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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Auf der Philologen-Versammlung in Poughkeepsie, N. Y., im Juli 1869 führte sich Rulloff als Professor E. Leurio aus Newyork ein und vertheilte an die Mitglieder der Gesellschaft ein Circular, dem wir Folgendes entnehmen:

Große Entdeckung!
Die Sprache der alten Griechen hergestellt!
Das Mysterium der neuen Sprachen erklärt!
5000 Beispiele,
entnommen der griechischen, lateinischen, deutschen, französischen und englischen Sprache, deren Formation vollständig klar und verständlich dargelegt wird.
Preis des Manuscripts – 500,000 Dollars!

Es wurde ein Comité von drei Professoren ernannt, welche dieses Werk, das der Verfasser für die Kleinigkeit von einer halben Million Dollars anbot, untersuchen sollten. Das Comité berichtete, daß die Versammlung sich nicht mit diesem Gegenstande befassen könne, ein kritisches Urtheil über das Werk gab das Comité nicht ab, nur ein Mitglied erklärte später, daß das Manuscript viel wichtige Schätze für die Sprachforschung enthalte.

Bei Gelegenheit des Processes ist nun auch das Manuscript wieder zur Sprache gekommen und vielfach argumentirt worden. Es umfaßt einen großen Folioband von sechshundert Seiten und zwei kleinere Bände. Die Handschrift ist eigenthümlich. Das Manuscript enthält sieben Theile unter folgenden Titeln:

1) Methode der Sprachformation. 2) Die Wurzeln der Sprache und ihre Analysis. 3) Die Form der Worte und ihre Modificationen. 4) Die methodische Erforschung der Wurzeln in der Formation der Sprache. 5) Die Bedeutung der Worte. 6) Der Ursprung der Partikel. 7) Fünftausend Beispiele.

Doch genug davon. Ich habe das Werk nicht selbst gesehen, kann nur aus den meist oberflächlichen Besprechungen der amerikanischen Presse schöpfen, und deshalb kann ich mir auch kein Urtheil über das Buch erlauben. Höchst wahrscheinlich wird es aber eine reiche Ausbeute interessanter Spracheigenthümlichkeiten enthalten, ohne daß es dem Verfasser gelungen ist, dieselbe in einem streng wissenschaftlichen System zusammenzufassen.

Zum Schlusse möge hier noch ein eigenthümlicher Zug im Charakter des gelehrten Scheusals Platz finden.

Als Rulloff im Gefängniß zu Ithaca saß, hatte er den Sohn des Sheriff, den jungen Jarvis, kennen lernen. Es war ein wilder, unbändiger Junge, und Rulloff unterrichtete ihn, aber nicht nur in den nützlichen Schulkenntnissen, sondern er bildete ihn auch zum abgefeimtesten Bösewicht heran. Rulloff hatte große Zuneigung zu dem jungen Manne gefaßt und später waren sie auch immer zusammen. Mehr als einmal hat Rulloff mit eigener Lebensgefahr aus den kritischsten Momenten ihn gerettet. Jarvis war auch einer der beiden Complicen, die bei dem Mordgeschäft in Binghampton betheiligt waren und die im Chenangoflusse ertranken. Bei der Untersuchung hat es sich herausgestellt, daß Rulloff bereits den Laden verlassen hatte, als der junge Jarvis, der noch mit den beiden Clerks zu kämpfen hatte, kläglich um Hülfe rief; sofort kehrte er zurück, um seinen Freund zu retten, er erschoß Mirick, konnte aber Jarvis nicht retten, und jetzt erlitt er selbst, als Letzter des würdigen Brüderpaares, den Tod am Galgen.

Erst am 17. Mai wurde der Mörder Edward H. Rulloff im Gefängnißhofe zu Binghampton, New-York, hingerichtet. Bei seiner Verurtheilung war der 3. März als Hinrichtetag festgesetzt. Er machte jedoch die größten Anstrengungen, nochmals processirt zu werden, und wirklich wurde der Executionstag hinausgeschoben. Der Appellhof beseitigte jedoch das Urtheil und so blieb nur der Gnadenweg noch übrig. Der gelehrte Mörder reichte eigenhändig ein Gnadengesuch ein. In demselben stützte er seine Bitte hauptsächlich darauf, daß sein Leben für die Wissenschaft erhalten werden müsse, da er mit seinem neuen Sprachsystem noch nicht ganz fertig sei, und dieses Wunderwerk müsse die Menschheit vollständig erhalten. Der Brief war übrigens in einem so abenteuerlichen Tone gehalten, daß der Gouverneur sich veranlaßt sah, die Zurechnungsfähigkeit des Mörders untersuchen zu lassen. Rulloff überzeugte aber die beiden Aerzte, daß er keineswegs an einer Geistesstörung leide. Ueberaus eifrig beschäftigte er sich dann mit seinen Studien und schrieb lange Artikel über vergleichende Sprachenkunde für ein Binghamptoner Journal. Dieselben waren aber meistens ganz unverständlich und seltsam in jeder Beziehung. Kaum erhielt aber Rulloff die abschlägige Antwort des Gouverneurs, da brach sich die bestialische Natur des Mörders Bahn. Er tobte und wüthete tagelang wie ein Besessener und lästerte in den gemeinsten Ausdrücken die Richter, den Gouverneur etc. – dann legte sich sein Paroxysmus wieder, er wurde wieder tiefsinnig, versenkte sich in seine Studien und bejammerte es kläglich, daß die Wissenschaft nunmehr um seine gelehrten Forschungen betrogen werde; je näher aber der Tag der Execution herannahte, desto eifriger schrieb und arbeitete er.

Im Ganzen sind seine philologischen Studien ziemlich unverdaulich und vielleicht möchte er den Namen „philologischer Mörder“ schon deshalb verdienen, weil er wirkliche Mordattentate auf die Philologie ausgeübt hat. Augenscheinlich studirte er jetzt nur aus Prahlerei, was sich ziemlich deutlich aus folgender verbürgten Thatsache erklären läßt. Er beklagte sich einst bei einigen Besuchern, daß ihm die portugiesische Sprache so viel Schwierigkeiten mache. Zufällig sprach einer der Herren geläufig portugiesisch und da stellte es sich denn heraus, daß Rulloff auch nicht ein Wort portugiesisch verstand.

Wenige Tage vor seinem Tode eröffnete er plötzlich dem Sheriff, er sei bereit, ein vollständiges Bekenntniß aller seiner Verbrechen abzulegen, wenn man – fünftausend Dollars an seinen Bruder auszahlen wolle. Es wurde an seinen Bruder telegraphirt, doch dieser lehnte mit Entrüstung das Anerbieten ab und ohne weiter ein Wort darüber zu verlieren, vertiefte er sich wieder in seinen Codex.

Ein paar Mal hatte er auch entsetzliche Wuthanfälle. Die letzten Stunden vor seinem Tode war er aber ruhig, eisig kalt! Er frühstückte Morgens mit großem Behagen, kleidete sich sehr sorgfältig an, schrieb noch ein paar Briefe und bestieg, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, das Schaffot; bis zum letzten Momente verharrte er in eisig kalter Ruhe. Rulloff war unzweifelhaft ein – interessanter Verbrecher. Sein Leben bildete eine fortgesetzte Reihe der entsetzlichsten Schandthaten, die nur zum kleinsten Theil an die Öffentlichkeit getreten sind. Und in dieser niedrigen Verbrechernatur barg sich ein ganz eigenthümlicher Schatz menschlichen Wissens. In keiner Beziehung kann Rulloff allerdings Anspruch darauf machen, ein Mann der Wissenschaft zu sein, dazu waren die massenhaften Kenntnisse zu wenig geordnet und ihm zu wenig zum Bewußtsein gekommen. Immerhin bietet aber der Contrast in der Natur dieses Menschen höchst eigenthümliche psychologische Räthsel dar, und unzweifelhaft bildet dieser Mensch eine der interessantesten Erscheinungen in dem Gebiete der Criminalistik. Rulloff wäre entschieden ein dankbares Bild in der Pitaval-Galerie.

C. A. Hontheim.




Die Zauberquelle und ihre Trinker.


Die diesjährige Badesaison scheint in Folge des vorjährigen Krieges und der damit verbundenen Schwierigkeiten und Hindernisse, welche die Mehrzahl der Hülfsbedürftigen in der Heimath fesselten, eine ungewöhnliche Höhe zu erreichen. Von allen Seiten pilgert die leidende Menschheit nach den bekannten und empfohlenen Heilquellen, unter denen Karlsbad noch immer einen ersten Rang einnimmt. Die Natur schuf in ihrer glücklichsten Laune diesen wunderbaren Zauberkessel, den sie verschwenderisch mit allen ihren Gaben und Reizen ausstattete. Die Stadt selbst liegt in dem herrlich romantischen Thal der Tepl recht wie ein verzogenes Schoßkind, rings von bewaldeten Bergen und Höhen bewacht und geschützt.

Länger als fünfhundert Jahre werden ihre heißen Quellen benutzt, anfänglich nur zu Bädern, bis der alte Brunnenarzt Wenzel Payer 1520 das Wasser auch zum Trinken verordnete. Unter den ersten Gästen, welche hier Genesung suchten, finden wir die schöne Philippine Welser, die Gemahlin des Erzherzogs Maximilian von Tirol, die wahrscheinlich an Gallensteinen litt. Es existirt noch ein von ihrem Leibarzt geführtes Tagebuch, das höchst interessante Bemerkungen über ihren Aufenthalt und die damalige Curmethode

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_507.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)