in Wohnungen oder Kammern verkaufen, mit Ausnahme der Federjuden, welchen eine nothdürftige Verkaufsstätte vergönnt blieb; Spuren von Humanität gegen das bedrückte Volk findet man erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo die Beamten bei der Wage, der Post, der Accise und den Zollstätten angewiesen wurden, die Juden mit Glimpf zu behandeln, und man ihnen gestattete – seit 1764 – sich auch außer den Messen in Leipzig aufzuhalten, jedoch nach bestimmten Verordnungen, darunter auch, daß sie im Brühl wohnen mußten. Die treue Anhänglichkeit der Juden an den Brühl, wo ihre Voreltern schon vor länger als einem halben Jahrtausend Geschäftchen machten, haben sie einmüthig bewahrt bis auf den heutigen Tag, und namentlich der Platz zwischen der alten Wage und dem Georgenhause blieb das Geschäftseldorado, die gefeierte Ecke, wo noch immer Milch und Honig fleußt!

Noch muß einer Sage gedacht werden, welche sich an das nunmehr verschwundene Georgenhaus knüpft und bezeugt, wie leicht das Volk eine solche zurechtzulegen weiß. Ueber dem Portale befand sich, wie bemerkt, eine Kampfscene des zu Rosse sitzenden Ritters Georg mit dem Drachen, welche man auch in bunter Schilderei über der Thür eines Hauses auf dem Thomaskirchhofe antrifft, und die bekanntlich eine Allegorie der siegenden christlichen Kirche über das Heidentum darstellen soll. An einer Kelleröffnung der Nicolaikirche sieht man an dem Eisengitter ein mächtiges Hufeisen, muthmaßlich das Erinnerungszeichen an einen vor Jahrhunderten hier begrabenen frommen Schmied. Das Volk aber erzählt, im schlammigen Wallgraben der Pleißenburg habe der Ritter Georg den Drachen aufgestöbert und ihn vor sich hertreibend auf dem Thomaskirchhofe die erste Wunde beigebracht. Beim Nicolaikirchhofe sei seinem Pferde ein Hufeisen abgeflogen, das man an jenem Kellergitter befestigte, und am Georgenhause habe er endlich den Drachen eingeholt und, wie das Steinbild verewige, getödtet. Mit dem Hause wird auch diese naive Sage verschwinden, es wäre denn, daß sie ebenfalls in den großartigen Neubau mit übersiedelte. Die Volkspoesie ist hartnäckig!

Otto Moser.


Ein Jubelfest im Norden.
(Schluß.)

Anfangs lebte Scott mit seiner jungen Frau im Hause seiner Eltern, schon im nächsten Sommer jedoch richtete er sich sein eigenes kleines Nest ein, einige Stunden von Edinburgh zu Laßwade am Esk. Wohl selten ist einem Dichter ein lauschigeres Asyl bescheert worden, und poetisch und geistig beschwingt war auch das Leben, welches hier den beiden Glücklichen aufging, wiewohl neben dem Dichter und Schriftsteller auch dem Cavalier und Weltmann die Rechte nicht geschmälert wurden. Mit eigenen Händen baute Scott sich Haus und Garten aus und that sich vielleicht mehr zu Gute auf die Laube, die er sich im Schweiße seines Angesichts zusammengezimmert, als auf das erste große Dichterwerk, welches er von seinem süßen Tusculum am Esk in die Welt sandte. Denn hier in dem grünen bergumsäumten und wellenumspülten Laßwade reisten die Schöpfungen ihrer Vollendung entgegen, die seinen Namen zuerst in die Öffentlichkeit trugen.

Den Reigen führte ein im Stillen schon lange vorbereitetes Werk an, eine Sammlung alter Balladen seines geliebten Grenzlandes unter dem Titel „Border Minstrelsy“. Ihm folgte „das Lied des letzten Minstrel“, dann „Marmion“ und zuletzt „die Jungfrau vom See“. Obwohl allen diesen Epen Walter Scott noch nicht den Preis der Unsterblichkeit verdankt, so war doch ihr Erfolg ein ungeheurer. Binnen wenigen Tagen (bei der „Jungfrau vom See“ schon in den ersten vierundzwanzig Stunden) erschöpften sich die in Tausenden von Exemplaren abgezogenen ersten Prachtausgaben, und ohne eine Zeile davon gesehen zu haben, wetteiferten schottische und englische Verleger, dem Poeten enorme Honorare für jedes neue Werk anzubieten. Keines derselben wurde indeß mit einem solchen Enthusiasmus aufgenommen, wie „die Jungfrau vom See“.

Scott selbst sagt in der Einleitung zur letzten von seiner eigenen Hand herrührenden Ausgabe dieses Buchs: „Der Erfolg meiner Jungfrau war ein so merkwürdiger, daß ich fast wähnte, das rollende Rad Fortuna’s jetzt festgehalten zu haben; der Ruhm, der mir wurde, ein so großer, daß ich unmöglich noch größeren erhoffen durfte, vielmehr einen Rückschlag befürchten mußte.“

Und dennoch sollte er seinen eigentlichen und eigensten Ruhm erst noch ernten!

Schon Marmion war nicht mehr in dem reizenden Poetenwinkel am Esk gedichtet worden. Durch die Gunst seines Clanchefs, des Herzogs von Buccleugh, eines der reichsten Grundherren Schottlands, hatte Scott das ehrenvolle und einträgliche Amt eines Sheriffs der Grafschaft Selkirk erhalten, welches ihm volle Muße ließ, seinem Dichterberufe zu leben. Da es ihm aber doch wünschenswerth erschien, inmitten seiner Pflegebefohlenen zu wohnen, so ließ er sich zuerst auf einem von den Erben eines Onkels erpachteten Landsitze nieder. Allein schon wenige Jahre darauf, einige Monate nach der Veröffentlichung seiner „Jungfrau vom See“, kaufte Scott das unweit der pittoreskesten aller schottischen Ruinen, des Klosters Melrose, gelegene Abbotsford und erbaute sich hier ein Schlößchen, welches von den Grundmauern bis zu der geringfügigsten Zimmerdecoration als das eigenste Werk des Poeten bezeichnet werden muß, eine köstliche Dichtung in Stein und Mörtel, jedenfalls nicht die schlechteste Schöpfung des Meisters.

Noch heute ist Abbotsford, obschon nicht mehr im Besitze eines Scott, voller Reliquien des unsterblichen Dichters, die mit andachtsvoller Verehrung gehütet werden. Da steht noch der hohe gothische Lehnstuhl, in welchem der unermüdliche Schriftsteller gesessen; da hängen noch die alten schottischen Schwerter und Schilde, die hochländischen Taschen und Dolche, die er gesammelt hat; da erblicken wir noch die Bilder und Portraits aus der schottischen Geschichte, auf welchen sein Auge zu ruhen pflegte, während er sann; da ist fast jeder Baum der ausgedehnten Forsten ringsum von dem Poeten gepflanzt oder doch an seinen Platz gewiesen; da rauscht vor den Fenstern noch der raschströmende breite Tweed, der Grenzfluß zwischen den beiden Schwesterreichen, dessen Wellengesang Scott so sehr geliebt hat; da ist weit umher jeder Zoll breit Erde durch seinen Fuß zu classischem Boden geweiht.

Ehe Scott sein Domicil auf dieser neuen Scholle aufschlug, was im Mai des Jahres 1812 geschah, bekleidete er neben seinem Sheriffthume länger schon noch ein zweites öffentliches Amt. Er war zum Secretär am höchsten Gerichtshofe des Landes, zum sogenannten Clerk of Session ernannt worden und sah sich durch diesen hochangesehenen Posten alljährlich mehrere Monate an die Hauptstadt gefesselt. Dafür bezog er das stattliche Gehalt von dreizehnhundert Pfund Sterling – beinahe neuntausend Thaler – und konnte die übrige Zeit ganz nach seinem Gefallen verwenden. Rechnen wir zu diesen amtlichen Einnahmen den reichen Gewinn, der ihm aus seiner schriftstellerischen Thätigkeit erwuchs, so dürfen wir Scott wohl einen auch äußerlich vom Glücke in ungewöhnlichem Maße begünstigten Poeten nennen. Leider sollte jedoch auch an ihm der Spruch in Erfüllung gehen, daß „mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten!“

Die Uebersiedelung nach Abbotsford selbst trug ein so eigenthümliches Gepräge, daß wir ihrer mit ein paar Worten erwähnen zu müssen glauben. Vierundzwanzig Wagen, die mit dem absonderlichsten Gepäcke beladen waren, mit Schwertern, Bogen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_535.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)