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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

jedoch liefen plötzlich glühende Dunstgebilde über den Spiegel – es war unglaublich, aber trotz alledem quollen sie unmittelbar aus den Haarspitzen des Lockenkopfes. Das kämpfte durcheinander und glühte immer höher auf, als solle allmählich die ganze Welt von Purpur triefen. Nur das heimliche Düster um die Wurzeln des Buschwerks vertiefte sich zur finsteren Höhle, aus der einzelne Zwerge wie schwarze Stalaktitenzacken in das schwimmende Feuer hereinragten – eine neue, blitzschnelle Wendung der alten Zaubergeschichte. Aber sie erzeugte einen heillosen Schrecken. Nahm doch selbst der Schatten, den das vorgeneigte Mädchen warf, Brunnentiefe an, aus der herauf zwei übergroße, entsetzte Augen glitzerten.

Die braunen Füße gehörten zu keiner Heldenseele: mit einem wilden Satze sprangen sie an das Ufer – welch eine lächerliche Flucht! Draußen über der Haide entzündete sich der Abendhimmel in rothen Flammen; eine feurige, sanft zerfließende Wolke zog über die Bresche hin, das war der gespenstige Nimbus – und die Augen? Hatte wohl je die Welt solch einen Hasenfuß wie mich gesehen? Solch ein kindisches Ding, das vor seinen eigenen Augen davonlief?

Zunächst schämte ich mich vor mir selber und dann vor meinen zwei besten Freunden, die Zeugen gewesen waren.

Meine gute Mieke zwar hatte sich weiter nicht stören lassen – sie war der weniger intelligente Theil. Die schönste schwarzbunte Kuh, die je über die Haideflächen gelaufen, stand sie breitspurig unter der Birke und riß und zupfte schwelgend an dem Grase, das der feuchte Uferboden in einem dünnen Streifen emportrieb. Sie hob den langen, schmalen Kopf, kaute mit unverkennbarem Appetit weiter an den fetten Halmen, die ihr zu beiden Seiten des Maules niederhingen, und sah nur einen Moment dummverwundert nach mir hin.

Spitz dagegen, der sich faul und schläfrig unter das kühle Gebüsch geduckt hatte, nahm die Sache tragischer. Er fuhr wie besessen in die Höhe und bellte in das zurückklatschende Wasser hinein, als sei mir der böse Feind auf den Fersen.

Er war nicht zu beschwichtigen; die Stimme sprang ihm über vor Alteration und Kampfeswuth – und das war urkomisch. Lachend sprang ich in das Wasser zurück und secundirte ihm, indem ich mit beiden Füßen den lügnerischen Spiegel in hochaufspritzende Atome zerstampfte.

Es war aber auch noch ein dritter Zeuge hinzugetreten, den weder ich, noch Spitz bemerkt hatten.

„Nu, was macht denn mein Prinzeßchen da?“ fragte er in jenen knurrenden, halbzerrissenen Tönen, wie sie aus einem Munde kommen, dem die unzertrennliche Tabakspfeife wie festgemauert zwischen den Zähnen sitzt.

„Ach, Du bist’s, Heinz?“ – Vor dem schämte ich mich nicht; er lief selber wie ein Hase vor Allem, was nicht ganz geheuer. Freilich, das glaubte Keiner, der dies alte, gewaltige Menschenkind sah.

Da stand er, Heinz, der Imker[1] auf Sohlen, so massiv und wuchtig, daß sie den Erdboden schüttern machten. Sein Scheitel rührte an Aeste, die für mich himmelhoch hingen, und der breite Rücken verschloß den Ausblick nach der Haide so vollkommen, als habe sich plötzlich eine Granitwand zwischen die Außenwelt und meine kleine Person geschoben.

Dieser Riese gab Fersengeld vor dem ersten besten weißen Laken im dämmernden Zwielicht – und das machte mir Vergnügen. Ich erzählte ihm so lange haarsträubende Sagen und Spukgeschichten, bis mich selber eine Gänsehaut überlief, und ich allen Muth verlor, auch nur in den nächsten dunklen Winkel zu sehen – – wir fürchteten uns prächtig um die Wette.

„Ich zertrete ein Paar Augen, Heinz,“ sagte ich und stampfte noch einmal fest auf, so daß die sprühenden Wassertropfen an seinem mißfarbenen Drellrock hängen blieben. „Du, da d’rin ist’s nicht richtig –“

„Ei beileibe – am hellen Tage?“

„Ach, was fragt denn die Wasserfrau nach dem hellen Tage, wenn sie böse ist!“ – Mit einer wahren Wonne sah ich, wie er halb ungläubig, halb mißtrauisch nach dem rothgefärbten Wasser schielte – „Wie, Du glaubst es nicht, Heinz? … Ei, da wollt’ ich doch, sie hätte Dich so angesehen, so schlimm –“

Jetzt war er überwunden. Er zog die Tabakspfeife aus dem Munde, spuckte heftig aus und richtete in einem lächerlichen Gemisch von Triumph und Besorgniß die zerkaute Pfeifenspitze gegen mich.

„Was hab’ ich immer gesagt, he?“ rief er. „Ich thu’s aber auch nicht wieder – nein, ich thu’ es ganz gewiß nicht wieder! … Meinetwegen können die Dinger haufenweise da d’rin liegen, ich rühre sie nicht wieder an – beileibe nicht!“ –

Da hatte ich ja etwas Schönes angerichtet mit meiner Neckerei.

Der kleine Fluß, der Wanderbursch, der so einsam durch die Haide lief, war reicher, als so mancher stolze Strom, der an Palästen und Menschengewühl vorüberrauschte – er hatte Perlen in der Tasche, allerdings in nur geringer Anzahl und bei weitem nicht brillant genug, um ein Königsdiadem, oder auch nur einen eleganten Ring zu schmücken. Aber was verstand ich davon! Ich liebte die kleinen mattglänzenden Dinger, die so rund und beweglich über meine Handfläche liefen. Stundenlang watete ich durch das Wasser und suchte nach Muscheln; ich brachte sie Heinz, der sich auf das Oeffnen der Schalen verstand – wie er das machte, war sein Geheimniß. Nun aber kündigte er mir kurz und bündig den Dienst, weil er sich steif und fest einbildete, die Wasserfrau werde uns als Spitzbuben den Proceß machen.

„Geh’, Heinz, es war ja nur ein dummer Spaß!“ sagte ich kleinlaut. „Lasse Dir doch nichts weis machen!“ – Ich bog mich über das Wasser, das bereits anfing, sich wieder zu glätten. „Da sieh selber – was guckt da herauf? … Nichts, weiter gar nichts, als meine zwei eigenen schauderhaften Augen. … Warum sie nur so unmenschlich weit offen sind, Heinz! Bei Fräulein Streit war es nicht so schlimm und bei Ilse auch nicht.“

„Nein, bei Ilse auch nicht,“ gab Heinz zu. „Aber Ilse hat scharfe Augen, Prinzeßchen, scharfe.“

Er hatte mir anfänglich mit seiner furchtbaren Faust gedroht, allerdings unter einem gutmüthigen Schmunzeln – Heinz konnte nicht böse werden – bei seiner letzten unleugbar weisen und schlagenden Bemerkung aber kniff er wichtig die Lippen zusammen, zog die borstigen Augenbrauen bis unter den Hut und fuhr sich in die Haarbüschel, die strohgelb und dürr von den Schläfen starrten – sie knisterten förmlich in der heißen Abendsonne.

Darauf blies er eine mächtige Rauchwolke vor sich hin, zum Entsetzen der spielenden Mückenschwärme, die sich eiligst aus dem Staube machten; auch daheim die Ilse „mit den scharfen Augen“ behauptete stets empört, das sei ein Kraut zum Umbringen – nur ich hielt Stand, und wenn ich hundert Jahre erreichen sollte, der übelberufene Duft wird mich zu allen Zeiten sofort in die warme dunkle Ofenecke versetzen, mit dem ganzen Wonnegefühl des heimischen Geborgenseins neben Heinz auf der Holzbank kauernd, während draußen der heulende Schneesturm über die weite Haidefläche braust, und ganze Batterien Eissplitter gegen die Fensterscheiben tosen.

Ich sprang zu ihm an das Ufer, und da kam auch gerade Mieke heran und rupfte zutraulich an einigen Quecken, die halbzertreten unter Heinzens Schuhen hervorguckten.

„Je – wie sieht denn die aus?“ lachte er auf.

„O, ich bitte mir’s aus, da wird nicht gelacht!“ schalt ich.

Mieke hatte sich prächtig herausstaffirt. Zwischen den weitabstehenden Hörnern hing ihr eine Guirlande von strahlendgelben Ringelrosen und Birkenlaub – ich fand, sie trüge diesen Schmuck so majestätisch und ungezwungen, als sei er mit ihr auf die Welt gekommen – eine Kette aus den dicken Stengelröhren der Hundeblume umschloß ihren Hals, und selbst an der Schwanzspitze baumelte ein Haidesträußchen; es kollerte lustig über den tonnenförmigen Leib herab, sobald Mieke den Wedel hob und nach den Stechmücken auf ihrem Rücken schlug.

„Sie sieht sehr feierlich aus – aber das verstehst Du nicht,“ sagte ich. „Nun paß auf und rathe, Heinz: Mieke hat sich geputzt, und auf dem Dierkhofe ist heute Kuchen gebacken worden – also, was ist los?“

Aber da hatte ich an seine allerschwächste Seite appellirt; rathen war nicht Freund Heinzens Sache. In solchen Momenten stand er stets hülfsbedürftig und bänglich vor mir, wie ein zweijähriges Kind – auch in diese Situation brachte ich ihn um Alles gern.

„Schlaukopf, Du willst mir nur nicht gratuliren!“ lachte ich. „Aber das wird Dir nicht geschenkt! … Lieber, allerbester Heinz, heute ist mein Geburtstag!“

  1. Bienenzüchter
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_514.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)