Seite:Die Gartenlaube (1871) 478.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

berücksichtigenden Auftreten vor demselben bestimmte. Wir würden es für ein Unrecht halten, diese große Wandelung Bismarck’s zu verschweigen, denn sie gereicht ihm nur zur Ehre.

Bismarck lernte die Künste der Diplomatie an der Stelle, wo sie ihre schönsten Kunststücke machte, und er studirte sie, um sie nicht nachzumachen. Die in Frankfurt bestehende Diplomatenzunft hatte es niemals unterlassen, einen großmächtigen Nimbus um sich zu verbreiten; was dem Bundestag an Gewicht abging, wußte er durch Wichtigthun zu ersetzen, und Jeder von der Zunft hütete sich, den Nimbus zu zerstören. Da kam plötzlich ein Nichtzünftiger, ein kühner Fremdling in Sarastro’s Heiligthum. Wie zerfloß der Nebel im Nu vor dem Blicke des Mannes, der von jeher seine Pappenheimer gekannt hat; wie wenig konnten ihm die Herren imponiren, die, im Grunde nur Handlanger ihrer Minister, sich geberdeten, als trügen sie, jeder ein anderer Atlas, eine Welt auf ihren Schultern!

Und aus der tragikomischen Misère, die er hier kennen und seines Gesammtvaterlandes so wenig würdig finden lernte, entstand der Plan zu der Umgestaltung. Am russischen und französischen Hofe feilte er dann blos noch sein Concept. Die stille Allianz des Czaren war ein eben so wichtiger Factor in seiner Rechnung, als die Rheingelüste des Cäsars an der Seine. Wir haben erlebt, wie er Beide sich dienstbar zu machen verstand.

Und mit derselben gründlichen Menschenkenntniß, die ihn der Diplomaten wie der Fürsten Herz durchschauen ließ, berechnete der Staatsmann die Wirkung seiner Erfolge auf die Massen, und immer wieder von dem Gesichtspunkt aus, den er in Frankfurt gewonnen, als er des deutschen Volkes politische Ohnmacht an der Quelle studirte, in der Diplomatengesellschaft des deutschen Bundes, der, vom Volke verlacht, von den fremden Fürsten verachtet, nichts weiter leistete als – Polizeiaufsicht! Er sah voraus, daß das Volk, dessen lange verhaltenen Stolz er weckte, vom erbitterten Gegner zum bewundernden Freunde umschlagen müsse, wenn er die schmerzlich vermißte Einheit schaffen würde, die dem germanischen Stamme das seit Jahrhunderten entbehrte Selbstgefühl wiedergab.

Der Triumph seines Werkes war der Frankfurter Friede. Welch ein Abstand zwischen diesem Diplomaten-Congreß und allen, die Deutschland seit Friedrich dem Großen erlebt hatte! Zu Wien wie in Aachen, zu Verona wie in Paris war speciell Preußen stets die Rolle der demüthigen Nachgiebigkeit zugefallen, Oesterreich, Rußland und Frankreich führten das große Wort, Neid und Mißgunst spannen ihre Ränke – jetzt war der stets hintangesetzte deutsche Staat vollständig tonangebend und zwar gerade gegenüber seinem ältesten und gefährlichsten Gegner.

Und welch ein Abstand zwischen den handelnden Personen! Nicht ein einziger Diplomat der alten Schule nahm am Frankfurter Frieden Theil, lauter Leute der neuen Zeit und Träger der neuen Idee, die Majorität sogar, Zöglinge des Liberalismus. Das Haupt dieser Partei in Frankreich, Jules Favre, hatte vier republikanische Diplomaten im Gefolge, Pouyer-Quertier, Le Clerq, de Goulard und de Fénélon, und auf der Seite des deutschen Reichskanzlers gesellten sich diesen fünf Liberalen noch zwei aus der Schule des Liberalismus Hervorgegangene hinzu, Graf Hatzfeld, dessen Lehrer ein angesehenes Mitglied der Fortschrittspartei ist, und Lothar Bucher, der mit seiner im Dienste des Liberalismus virtuos gewordenen Feder das ganze Friedensinstrument redigirt hat.

Zu diesen inneren Curiositäten kamen noch allerlei äußere Zufälligkeiten ebenso ungewöhnlicher Art. Der „Russische Hof“, das althergebrachte berühmte Absteigequartier der Großen dieser Erde, war anfangs zum Rendez-vous dieser Conferenz bestimmt. Das Hôtel hatte unter Anderm beim Fürstencongreß von 1863 eine große Rolle gespielt, und Alles, was von jener glänzenden Zusammenkunft der deutschen Herrscher übrig blieb, ist in seinen Mauern aufbewahrt, nämlich – das Original-Tableau des Festmahls auf dem Römer. Im „Russischen Hofe“ nahm auch der jetzige Kaiser, als Prinz von Preußen, stets sein Quartier und hatte dann regelmäßig Conferenzen mit dem Bundestagsgesandten von Bismarck. Als der Fürst Bismarck sich diesmal hier anmelden ließ, fand sich ein Hinderniß in der zufällig eben stattfindenden Reparatur des Hausflurs; man glaubte dadurch Störungen ausgesetzt zu sein, und nachdem auch der „Englische Hof“ nicht Räume genug disponibel hatte – man bedurfte deren vierzehn – wurde der eben neueröffnete, durch dreijährigen Vergrößerungsbau zum Palast umgeschaffene „Gasthof zum Schwan“ ausersehen. Im „Russischen Hofe“ blieben nur die französischen Geschäftsträger, und jedesmal, wenn ihre Equipagen auf der schönen Zeil vorfuhren, gruppirte sich eine Menschenmenge und reckte die Köpfe, um den Mann zu sehen, der trotz seines diplomatischen Unglücks den Ruhm höchster Ehrenhaftigkeit genießt, Jules Favre. Neben seiner durch den greisen Löwenkopf außerordentlich imposanten ernsten Erscheinung machte Pouyer-Quertier den Eindruck eines jovialen bon-homme. Stets lächelnd mit großer Zuversicht aus der Brille so heiter blickend, als sollte er die fünf Milliarden empfangen, statt sie zu zahlen, war er eine lebendige Illustration der bekannten Phrase: „Frankreich ist reich genug, um seinen Ruhm“ – eventuell auch das Gegentheil – „zu bezahlen“. Mancher europäische Finanzminister der alten Schule mag diesen diplomatischen Neuling um seine Zuversicht und deren jetzt mit dem brillantesten Erfolge gekrönte Berechtigung beneiden!

Monsieur Le Clerq konnte wenig repräsentiren – er hat das Unglück, stark zu schielen, und Monsieur de Fénélon war eine Pygmäengestalt. Dagegen sah Herr de Goulard wie ein echter Diplomat aus, erschien stets im Fracke mit weißer Binde und schwebte mit leisestem Schritte einher, als anerkenne er, daß festes Auftreten hier nicht angebracht sei. Wunderlich genug war nun noch der äußere Contrast der Repräsentanten beider Nationen; den meist kleinen Figuren der Franzosen standen auf deutscher Seite fast lauter Riesen gegenüber. Fürst Bismarck’s hervorragende Gestalt wurde vom Grafen Henckel von Donnersmark noch übertroffen; Graf Hatzfeld und Graf Wartensleben sind auch Beide über Mittelgröße, und nur Graf Harry von Arnim ist keine Garde-Figur.

Im scharfen Gegensatze zu allen früheren großen Staatsactionen wurde der Frankfurter Friede ohne alles Gepränge und ohne materielle Genüsse, in harter anstrengender Arbeit rasch und energisch betrieben und zum Abschluß gebracht. Wenn des Tages Arbeit unter Beseitigung aller Störungen (der „Schwan“ hielt aller anderen Gäste Lärm aus seinen Räumen fern) beendet war, dinirten die deutschen Diplomaten im abgeschlossenen Kreise und hatten nur ein paar Mal gesellige Zusammenkünfte mit anderen Personen, so beim Oberbürgermeister Mumm und beim General von Loen. Es war pikant, daß Fürst Bismarck auf dem Festmahl beim Vertreter der Stadt Frankfurt in seiner bekannten epigrammatischen Kürze die Parole der Versöhnung ausgab: „Ich hoffe, daß der Friede in Frankfurt auch der Friede mit Frankfurt sein wird!“ Es lag darin ein Zugeständniß, daß die Frankfurter Episode von 1866 noch eines besondern Friedensabschlusses von seiner Seite bedürfe. Und aus der Ruhe des Mahles, die der burschikose Humor des Reichskanzlers bei seinem Lieblingspokal, dem Seidel, weidlich würzte, rissen sich die gewissenhaften Theilnehmer allabendlich wieder heraus, um bis Mitternacht nochmals an’s Werk zu gehen. „Sie stritten vom Morgen bis in die Nacht,“ und wohl am längsten über die Grenzregulirung: denn wir sahen eine kleine Landkarte, in welcher eine eingezeichnete blaue Linie erst Metz von Deutschland trennt und hernach die wichtige Moselfestung als besondere Enclave wiederum Deutschland zuertheilt.

Das mußte nun „schätzbares Material“ bleiben und Fürst Bismarck nahm nicht eher die Feder zur Unterschrift, als bis die Franzosen von jenem Plane abstanden. Diese Feder war nicht die bekannte Pforzheimer (die in Versailles gedient hatte), sondern eine aus den Bestecken, welche die Diplomaten mit sich führten und nachher wieder einpackten. Aber ein historisches Tintenfaß blieb als Reliquie. Der Oberkellner im „Schwan“ hatte auf seine Rechnung einen eleganten Tintenbehälter gekauft, der dann hinterher in seinem Besitze blieb. Für dieses zierliche bronzene Tintenfaß, einen Eichenstamm darstellend, der Deckel einen Helm, das Ganze mit kriegerischen Emblemen verziert, sind dem Inhaber schon namhafte Summen von Curiositätensammlern geboten worden.

Der Frankfurter Friede ist für Deutschland der bedeutsamste diplomatische Act, der seit Jahrhunderten vollzogen wurde. Er gab dem germanischen Volke die schöne Landschaft zurück, die der stolzeste aller Despoten des gallischen Stammes ihm entrissen, er machte das Vaterland wieder complet „so weit die deutsche Zunge klingt“, und fügte das Stück wieder zum Ganzen, das einst „der Fürsten Trug zerklaubt, vom Kaiser und vom Reich geraubt“.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_478.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)