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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


zahlt, ohne zu handeln, jeden Preis, der verlangt wird. Man bewundert dann die Pariser Tapete wegen ihrer Farbenschönheit, ihrer reizenden Blumen und Figuren, man denkt aber nicht daran, daß man die Arbeit der ersten Künstler vor sich hat, die für ein Stück von einer Elle Breite und zwei Ellen Höhe vielleicht drei- bis vierhundert Thaler erhielten, was aber bei der Masse, die durch die Schönheit des Fabricats abgesetzt wird, gar nicht in Betracht kommt.

Ein solches Verschmelzen der Kunst mit der Industrie ist es aber nur allein, was den Franzosen die hohe Stellung darin verschaffte, wobei allerdings ihr natürliches Talent für schöne Form, Farbenreiz und Erfindung die Hauptfactoren waren und bleiben werden.

Wie unsere deutschen Industriellen bei der Bestellung von Entwürfen verfuhren und noch verfahren, will ich aus Selbsterlebtem erzählen.

Als ich in München wohnte, kam ich Abends sehr oft mit einem Tapetenfabrikanten zusammen, der immer über den schlechten Geschäftsgang klagte. Ich sah mir einst seine Sachen an und wunderte mich nicht mehr, daß Niemand etwas kaufte, sondern daß überhaupt Jemand von diesem Schund ein Stück gekauft hatte. Es war so plumpes, geschmackloses Zeug, von einer Farbenwirkung, die mich fast seekrank machte, daß ich mir eher mein Zimmer vom schlechtesten Küchenmaurer würde spritzen oder wörgeln, als mit solcher Tapete auskleben lassen. – Der Fabrikant forderte mich auf, ihm einige Skizzen für Tapeten zu entwerfen, worauf ich mit Vergnügen einging, denn ich besaß damals noch besondere Neigung, meine Phantasie für dergleichen Sachen in Bewegung zu setzen. Ich entwarf eine Tapete für ein Schlafzimmer, die eine Laube bildete, über welcher der Mond stand, auf den der Reflex der Nachtlampe fallen sollte. Drei Durchsichten zeigten eine Stadt, ein Gebirg und einen See. Das Ganze bestand aus sechs Stücken, wovon zwei zum Ausfüllen bestimmt waren. Dann entwarf ich noch Ideen zu Zimmern mit Medaillons, Schilf und Winden mit Libellen und Käfern und dergleichen. Ich brachte dem Mann die kleinen Aquarellskizzen in’s Wirthshaus, wo sie großen Beifall fanden, und die Ausführung wurde beschlossen. Der Fabrikant fragte, was ich für eine große ausgeführte Zeichnung verlange. Um einen Maßstab dafür zu finden, wünschte ich zu wissen, was die Herstellung einer Tapete, das heißt so und so viel tausend Stück eines Musters koste. Der Fabrikant erklärte uns, daß dies sehr verschieden sei, stellte aber als Beispiel auf, daß ihm circa dreitausend Stück einer mäßig hübschen Tapete etwa fünfzehnhundert Gulden Herstellungskosten und circa zweitausend Gulden Verkaufspreis tragen könne. Nach dieser Norm verlangte ich für das Original etwa vierzig bis fünfzig Gulden.

Der gute Tapetenfabrikant fiel vor Schreck beinahe unter den Tisch und fragte mich, ob dies die erste Maß Bier sei, die ich heute Abend trinke, oder ob ich vielleicht schon sechs bis sieben im Magen habe, denn ohne einen kleinen Rausch würde ich doch eine solche wahnsinnige Forderung nicht aussprechen.

Wir lachten Alle, und ein Freund von mir fragte, was der Tapezier in der Regel für ein Original zahle.

„Na, so a drei bis fünf Gulden lasse ich mir’s wohl kosten, aber a Null d’ran? – Nää! dös giebt’s nit!“

Und mit großer Entrüstung ging der biedere deutsche Fabrikant davon, fragte nie mehr einen Künstler nach Originalen, sondern ließ sich dieselben von Stubenmalern und Anstreichern für drei bis fünf Gulden zusammenpfuschen und machte nach wie vor Maculatur, die er gewiß noch macht, wenn er nicht zu Grunde gegangen ist.

Am schlimmsten ging es mir unter den Kaufleuten in Hamburg. Hier war offenbar ein großes Feld für industrielle Kunstthätigkeit und man war sehr geneigt, meine Bemühungen zu acceptiren. Die erste Bestellung erhielt ich von einer Rouleauxfabrik, der ich ausgeführte Aquarellen in der Größe der Gartenlaube für die Maler liefern sollte. Ich skizzirte mit Eifer Ansichten und Scenen von Helgoland und der Unterelbe mit Umgebung von See- und Wasserpflanzen, Vögeln, Krebsen und Fischen u. dergl. Nach jedem Original sollten für den überseeischen Bedarf circa tausend Stück gemalt werden, und als ich für die gut ausgeführte Zeichnung fünfundzwanzig Thaler verlangte, wollte mein Fabrikant aus der Haut fahren und zehn Mark (vier Thaler) geben. Ich berechnete dem Manne, daß bei tausend Rouleaux von meinem Originale zu fünfundzwanzig Thalern auf das Stück sieben und ein halber Pfennig käme. Der Fabrikant sagte, das ginge mich nichts an, und fuhr ab, um allen Bekannten zu erzählen, ich habe den „Knall“ bekommen. Die zwei Aquarellen, welche ich zur Probe machte, verkaufte ich später als Albumblätter.

Kurz darauf kam ein Cigarrenfabrikant, der runde Cigarrenkisten erfunden hatte. Er wünschte um diese Kisten Bilder in Farbendruck, welche sich auf das Cigarrenrauchen bezögen. Ich ging mit Eifer daran und schickte ihm ein Aquarell, wo ein Raucher im Grase liegt und träumend zu den blauen Rauchwolken aufblickt, welche seine Wünsche, hübsche Mädchen, Tanz, Pferde, Jagd etc., rund um die Dose bildeten. Zu gleicher Zeit bestellte ein großer Luxuswaarenfabrikant ein Placat, mit seinen Fabrikaten geziert. Auch diese mühsame Arbeit lieferte ich bald ab, hörte aber nichts mehr davon, als bis ich beide Bilder gedruckt im Handel erblickte. Nun glaubte ich, es sei Zeit, mein Honorar einzuholen, und ging zu den Leuten. Beide waren ganz außerordentlich erstaunt, daß ich auch noch Geld für meine Entwürfe haben wollte, „da sie dem Lithographen und Drucker schon eine horrende Summe hätten zahlen müssen.“ Ich erhielt nur mit Mühe eine Kleinigkeit und einige Waaren, die ich sogar später bezahlen sollte. Weitere Fälle der Art ließen mich den Schwur thun, jeden Hamburger die Treppe hinunterzuwerfen, der etwas bei mir bestellen wollte.

Aehnlich ging es mir mit einem Fabrikanten in Wien, welcher Entwürfe für Neusilberwaaren haben wollte. Ich machte Zeichnungen zu Punschlöffeln, Fischkellen, Leuchtern, Prachtsalzfässern u. dergl. und legte dieselben vor. Der Fabrikant war damit vollkommen zufrieden und fragte nach dem Honorar, wobei er schon seine Brieftasche herauszog. Ich verlangte für jede Zeichnung zehn Gulden und stellte diesen niedrigen Preis mit der Bedingung, daß ich von jedem Stück ein fertiges Exemplar erhalte. Das Ende der Sache war wie bei allen deutschen Fabrikanten, mit denen ich bisher zu thun hatte. Ein Gebot von drei Gulden für die Zeichnung und keine Idee von einem Exemplar. Einige zwanzig solcher Fälle haben mir alle Lust zu dergleichen Arbeiten geraubt und mich dahin gebracht, einem deutschen Fabrikanten gar keine Antwort mehr auf eine Anfrage wegen neuer Ideen zu geben, denn der Erfolg ist doch immer wieder lächerliches Sparen an der Hauptsache, ohne welche gar nichts hergestellt werden kann.

Diese Knauserei hat aber nicht nur die Verschlechterung der Erzeugnisse, sondern auch die Mißachtung des Eigenthumsrechtes zur Folge gehabt, denn die sparsamen Leute kamen bald dahin, gar kein Honorar mehr zu bezahlen, sondern unsere Nachbarn einfach um ihre Modelle zu bestehlen. Einmal moralisch so weit gesunken, war bald Niemand mehr seines Eigenthums an Mustern sicher. Ich kann Beispiele der schamlosesten Musterdiebstähle anführen, die eben so hart bestraft werden sollten wie jeder andere gemeine Diebstahl und deren Grund nichts anderes ist als die Honorarscheu und der Abgang des Kunstsinnes dieser Sorte von Fabrikanten.

Was für monströse Geburten unsere Handwerker oft ohne Beihülfe von Kunstverständigen zur Welt bringen, davon liefert der scheußliche deutsche Musterhut und der lächerliche Kaisermantel den schönsten Beweis. Wenn die deutschen Moden, welche jetzt Schneider und Putzmacherinnen ausbrüten, ebenso ausfallen, dann werden wir das Bischen Respect, welches wir uns jüngst durch das Gewehr erworben haben, durch unsere Röcke und Hüte bald wieder einbüßen und zur Erheiterung unserer Nachbarn beitragen. – Deshalb, ihr Herren Fabrikanten, keine Honorarscheu und die besten Kunstkräfte zur Sache!

C. Reinhardt.

Der Postillon von Lonjumeau. Volle sechszehn Tage waren wir schon auf der faulen Haut in Longpont gelegen und hatten uns die Zeit mit Dreschen, Knöpfeputzen, Hemdflicken und anderen sehr nützlichen Beschäftigungen vertrieben; da kam eines Tages Befehl, wir sollten nächsten Morgen acht Uhr auf dem großen Plateau vor Lonjumeau zur Parade aufgestellt sein. Lonjumeau, der Geburtsort des berühmtesten und schönsten aller Postillons, der Schauplatz seines Liebes- und Treuebruchs, seines Verraths an der allerliebsten Madeleine, die den allzu Pfiffigen freilich noch pfiffiger wieder in ihre Ketten zu schlagen wußte! Es war begreiflich, daß ich mit Vergnügen die erste beste Gelegenheit ergriff, das berühmte Städtchen kennen zu lernen. Diese Gelegenheit sollte sich mir heute bieten, denn bei der Parade hatte ich nichts zu thun. Eine ziemlich genaue Kenntniß der französischen Sprache nämlich, sowie ein gewisser angeborener Spürsinn, verborgenen Dingen auf die Fährte zu kommen, hatten mir eine ganz eigenthümliche Stellung und mit ihr zugleich bei der Division den Namen „Räuberhauptmann“ eingetragen: ich hatte, um es kurz zu sagen, für alle Bedürfnisse des Magens und der Kehle, für Essen und Trinken, Wohnung und Holz, Heu und Stroh zu sorgen, was meinem Leben im Felde mitunter einen wahrhaft abenteuerlichen Anstrich gab. Heute nun wollte ich als „Räuberhauptmann“ eine größere Entdeckungsreise auf verborgene Weinkeller unternehmen, ließ daher zeitig meinen „Jagdwagen“ einspannen und wollte eben mit meiner „geladenen Deckungsmannschaft“ abfahren, als mich unser Regimentsarzt noch einmal anrief:

„Wohin denn?“

„Auf Requisition, Herr Regimentsarzt.“

„So. Sie, R., Sie könnten mir ’nen kleinen Gefallen thun.“

„Sehr gerne. Womit denn?“

Der „Gefallen“ war wirklich sehr bescheiden – ich sollte auf der Rückfahrt in Lonjumeau mich nach dem Wirthshause erkundigen, in welchem der treulose Chapelou seine niedliche Wirthin geliebt und verlassen haben soll und das noch heute mit dem Schilde „Au Postillon de Lonjumeau“ geschmückt ist, und von dort irgend ein kleines Andenken, sei es in Gestalt einer Speisekarte oder in Form der Etiquette einer zerbrochenen Weinflasche mitnehmen, unter allen Umständen mußte die Firma „Au Postillon de Lonjumeau“ auf dem Gegenstande gedruckt zu lesen sein, um dessen Echtheit vor Jedermann auf das Unzweifelhafteste zu bekunden. Ich versprach mein Möglichstes zu thun, und fort ging’s. Ich aber auf dem Wagen sang lustig vor mich hin:

Fuhr er durch Dörfer oder Städtchen,
Klang seines Posthorns munt’rer Ton,
Dann flog das Herz der schönsten Mädchen
Rasch im Galopp mit ihm davon.
Hohohoho! wie schön war so
Der Postillon von Lonjumeau!

Ich hatte Glück am selben Tage; ein ordentliches, wohlgefülltes Faß mit Wein lag bald hinten auf dem „Jagdwagen“, das Sitzkästchen war auch schon mit Flaschen gefüllt und zum Ueberfluß hatte ich noch einen Sack mit Hafer aufgespürt, der dem Fasse als willkommene Unterlage diente. Langsam und gemüthlich fuhren wir die große Pariser Straße gen Lonjumeau zu und erreichten endlich dieses selbst, das in einer reizenden Thalmulde gelegen einen lieblichen Anblick bot. Forschend suchten meine Augen nach dem Schild des Wirthshauses. Da, richtig, mitten in die Straße hing’s herein, und ganz deutlich war darauf zu lesen: „Au Postillon de Lonjumeau“

Absteigen und an die festverschlossene Thür pochen, war das Werk eines Augenblickes. „Nix, tout fort!“ entgegnete mir ein altes Männlein, das sich herzugedrängt hatte und mit Pantomimen seinem Reichthum an deutschen Worten Nachdruck geben wollte. „Teufel,“ dacht’ ich, „Niemand da, Alles aus dem Hause fort? da wird es mit meinem Versprechen schlecht ausschauen.“ Dabei knarrte das Schild über meinem Kopfe, an seiner Eisenstange vom Winde bewegt, lustig hin und her, als wollt’ es mich noch obendrein auslachen, und der gemalte Postillon schaute ganz vergnügt auf mich herab, als wollte er seiner Schadenfreude darüber, daß ich zu spät gekommen, rückhaltlos

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