Seite:Die Gartenlaube (1871) 529.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 32.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Sieht das aus, als ob schwachsinnige Troglodyten dort hausten?“ fragte lächelnd der Professor. „Und kommen Sie in einem Monat wieder, wenn die Haide blüht, wenn sie purpurn flimmert und schimmert! Dann ist sie märchenhaft! Noch später aber trieft sie von flüssigem Gold, von dem Golde des Honigs – und was wollen Sie? Das ‚ausgestoßene Kind Gottes‘ schmückt sich wie ein Königstöchterlein – viele der kleinen dunkeln Haidebäche, wie Sie dort drüben einen sehen, haben Perlen.“

„Ja, Milliarden Wasserperlen, die in’s Meer fließen!“ lachte der junge Herr.

Der Professor schüttelte ungeduldig den Kopf. Ich hatte ihn auf einmal herzlich lieb, den Mann, trotz seines vertrockneten Gesichts, seiner vielen Fremdwörter und der häßlichen, rasselnden Blechbüchse auf dem Rücken. Er vertheidigte ja meine Haide, er hatte mit wenigen Worten den ganzen Zauber und Segen, den sie athmete, zur Geltung gebracht. Der junge Spötter mit dem verächtlich lächelnden Munde aber, der mir mit jedem seiner Worte auf das Herz trat, er mußte beschämt werden. Ich weiß noch heute nicht, woher ich den Muth nahm, aber ich stand plötzlich an seiner Seite und hielt ihm schweigend die Hand hin, in der fünf Perlen lagen.

Mir war, als sei ich auf glühende Kohlen getreten; ich fühlte, wie mir die Lippen zitterten vor Scheu und Angst, und meine Augen hingen fest am Boden. Es wurde dunkel um mich her, man umringte mich; der Herr, der inzwischen vom Hügel niedergestiegen war, die Arbeiter, alle kamen heran, und neben mir sah ich Heinzens riesenhafte Schuhe.

„Na, nun sehen Sie ’mal, Herr Claudius, das Kind da will Sie überführen! … Brav, mein Töchterchen!“ rief überrascht und vergnügt lachend der Professor.

Der junge Herr sagte kein Wort. Vielleicht war er erstaunt über die Dreistigkeit, mit der sich das Kind der Haide im groben Leinenhemd und kurzen Wollröckchen neben ihn stellte. Langsam, ich meinte, mit Widerwillen griff er herüber – und jetzt erschrak ich erst recht bis in’s Herz und schämte mich. Unter diesen elfenbeinweißen schlanken Fingern mit den mattglänzenden Nägeln erschien meine sonnenverbrannte Hand völlig kaffeebraun; sie zuckte unwillkürlich zurück, und um ein Haar hätte ich die Perlen verschüttet.

„Wahrhaftig, sie sind noch nicht durchbohrt!“ rief er und ließ zwei der winzigen Kügelchen über seine Handfläche rollen.

„Form und Farbe lassen freilich viel zu wünschen übrig – sie sind sehr grau und unregelmäßig,“ entschuldigte der Professor. „Es sind eben kleine Baroqueperlen ohne sonderlichen Werth; aber sie bleiben immerhin eine interessante Erscheinung.“

„Ich möchte sie gerne behalten,“ sagte der junge Mann; das klang wie eine höfliche Bitte.

„Nehmen Sie,“ antwortete ich kurz, ohne aufzusehen; ich meinte, man müsse in jedem Wort mein Hasenherz klopfen hören.

Er las behutsam die übrigen Perlen von meiner Hand auf, und jetzt sah ich, wie der Herr im braunen Hut, der vor mir stand, ein glänzendes Gewebe, in welchem es leise klirrte, aus der Tasche zog.

„Hier, mein Kind,“ sagte er und legte mir fünf große, runde, hellglänzende Stücke in die Hand.

Zu ihm schlug ich die Augen auf. Ich sah eine breite Hutkrempe, die das halbe Gesicht verdeckte, dann kam eine große blaue Brille, von der ein leichenhafter Schein auf die Wangen fiel.

„Was ist das?“ fragte ich, bei aller Befangenheit doch ergötzt durch das Geflimmer und die Form der fremdartigen Dinge.

„Was das ist?“ wiederholte der Herr erstaunt. „Wissen Sie denn nicht, was Geld ist, kleines Mädchen? Haben Sie noch keinen Thaler gesehen?“

„Nein, Herr, das weiß sie nicht,“ antwortete Heinz mit wahrhaft väterlicher Autorität für mich. „Die alte Frau leidet kein Geld im Hause; was sie findet, wirft sie ohne Gnade in den Fluß.“

„Wie! … Und wer ist denn diese seltsame alte Frau?“ fragten die drei Herren fast zugleich.

„Nu, dem Prinzeßchen seine Großmutter.“

Der junge Herr lachte laut auf. „Diesem Prinzeßchen?“ fragte er und zeigte auf mich.

Ich ließ die Silberstücke auf den Boden hinrollen und entfloh. … Böser, böser Heinz! … Aber warum hatte ich ihm auch die Geschichte von der überaus zarten und feinen Prinzessin auf dem Erbsen-Prüfstein erzählt! und warum hatte ich’s gelitten, daß er mich seitdem „Prinzeßchen“ titulirte, weil er sich einbildete, es gäbe nichts Kleineres und Feineres, als das leichtfüßige Menschenkind, das an seiner Seite die Haide durchstreifte!

Ich lief wie gehetzt heimwärts. Das Spottgelächter des jungen Mannes jagte mich, und ich hatte das dunkle Gefühl,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_529.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)