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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und Gouverneur von Wien, verstand keinen Spaß. Indessen, welches Interesse konnte die kaiserlich königliche Polizei an ein paar jungen Mädchen haben, die vielleicht in ein Bad oder sonstwohin reisen wollten? Laura schritt deshalb auch so unbefangen wie möglich durch die Menge der an den Eingängen stehenden Polizisten hindurch, der Billetcasse zu, während Isabella in den Wartesalon trat.

„Zwei Billets zweiter Classe nach Prag,“ sagte Laura zu dem Billeteur.

In dem Augenblick legte sich eine Hand leicht auf Laura’s Schulter. Das junge Mädchen sah sich unwillig nach Dem, der sich diese Vertraulichkeit erlaubte, um. Aber leichenblaß fährt sie zurück, sie starrt in des verhaßten Procop Makovetzky Gesicht, der mit einem lauernden Lächeln vor ihr steht.

„Wo wollen Sie hinreisen, Fräulein von Petrino?“ frug er mit leiser Stimme und seine stechenden Augen fest auf das junge Mädchen gerichtet und sie etwas bei Seite ziehend.

„Nach Prag und von da nach … Teplitz, in’s Bad …“ stotterte sie.

„Allein?“

„Ja, allein …“ flüsterte sie kaum hörbar.

„Aber Sie verlangten doch zwei Billets …“ fuhr er mit demselben Lächeln fort.

Laura wankte. „Meine Cousine Isabella … wollte mich … bis nach Brünn … begleiten.“

„Ah so … bis nach Brünn?“ … Aber wissen Sie, Fräulein von Petrino, daß mir soeben ein Polizeibeamter sagte, daß ihm Ihre Cousine Isabella, die dort in den Wartesalon getreten ist, verdächtig erscheine, verbotene Waaren bei sich zu führen. Sie wissen, wir leben unter dem Belagerungszustand und die Polizei ist sehr streng. Der Agent besteht darauf, Ihre Cousine in dem Zimmer dort visitiren zu lassen.“

Vor den Augen Laura’s dunkelte es. „Sie wissen Alles …“ stammelte sie.

Makovetzky senkte bejahend das Haupt.

„Gnade … Erbarmen …“ weinte sie, „es ist mein einziger Bruder … meine Mutter würde sterben …“

Makovetzky lächelte. „Ich bin nicht blutdürstig, und am wenigsten kann mir daran gelegen sein, meinen zukünftigen Schwager als Hochverräther am Galgen baumeln zu sehen. Laura, willigen Sie heute ein, die Meinige zu werden?“

Das junge Mädchen senkte wie ein Opferlamm das Haupt.

„Wollen Sie,“ wiederholte er noch einmal, „oder soll ich der Polizei sagen, daß die Signora Isabella Angelini, welche sich seit sechs Monaten bei Ihnen aufhält, der als Hochverräter steckbrieflich verfolgte Giuseppe von Petrino, Ihr Bruder ist, auf dessen Kopf eine Belohnung von tausend Gulden gesetzt ist?“

„Ich bin die Ihrige …“ flüsterte sie tonlos.

„Gut,“ antwortete Makovetzky in triumphirendem Tone, „so kehren wir sammt Isabella zu Ihrer Frau Mutter zurück, und an unserem Hochzeitstage wird die Signora Angelini mit einem guten Paß hinreisen können, wohin es ihr beliebt. Sie kann dann ruhig ihre Schußwunde am Fuß, sowie den Bajonnetstich in der Brust, der wieder aufgebrochen ist und ihr den garstigen Husten verursacht, heilen lassen, wo sie will.“

Makovetzky hielt Wort. Kannte doch Niemand von der Polizei, als er, der gewandte Spion, das Geheimniß des unglücklichen Jünglings, der sich unter tausend Gefahren, von Allem entblößt, nach seiner Flucht aus dem Gefängniß zu Mantua bis nach Wien zu seiner Mutter durchgeschlagen und hier ein Asyl gefunden hatte. Durch einen anonymen Brief hatte er den Doctor Barletta, der natürlich wußte, wer die vermeintliche Isabella war, gewarnt und die Flucht Isabellens, deren Geschlecht und Name verrathen sei, als einzige Rettung bezeichnet. Sein Plan gelang ihm vortrefflich. Die Geschwister liefen in seine Hände, und Laura wurde sein Weib. Mit cynischer Offenherzigkeit hatte er ihr später seinen Schelmenstreich gestanden. Aber damit war das grausame Schicksal, das sie verfolgte, noch nicht befriedigt. Von der Regierung, die seiner Dienste nicht mehr bedurfte, entlassen, ohne andere Mittel zum Unterhalt, wurde Makovetzky Spieler, um sich einen Erwerb zu schaffen.

Er reiste mit der armen jungen Frau, die er durch eine entsetzliche Eifersucht quälte, von Großstadt zu Großstadt, überall mit großer Geschicklichkeit die Spielerkreise auskundschaftend und sich in sie einführend. Eine Zeitlang trieb er diesen Industriezweig mit Erfolg. Aber dann verließ ihn das Glück. Als er nach Leipzig kam, bestand seine Baarschaft noch aus wenigen hundert Gulden. Der grüne Tisch im Café chinois raubte ihm auch diese. Er besaß noch einen Brillantring, den er einem standrechtlich erschossenen ungarischen Honvedofficier abgenommen hatte. Der Ring war einige hundert Thaler werth, und Makovetzky bot denselben dem alten Katzenellenbogen an, der ihm von einem der Spieler im Café chinois als Juwelenhändler bezeichnet worden war. So wurde er mit dem Juden bekannt. Mit der List, die ihm eigen, und die ihn auch zum Spion so außerordentlich befähigt hatte, wußte er sich bald über die Vermögensverhältnisse des Alten Auskunft zu verschaffen, ja sogar die Kenntniß davon, wo derselbe in seiner Wohnung seine Werthsachen verwahrt hatte. Nun reifte allmählich der Raub- und Mordplan in seiner Brust, den er seiner Frau nicht verbergen konnte, vielleicht auch, um sie durch ihre Mitwissenschaft mit desto stärkeren Ketten an sich zu fesseln, nicht verbergen wollte.

Das war die Geschichte der stummen Signora, eine Geschichte, wie sie nur die Einbildungskraft des Romandichters zu erfinden glaubt, und doch wahr, voll aus dem Leben herausgegriffen.




2.

Jahre waren seit jenen Ereignissen vergangen. Der Besitzer des Café chinois und der Restaurateur aus der Rauchwaarenhalle waren indessen längst zu ihren Vätern versammelt. Es war Ende Juli 186*. Ich befand mich mit meinem Freunde A. T., einem bekannten Dichter, auf einer Reise nach Frankreich in Straßburg. Wir hatten alle Merkwürdigkeiten der alten ehemaligen freien deutschen Reichsstadt, die nun wieder durch unser tapferes Heer unserem Vaterlande zurückerobert worden ist, in Augenschein genommen. Mit dem üblichen Respect hatten wir den Münster besucht und die Orte, an welchen Meister Wolfgang Goethe gehaust hatte … ein Straßburger Cicerone wollte uns sogar ein Gasthaus zeigen, in welchem Goethe, wie er behauptete, allabendlich im Sommer junge Hühner mit Spargel gegessen habe – wir hatten die Statue des berühmten republikanischen Generals Kleber auf dem gleichnamigen Platze bewundert und im Hôtel zum Rebstock gegessen und schlenderten ziellos in der Stadt herum. So kamen wir zufällig in die Nähe des Justizpalais, in dessen Thor wir einige Männer in der mittelalterlichen Amtstracht der französischen Advocaten eintreten sahen. Eine Menge Leute folgten ihnen. Wir schlossen uns dem Strome an und gelangten so in den Sitzungssaal, in welchem die Geschworenen des Departements des Niederrheins eine sogenannte cause célèbre, eine Anklagesache verhandelten, die damals großes Aufsehen erregte. Auf der Bahnlinie Paris-Marseille waren in dem letzten Jahre mehrere äußerst verwegene Raubmordanfälle auf Reisende der ersten Classe der Courierzüge, die allein in einem Coupé fuhren, vorgekommen. Eine alte russische Gräfin, die nach Nizza reisen wollte, war ermordet und beraubt worden, ohne daß die im nebenan befindlichen Coupé sitzende Kammerfrau nur das Geringste gehörte hatte; ein kränklicher französischer Kaufmann war halb strangulirt, geplündert und nur durch einen Zufall gerettet worden, ohne daß man eine Spur von dem Thäter entdecken konnte. Der Coupémörder, wie man den geheimnißvollen Verbrecher nannte, wurde der Schrecken aller Passagiere erster Classe.

Da ereignete sich vielleicht ein halbes Jahr vor der Zeit, in welcher wir nach Straßburg kamen, im Januar 186* ein dritter Raubanfall auf einen englischen Arzt, der von Paris nach Marseille fuhr. Aber der Engländer, obwohl im Schlafe überfallen, wehrte sich, und wenn ihm auch der Raubmörder mit seinem Todtschläger furchtbare Hiebe versetzte, so gelang es dem Arzt doch, die Hand des Verbrechers zu fassen und ihn in die Finger zu beißen. Trotzdem würde ihn der Räuber vielleicht getödtet haben, wenn nicht das plötzliche Anhalten des Zuges, an dessen Maschine etwas zerbrach, ihn gerettet und den Verbrecher zur Flucht genöthigt hätte. Einige Tage später arretirte man auf dem Bahnhof zu Zabern (Saverne) einen Mann von vielleicht achtundfünfzig bis sechszig Jahren, von großem, starkem Körperbau, auf welchen die Personalbeschreibung paßte, die der Ueberfallene von dem Mörder gegeben hatte und die man an alle Gensd’armerieposten an den Eisenbahnstationen telegraphirt hatte. Was den Verdacht gegen den Arrestanten noch mehr vermehrte,

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