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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


früher über denselben Gegenstand der Oeffentlichkeit übergeben. – Es sei mir noch vergönnt, zum Schluß das gelungene Sonett folgen zu lassen, in welchem unser sangreicher Mühlhauser Dichter Friedrich Otte (Zetter) das liebliche Bild der Sessenheimer Pfarrertochter so schön[1] und treffend gezeichnet hat:

Das ewig Weibliche, das ewig Schöne,
Du holdes Kind! laß mich’s in dir begrüßen,
Ob auch der Haß, die schnöde Lust zu büßen,
Dein Leben und dein Lieben noch verhöhne!

Horch! sind das nicht des Kirchleins Glockentöne?
Die Laube rauscht und sieh’! Dir liegt, der Süßen,
In seiner Liebe Seligkeit zu Füßen
Der glücklichste der deutschen Musensöhne,

Erröthend neigst du, zwischen Ernst und Scherzen,
Dein Haupt hernieder zum geliebten Gaste,
Dem unumschränkten Herrn in deinem Reiche.

Genügsam thront er noch in deinem Herzen,
Er, dessen Herz, das hohe, göttergleiche,
In spätern Zeiten eine Welt umfaßte.




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 8. Aus den Aufzeichnungen einer Pflegerin.[2] I.


Achtundfünfzig Stunden hatte ich nun schon mit siebenzehn anderen Pflegerinnen, die gleich mir in T. die Weisung erhalten hatten, sich schleunigst in die Nähe von Saarbrücken zu begeben, wo die Kämpfer von Speichern mit zerschossenen Gliedern der Hülfe harrten, auf den harten Bänken der Eisenbahnwaggons zugebracht, als wir am Abend eines der ersten Augusttage ermüdet und ausgehungert endlich im St. Johanner Bahnhofe ankamen, wo uns der Befehl ward, weitere Aufträge abzuwarten. Noch während wir den von den Franzosen zerschossenen südwestlichen Flügel des Bahnhofes mit seinem zerstörten Damensalon und ausgebrannten Speisesaal in Augenschein nahmen, brachte jeder ankommende Zug ganze Schaaren von freiwilligen Pflegerinnen. Da hatten die Bonner, die Kölner, die Mainzer etc. ihre jungen Mädchen in’s Feld gesandt, leider, wie sich später herausstellte, ohne Auswahl, ohne die so nothwendige Prüfung der Kräfte und der Sittlichkeit. Wer sich meldete, wurde unbedenklich angenommen, und nur in Folge dessen ist später die freiwillige Krankenpflege so stark und, leider muß ich bekennen, so sehr mit Recht geschmäht worden. Wie sehr schon hier in Saarbrücken das rothe Kreuz verpönt war, lernten wir bald erkennen, so daß wir uns später scheuten, mit der einst so stolz zur Schau getragenen Binde das Haus zu verlassen.

Tief erschüttert verließen wir das Schlachtfeld, das wir am zweiten Tage unseres unfreiwilligen Aufenthalts besuchten. Drunten im Thale ragt ein großes Kreuz zum Himmel. Zwei rohe Balken mit Stricken verbunden bezeichnen die Stätte, wo General François mit seinem Sohne schläft. Ohne Sarg ruhen die Beiden in kühler Erde, um sie her die Tapferen von Speichern, die in den Hospitälern ihren Wunden erlegen.

„Hundertvierundfünfzig Mann, sechszehn Officiere liegen bereits hier,“ spricht einer der Todtengräber, in seiner Arbeit innehaltend, als wir uns nähern. „Seit der furchtbaren Schlacht schaufeln wir Tag für Tag und können nicht genug Hände finden, die Todten zu begraben. Sehen Sie, dort werden schon wieder welche herbeigebracht.“

Von der Landstraße ab lenkt in vollen Lauf ein mit zwei Pferden bespannter Wagen auf uns zu. Zwischen dem dünnen Stroh liegen, in Leintücher gehüllt, vier stille Gestalten. Der Wagen hält vor der Verwesung aushauchenden Grube. – Die starre Hülle eines Preußen sinkt hinab. Eine Hand voll Stroh, eine Schaufel Erde darüber und ein Franzose mit von geronnenem Blute überzogenem Antlitz wird auf ihn gebettet. Wieder Stroh und wieder Erde: ein Franzose mit einem Bein, ein Anderer mit durchschossener Brust folgen nach. Kalk und Sand rollen über die Todten hinab, – die Männer schaufeln weiter an dem Riesengrab, und fort eilt der Wagen, der gähnenden Gruft weitere Opfer zuzuführen. –

Am 15. August durchläuft ein dumpfes Gerücht von einer blutigen Schlacht bei Metz die Stadt. Der Abend bringt die Nachricht des Sieges bei Pange. Voll Ungeduld erwarten wir den Befehl zur Abreise nach dem Schlachtfelde. Unsere Hoffnung ist vergeblich. Schon hat der 16. August Tausende dahingerafft, und noch immer müssen wir unbeschäftigt in Saarbrücken bleiben. Einige von uns sind bereits entschlossen, den Rückweg anzutreten, als endlich am 17. August der Befehl kommt, in einer Stunde uns am Bahnhofe einzufinden, um in der Nähe der blutigen Wahlstatt den Verwundeten die nöthige Hülfe zu bringen. Eilig nehmen wir Abschied von unseren freundlichen Wirthen; diejenigen, welche das Glück haben, ihr Gepäck noch zu besitzen, raffen das Nothwendigste an Kleidern und Wäsche in leichten Reisetaschen zusammen und so stürmen wir zum Bahnhofe. Welch ein Gedränge! Alle Städte scheinen freiwillige Pfleger gesandt, alle Klöster ihre Bewohner ausgespieen zu haben. Unsere staunenden Blicke begegnen außer Militär aller Waffengattungen nur Trägern des rothen Kreuzes, die Alle, gleich uns, auf das Zeichen der Abfahrt harren. Wie das wogt und tost und durcheinander eilt!

Ein schlanker braunlockiger junger Mann mit siegesgewisser Haltung, in untadelhaftem Schlachtenbummlercostüm schreitet vornehm grüßend an uns vorüber. Verblüfft schaut eine unserer Begleiterinnen, eine blonde Pfarrerstochter, ihm nach.

„Es ist wahrhaftig meines Bruders Barbier,“ ruft sie endlich lachend aus, „und der Dicke neben ihm unser Tapezierer; was wollen die im Felde?“

Ja, was wollen sie Alle im Felde, die duftenden und wohlfrisirten Herrchen in hellen Glacés und die jungen Damen in coquettem Pflegercostüm? Wie wenig sie an die Erfüllung ihrer schweren Pflichten denken, zeigt schon jetzt das laute Lachen, die herausfordernden Blicke und das ganze tactlose Benehmen dieser Pflegerschaar. Mein Held vom Kräuseleisen mag indessen ein ganz vorzüglicher Krankenträger sein, trotz der gebrannten Locken und dem gewichsten Schnurrbart. Ich kenne ihn nicht; ich tadle nur Diejenigen, die, wie bereits gesagt, ohne Auswahl Jedweden in’s Feld schickten, der sich zur Pflege anbot, mochte er nun eine interessante, billige Vergnügungstour dabei im Auge, oder wirklich den festen Willen zu helfen gehabt haben.

Nachdem wir eine ganze Nacht und einen ganzen Tag theils frierend, theils hungernd gefahren, erreichten wir endlich Abends unsern Bestimmungsort Remilly. Schon vorher war uns Zug um Zug mit Verwundeten von den schrecklichen Tagen bei Metz begegnet. Hier in Remilly aber bedeckte Mann an Mann auf nothdürftiges Stroh gebettet den Perron und den eilig errichteten Verbandplatz, erschöpft von Blutverlust, halb verschmachtet von Hunger und Durst – Vielen ist volle drei Tage lang kein Bissen Brod, kein Trunk Wasser über die bleichen Lippen gekommen. Hier thut Hülfe noth und wir Alle greifen bis in die tiefe Nacht hinein zu, wo und wie wir können. Endlich denken auch wir daran, eine Lagerstätte für unsere müden Glieder aufzusuchen; keine leichte Aufgabe in dem von Truppen überfüllten Flecken. Es muß einst ein herrliches Stückchen Erde gewesen sein, ehe der blutige Krieg dasselbe überzog. Jetzt sind die reizenden Schlößchen von ihren Bewohnern verlassen und theilweise zerstört, die wohlgepflegten Parks verwüstet, die niedlichen Landhäuser von tapfern, aber nicht eben schonungsvollen Kriegern überfüllt. In einem solchen Landhause finden auch wir ein Obdach.

Um sieben Uhr Morgens brechen wir zum Verbandplatz auf. Es ist der 19. August und Tags vorher die furchtbare Schlacht bei Gravelotte geschlagen worden. Noch sind die Schlachtfelder vom 14. und 16. August nicht geräumt und schon liegen abermals Tausende auf der blutgetränkten Erde und verlangen schleunige Hülfe. Was transportirt werden kann, wird in Eisenbahnwaggons und Leiterwagen weiter gesandt und macht Halt in Remilly, um sich verbinden und speisen zu lassen. Hier stehen Waggon an Waggon, Wagen an Wagen mit Verwundeten, hier ist das Hauptdepôt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_488.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Vorlage: „schon“
  2. Wir entnehmen die obige Skizze den interessanten Aufzeichnungen einer Dame, welche während des Krieges als Pflegerin gedient und die gemachten Erfahrungen und Beobachtungen nunmehr zu einem Ganzen gesammelt hat, das demnächst bei C. Troschel in Trier erscheinen wird.
    Die Redaction.