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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


einem Manne zugemuthet wird, bei fünfzehn- bis achtzehnstündiger Beschäftigung in freier Luft, allen Witterungseinflüssen preisgegeben, und bei kärglicher Nahrung, den so außerordentlich ernsten, verantwortungsreichen Dienst von der ersten bis zur letzten Stunde mit gleicher Aufmerksamkeit zu verrichten? Ist das eine Anforderung, die mit den Gesetzen der Humanität nur im entferntesten Einklange steht? Nein! Es ist offenbare Menschenquälerei! und ist’s eine Anforderung, die der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs dient. Wieder ein Nein! Es ist vom Geldsack gedeckte Gewissenlosigkeit!

Wenn dem von der Tageslast und der täglichen Entbehrung angegriffenen Manne der Schlaf der Ermüdung das Auge einmal zudrückt in dem unglücklichen Augenblicke, wo er durch seine Dienstverrichtung Leben und Gesundheit von Hunderten in der Hand hat, wo eine falsche oder unterlassene Weichenstellung, eine die Bahn sperrende Barrière einen ganzen Zug in’s Verderben stürzt und den Bahnkörper mit Leichen und Krüppeln unter Wagentrümmern übersäet, – ja, dann springt die Obrigkeit bei und nimmt Weichensteller oder Bahnwärter, als die gewöhnlich Schuldigen, beim Kopf, – und Jedermann findet das in der Ordnung, die armen Betroffenen selbst, denn sie wissen nun einmal nicht anders, als daß sie ihre Lebtage bei diesem Dienst mit dem einen Fuß am Rande des Grabes und mit dem andern auf der Schwelle des strafenden Gerichts stehen, – aber steckt denn, trotz alledem, die eigentliche Urheberschaft des Unglücks nicht ganz wo anders? –

Ist es nun einmal das Eigenthümliche an der Anstalt der Eisenbahnen, daß bei ihrem Betrieb von der Diensttüchtigkeit gerade der untergeordnetsten und größten Classe ihrer Arbeiter mit dem ungehinderten Gange des Ganzen zugleich das Leben so vieler Menschen abhängig ist, so ist es offenbar Pflicht und Recht des Staats, dafür zu sorgen, daß nicht die Eigensucht der Speculation der Diensttüchtigkeit dieser Leute durch ungenügenden, in keinem Verhältniß zu den Ansprüchen, wie zur Gefahr und Verantwortlichkeit ihrer Leistungen stehenden Lohn den größten Eintrag thue.

Der Krieg hat manches praktische Hülfsmittel für den öffentlichen Schutz gefunden, dem man auch im Frieden zweckentsprechende Anwendung wünschen möchte. In den Franctireursgegenden Frankreichs, wo die Bevölkerung durch Brückensprengungen, Schienenaufreißen, ja sogar durch Schießen nach den Waggons den militärischen Verkehr zu stören suchte, sorgte man bekanntlich für die Sicherheit der Züge vor all derlei Gefahr dadurch, daß man die Maires oder sonst hochansehnliche Männer der Stationsorte zwang, jeder Fahrt auf der Locomotive beizuwohnen. Von dem Augenblicke dieser Maßregeln an wurde die Unsicherheit der Bahnen bedeutend geringer. – Wenn bei uns stets ein Herr des Directoriums oder Verwaltungsraths oder ein hochansehnlicher Actionär jedem Zuge auf der Locomotive beiwohnen müßte, der an schlechtbezahlten Bahnwärtern und Weichenstellern vorbeifahren muß, – wer weiß, ob es nicht auch mit diesen bald besser würde!

Lassen wir zum Schlusse noch einen Sachverständigen, welcher dem Eisenbahnbetriebe nahe steht, seine Meinung über diesen Gegendstand aussprechen. „Wenn wir bedenken,“ sagt er unter Anderem, „zu welchem bedeutenden volkswirthschaftlichen Factor des sämmtlichen Verkehrs sich das Eisenbahnwesen entwickelt hat, welche enorme Summen und Renten damit verdient werden und welche große Verantwortlichkeit gerade der Bahnwärter auf sich genommen, – so ist es in der That schwer zu begreifen, wie man in Anbetracht der Wichtigkeit der Sache bisher bei den meisten Eisenbahnen so wenig Rücksicht auf die Lebensstellung dieser ganz unentbehrlichen Beamtenclasse genommen hat.

„Es ist grauenvoll, wie viel gut angelegte Existenzen durch diese Capitalthyrannei zu Grunde gerichtet werden! – Ich kenne zum Beispiel einen solchen Mann, welcher jeden Abend nach zehn Uhr, wo sein Dienst aufhört, erst eine Stunde weit zu laufen hat, um bei seiner Familie zu schlafen; früh vor fünf Uhr muß er wieder auf seinem isolirten Posten sein, er muß also schon vor vier Uhr seine Wohnung verlassen. Es bleiben ihm also, wenn er all seine freie Zeit zum Schlafen verwendet und nicht auch dem Bedürfniß, mit Weib und Kindern zu sprechen, nachgiebt, dazu fünf Stunden. Schläft er weniger, so leidet seine Gesundheit, und trennt er sich des Schlafes wegen ganz vom geistigen Zusammenhang mit Weib und Kindern, so leidet sein Charakter darunter. Eines muß unterliegen, – und in der Regel geht’s über Beides her. Unser geschlagener Mann steht bereits auf dem schwarzen Register des Bahnmeisters, denn man hat ihn einmal bei Tage – schlafend getroffen und dazu kam er noch in den entsetzlichen Verdacht, daß er Branntwein trinke, vielleicht um seine erstarrten Glieder in der hölzernen Luftbude zu erwärmen! – Dieser Mann war, ehe er seinen jetzigen Posten betrat, ein anerkannt braver und zuverlässiger Arbeiter; ihn hat factisch sein Amt demoralisirt, – und dies Alles um welchen Preis? Für zehn Thaler Monatsgehalt!“ –

Die neueste Zeit zeigt uns aber noch einen anderen Standpunkt, von welchem aus das Loos dieser Bahnbeamten zu betrachten ist. Gerade diese Stellen an den Bahnen sind es, zu welchen man gern und häufig gediente Soldaten nimmt. Unser großer Krieg gegen Frankreich hat viele Wehrmänner ihrer bisherigen Arbeit entrissen, viele werden andern Unterhalt suchen, viele in den Dienst der Eisenbahnen eintreten müssen. Soll es dann etwa der Dank des Capitals für die Thaten unserer tapferen Kriegsmänner sein, daß ihnen dasselbe Loos zu Theil wird, das jetzt so laute Klagen hervorruft? Sollen die Helden unserer Schlachtfelder, die auf einen dauernden Dank des Vaterlandes die gerechtesten Ansprüche haben, in einer solchen Stellung verkümmern? Gegen diese Möglichkeit muß jedes redliche Gefühl sich empören, ihr einen Riegel vorzuschieben, das muß die Sorge jeder Volksvertretung in den Landtagen wie im Reichstage sein. Alle sollten darauf dringen, daß es ausgesprochenes Gesetz werde: 1) Jeder Bahnwärter und Weichensteller erhält an seiner Berufsstation eine entsprechende Wohnung mit einem Gärtchen; – und 2) Ihr Gehalt muß Mann und Familie wirklich nähren, ohne ihnen Entbehrungen aufzuerlegen, wie dies jetzt noch der Fall ist. Auch diese Leute müssen ihr Amt mit Freude verrichten können und nicht mit Seufzen.

Es ist nichts damit gethan, wenn wir immer nur hoffen, daß mit der Ausbreitung einer erweiterten Intelligenz auch der humane Sinn bei der Classe der Gebildeten mehr und mehr Boden gewinne. Das wird gewiß einmal recht schön, aber es hilft für die Gegenwart zu nichts. Ehe daher die goldene Zeit anbricht, wo die möglichst richtige Würdigung des wahren Verdienstes und der Arbeit auch des geringsten unserer Mitmenschen zur Sitte wird, wird das Gesetz eintreten müssen, um den Arbeiter vor den Rücksichtslosigkeiten des Capitals zu schützen. Dies nach Möglichkeit zu veranlassen, ist der Zweck dieses Artikels.




Das Pfälzer Potsdam.


Als im Jahre 1736 die elsässische Grafschaft Hanau-Lichtenberg an Hessen-Darmstadt gefallen war, übergab man die Regierung des Ländchens dem jungen Erbprinzen von dort, dem nachmaligen Landgraf Ludwig dem Neunten, dem Helden unsers Berichts. Da jedoch die zehn elsässischen Aemter mit der Hauptstadt Buchsweiler unter französischer Oberhoheit standen, von welcher sich unser Prinz als guter Deutscher belästigt fühlte, zog er sich in das Amt Lemberg zurück, wo er seine Residenz zu Pirmasenz nahm, das heute selbst jenseits des Oceans berühmt als der Mittelpunkt des Pfälzer Schuhhandels, damals zwar nur ein elender Ort auf rauhem Vogesenrücken war und auch lange nachher erst vierunddreißig Häuser zählte, jedoch der fremden Hoheit entzogen blieb. Von hier fuhr nun eines Sommertags der stattliche Prinz „auf die Freierei“ durch die Wasgaufelsen hinaus nach Bergzabern, dem Römerstädtchen im Weinlande am Fuße der Vogesen. Im Schlosse daselbst wohnte nämlich mit ihren Kindern auf dem Wittwensitze die Herzogin Karolina von Zweibrücken, die Stammmutter der Könige von Baiern, eine Ahnfrau der Könige von Preußen.

Henriette, die älteste Tochter der vortrefflichen Fürstin, war berufen, eine der hervorragendsten Frauen des Jahrhunderts zu werden, und gleich ihrer Mutter von den Bewohnern des Städtchens schon damals verehrt ob ihres Geistes, ihrer Einfachheit und Herzensgüte. Hatte sie doch in der schönen Umgebung jenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_521.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)