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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Ja wohl!“ sagte Herr Volkner. „Die Möbel apart, im Versteigerungswege, in sechs Wochen, denn wer würde die altmodischen Geräthschaften mit diesem schönen Hause vereinigen?“

„Wer?“ rief die alte Gräfin. „Ich! Ich kaufe Alles, aber unter der Bedingung, daß Alles unverrückt bleibe, wie es ist. Ich nehme Alles, um jeden Preis, Herr Bürgermeister, merken Sie sich das. Ich liebe dieses Landhaus, es paßt als Ausruhepunkt für das Schloß, und diese alterthümliche Einrichtung, Schrank für Schrank, Kästchen für Kästchen, muß bleiben, wenn der Eindruck des Ganzen nicht zerstört werden soll! Sie sind kein Maler? Aber Sie, mein liebes Fräulein, Sie verstehen mich, ich nehme Alles, Alles, so wie es ist.“ Sie hatte das hastig, eilig herausgesagt; dann, wie sie innehielt und Herrn Volkner erstaunt fragen hörte, und die Stimme Mariens wieder vernahm, erinnerte sich die alte Gräfin vielleicht daran, daß sie neben ihrer Vorliebe für das Malerische „des Ganzen“ im Gebäude auch noch eine andere Schattirung finden müsse, und sie setzte hinzu: „um alter Zeiten willen!“ –

Die Gräfin, Marie Kärner und Herr Volkner sprachen auf dem Wege bis zum Wagen noch Vieles, was man eben so zu sprechen pflegt. Die Gräfin ließ sich vom Herrn Bürgermeister versichern, daß sie als die alleinige Käuferin „des Ganzen“ anzusehen sei, sie lud Marie wiederholt auf ihr Schloß, und stieg endlich in ihren Wagen. Der blaulivrirte Bediente schloß den Schlag, der Kutscher zog die Zügel an, Marie und Herr Volkner verneigten sich, die Gräfin warf Grüße aus dem Wagen. Aber die Gräfin hatte noch immer nicht ihre gewohnte Wachsblässe erreicht, wie sie den Blicken der Nachschauenden verschwand.

Diese beiden Nachschauenden hielten die Hände über die Augen, denn die untergehende Sonne warf ihren grellsten blutrothen Glanz über sie, über das Haus sammt dessen lebendigen Blättergittern und über den ganzen Himmel, und in dieser blutrothen Abendsonne verschwand der Wagen. Die Beiden traten nun durch den Corridor in das Wohnzimmer zurück, wo sie das Gluthroth auf den Geräthen, im Getäfel, auf den Bildern und den Fensterscheiben wiederfanden. Die zerknitterten Papiere glichen einem Haufen dunkler Rosen. Ueber dem Schreibtische hing ein kleines Miniaturbild ihres verstorbenen Vaters, das jetzt wie ein Blutstropfen an der Wand klebte.

Während Herr Volkner wichtig über den Besuch plauderte, blieb Marie inmitten des Zimmers mit untergeschlagenen Armen stehen, und ihre schattenumdüsterten, sinnenden Augen waren starr auf diesen Blutfleck geheftet, der im Bilde war.

Plötzlich erhob sie ihre Hände zum Gesicht und fing bitterlich zu weinen an.

Herr Volkner hielt erschreckt im Reden inne; er stürzte auf das Mädchen los und stammelte hundert ängstliche, abgebrochene Fragen.

Das Mädchen legte ihr Gesicht an die Brust des alten Mannes und schluchzte fort. „Mir ist nur so schrecklich bang um’s Herz,“ sagte sie dazwischen hinein, halb unverständlich, „daß mein armer, armer Papa mit einem so schweren, belasteten Herzen sterben mußte! Er ist mit einem bösen Geheimniß auf der Seele gestorben! Ich hatte bis jetzt gedacht, das sei nun ewig ein Geheimniß zwischen seiner armen Seele und dem lieben Gott, aber von heute an, Herr Volkner, von heute an bin ich überzeugt, daß die Gräfin die Dritte dabei ist. Und wie ich das erkannte, da hat sich wieder mein ganzes Weh erneut. Papa ist so schwer gestorben.“

Herr Volkner sagte nichts darauf, er blieb still, er streichelte nur das arme blonde zitternde Köpfchen an seiner Brust mit seiner alten rauhen Hand. Er wußte die Gedanken der Waise, wie er dieselben schon am Todtenbette des Greises weinend getheilt hatte; er wußte, daß es ihr das Herz bedrücke, zu denken, ihr angebeteter Vater sei mit dem Gedanken an eine schwere, ungesühnte That friedlos aus dem Leben geschieden.




4. Verblühende Rosen.

Am andern Morgen war der Himmel umzogen, ein prophetischer Regenwind trieb den Staub der Landstraße und die Blätter der Gebüsche in die Höhe, die Blumen duckten sich. Marie Kärner hatte eben den Herrn Volkner bis zu seinem Wägelchen vor das Thor geleitet, und der hatte ihr beim Handreichen, während er den Zügel seines Bräunchens festfaßte, gesagt: „Also schauen Sie zu, liebe Marie, daß die alte Betti bis Nachmittags Ihre beiden Garderobekofferchen in Ordnung hat, dann hole ich Sie ab, Sie können um keinen Tag länger hier allein wohnen; wir sperren das Haus zu, der Gärtner Andres und der alte Diener Peter bleiben hier in der Gärtnerhütte zur Bewachung, die alte Betti bleibt bei ihnen, um ihnen die Kost zu bereiten, und Sie kommen Nachmittags mit mir. Meine Frau hat schon seit gestern an frischem Zuckerwerk gebacken für Sie; lachen Sie sie nicht aus deswegen, und essen Sie, auch ohne Gusto, es liegt nicht schwer im Magen, und es tröstet die alte Frau. Sie weint beim Backen über Ihre Verwaistheit, die sie mit Zucker zu versüßen meint: sie hat schon den dritten Zuckerhut in der Arbeit. Und – Marie, liebe Marie, bleiben Sie recht lange bei uns, bedenken Sie die Sache mit der Lehrerstelle noch. Ich muß Sie noch lächeln sehn!“

Der alte Mann sah Marie noch in demselben Augenblicke lächeln, wie er ihre Hand losließ und das Bräunchen antrieb. Ein anderes Mädchen hätte da geschluchzt vor Rührung, aber Marie lächelte; ihr Lächeln war wie Azur nach Sturmwolken auf ihrem ernsten, jungen, schönen Gesichte, es lag eine heilige, männliche Rührung darin, die wie ein Gebet aussah. Marie hatte einen Halt voller traurigmachender Menschenkenntniß, aber sie hatte jene trübumwölkte Menschenkenntniß von ihrem Vater gelernt, die nichts weiter verlangt, als ihre beiden Hände falten zu dürfen, um eine Menschenwange zu streicheln.

„Wie gut er ist!“ dachte sie mit einem Jubelgefühl in ihrem verwaisten Herzen.

Da der Regenwind sehr heftig war, hatte sie einen schwarzen Spitzenschleier um ihr Haupt gewunden, so schaute sie dem kleinen Gefährte nach. Dieses kleine Gefährt begegnete am Gartengitter einem Reiter. Dieser Reiter hielt sein rasches Fuchsroß an der Treppe still, ehe Marie sich dessen versah. Er sprang ab, band sein Pferd an ein Marillenstaket und verneigte sich vor Marien.

Marie war anfangs einen raschen Schritt zurückgetreten, so stand sie im Flur. Im nächsten Moment aber hatte sie ihren Schleier vom Haupte losgelöst und empfing ihren Gast.

„Sie entschuldigen mich, Herr Graf, für einen Augenblick,“ sagte sie. „Meine Diener sind im Hintertracte beschäftigt, und Ihr Pferd kann nicht draußen bleiben bei dem Regen, der im nächsten Augenblicke schon herabströmen muß.“

Ein Windstoß zerrte in diesem Augenblicke an den Acazienbüschen. Marie Kärner wies den Grafen höflich in das Wohnzimmer und verschwand dann einen Augenblick, um ihren Befehl zu geben. Wie sie wieder erschien, bemerkte der junge Graf, daß ihr blondes Haar gedunkelt war vom Regenschauer, welcher jetzt schwer niederzurauschen anfing, und daß sie rasch ihr schwarzes Tuch abwarf, welches wie welk war von der Nässe.

„Sie haben sich dem Regen ausgesetzt!“ sagte Graf Leon, welcher sie inmitten des Zimmers stehend erwartet hatte.

„O, es ist das so gut wie ein Trunk frischen Wassers!“ sagte sie. „Sie haben hier vor dem Regen Schutz gesucht, Graf?“

„Nein,“ sagte er. „Sie wissen wohl, daß ich jetzt Ihretwegen kommen darf.“ Es lag eine Milde in seiner Stimme und doch dabei eine Mannestiefe, die wie Bienensummen durch Lindenblüthen anmutete.

„Meinetwegen!“ sagte sie, und ihre Augen ruhten klar auf ihm.

Er trat ihr einen Schritt näher. Sie standen Beide inmitten des Zimmers. Sie hatte beim Eintreten eine Bewegung gemacht, wie um ihm das Niedersetzen anzubieten, aber jetzt waren sie Beide dem Ceremoniell entrückt, sie standen beisammen wie Kinder im Walde, welche die Arme feindlich vorgestreckt halten und dabei einander zu Hülfe rufen.

„Ja,“ sagte er. „Ist Herr Volkner, Ihr Vormund, nicht mehr hier, gnädiges Fräulein? Meine Mutter hat mich an ihn abgesendet, um ihn zu erinnern, daß er das Ausbotschreiben dieses Landhauses und die Versteigerung sistiren soll, da sie um jeden Preis Alles erstehen will, wie es da ist, nachdem es Ihr Wille ist, gnädiges Fräulein, sich dessen zu entäußern.“

„Herr Volkner ist nicht mehr hier, Graf, aber ich werde heute Nachmittag zu ihm übersiedeln, und werde ihn herzlich gern daran erinnern. Wie könnte auch darauf vergessen werden?“

„So habe ich hier nichts weiter zu thun, gnädiges Fräulein, als Sie um Verzeihung zu bitten wegen der Störung, die ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_462.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)