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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Er wurde nach dem katholischen Krankenhause geschafft, wo er am 5. September des Jahres verstorben ist. Die barmherzige Schwester, die ihn in seiner Krankheit gepflegt, ist bereits hinüber. Die Oberin des Hauses, des Sanct Hedwigs-Krankenhauses, M. A. Eschweiler, schreibt auf Anfrage: „Die Curkosten sind vom Secretair des Prinz-Regenten bezahlt. Der Verstorbene hat uns gegenüber nie etwas von irgend welchen Angehörigen geäußert, wie denn auch, unserem Wissen nach, sich Niemand derselben nach dem Verstorbenen erkundigt hat. Seine alte Kleidung hat die Armen-Direction empfangen. Sein Grab ist auf dem städtischen Kirchhofe!“

In den Zeitungen hieß es nach seinem Tode: er ist verhungert. Und damit war er vergessen – und abgethan! Welche Literaturgeschichte, welches Lexikon erwähnt seiner?

Nach dem Tode Burghardt’s ist zur Frau Savade ein Gerichtsdiener in Begleitung eines fremden Herrn gekommen – sie haben gewissermaßen Inventur von der Hinterlassenschaft gemacht. Wer war der Herr? Wie kam der Prinz-Regent, der jetzige Kaiser und König darauf, sich für den Armen zu interessiren, ja sogar, wie verlautet, die Schulden des Verstorbenen berichtigen zu lassen? In den vor Kurzem bei Reclam junior in Leipzig erschienenen, unbeachtet gebliebenen epischen Gedichten Burghardt’s findet sich: „Ein Festspiel, gedichtet bei Gelegenheit des Einzuges der Prinzeß Victoria in Berlin, im Januar 1858.“ Hatte dies die Veranlassung zu dem Erwähnten gegeben; hatte dies, wie verlautet, den Kronprinzen bewogen, sich, wenn auch zu spät, für den Dichter zu interessiren? Oder hatte es nur der Zufall, der ja oft so sonderbar spielt, veranlaßt?

Die „Johanna Gray“ ist im Buchhandel nie erschienen, auch bei Antiquaren nicht mehr aufzutreiben. Die „Iphigenia in Aulis“ hat Professor Rötscher in seinen „Dramaturgischen Blättern“ veröffentlich, 1865, aber ohne Erfolg, denn die Blätter wurden unter dem neuen Titel: „Dramaturgische Probleme“ noch einmal auf den Büchermarkt gebracht; erst mit gleich ungünstigem Erfolg. Wo der sonstige literarische Nachlaß Burghardt’s geblieben, ist nicht bekannt.

Möchten diese Erinnerungen zu seinem Auffinden beitragen und den Burghardt’schen Werken ein Herausgeber werden, wie er jüngst den Grabbe’schen geworden.

Gleich nach dem Tode Burghardt’s wurde ein Gedicht aus Potsdam eingesendet. Ein Freund des Verstorbenen ließ es, groß und schön geschrieben, unter Glas und Rahmen auf das Grab legen, wo es lange Zeit von Besuchern des Armenkirchhofes gesehen und gelesen wurde. Im Liede hieß es:

Kühn rang der Arme nach des Ruhmes Kranz –
Und tiefe Noth nur war des Kampfes Preis.
Nicht seinem Staub, nein, seinem Dichtergeist
Gebt reuevoll das heil’ge Lorbeerreis.

Gänzlich verfallen, der Erde gleich liegt das Grab. Das erwähnte Gedicht ist längst verschwunden, wogegen jetzt in den Pfingsttagen ein Lorbeerkranz auf dem Grabe ruhte. –

Georg Theodor August Burghardt wurde am 23. November 1807 zu Lehndorf im Braunschweigschen geboren, wo sein Vater ein wohlhabender Gutspächter war. Er erhielt eine vorzügliche Erziehung. Sein Umgang mit Altersgenossen war ein gewählter, wie denn z. B. Generalstabsarzt Dr. Grimm einen Theil seiner Jugend im Burghardt’schen Hause zubrachte. Seine eigenthümliche geistige Richtung ließ ihn frühzeitig eigene Bahnen betreten, die ihn oft in die Nähe höchster Ziele führten, aber auch in mannigfache Mißgeschicke verwickelten. Sein ansehnliches Vermögen verwendete er auf das Studium der Griechen und Engländer, namentlich Shakespeare’s. Die Frucht dieser Studien waren Bilder, Gleichnisse und metaphorische Ausdrücke aus Shakespeare’s Dramen, fünf Hefte, während in seinem Nachlasse sich in Form von Tageblättern „Studien über das Mystische im Goethe’schen Faust“ fanden. Wer hat das Manuscript?

Ein Jahr lebte Burghardt am Rhein auf dem Schlosse eines Hochgestellten in glänzenden Verhältnissen, worauf er 1857 nach Berlin übersiedelte. Er war längere Zeit Vorleser beim Gesandten Westmoreland.

Dann ist er verarmt, mehr und mehr – wodurch und wie, wird niemals ganz zu Tage kommen – bis der Hunger ihn tödtete. Das ist Thatsache, die niemals in Abrede gestellt wurde. Als sein schon erwähntes Festspiel nicht zur Darstellung angenommen wurde und er zwei Billets erhielt, um sich den Einzug ansehen zu können, ging er hin und verkaufte sie für zehn Groschen – um sich ein Essen dafür zu beschaffen. Genügt dies nicht?

Mit letzter Kraft dichtete er auf seinem Todtenbett die nachfolgenden Worte an Schiller, die hier Platz finden mögen, da sie bisher noch ungedruckt waren:

Einen Kranz, als Ehrenzeichen
Göttlicher Unsterblichkeit
Deines Namens, hat die Muse
Freudig dankbar dir geweiht.

Denn du hast, wie wenig andre
Sänger mich zu Dank verpflichtet;
Und der Majestät der Dichtung
Einen ew’gen Thron errichtet.

Alles Edle, alles Schöne,
Was der Götter Brust bewegt,
Jede Tugend, deren Pulsschlag
Sich im Menschenherzen regt –

Du hast sie erweckt, belebet,
Ihr Geheimniß uns entfaltet,
Mit dem Zauber schöner Dichtkunst
Sie in Menschenform gestaltet.

Neidisch floh von meiner Seite
Ueberall das falsche Glück
Und ließ, würdig dich zu lohnen,
Nichts in meiner Hand zurück.

Doch wie Zeus der Erde Güter
Theilte, hast du selbst gesehn,
Du, für den er seinen Himmel
Alle Zeit ließ offen stehn.

Warst du da mit deinem Loose
Doch zufrieden und beglückt,
Wenn dein Aug’ der hohen Götter
Vater auf dem Thron erblickt.

Wenn der Flügelschlag von deinem
Liede ihm um’s Haupt gerauscht,
Und die Menschen auf der Erde
Mit Entzücken dir gelauscht.

Doch was keine Macht der Erde,
Was kein König geben kann –
Hohen Ruhm, für ew’ge Zeiten,
Knüpf’ ich deinem Namen an.

Wenn je ein Verstorbener es verdient, daß seiner Werke gedacht werde, so ist es der Verfasser der „Iphigenia in Aulis“, der „Johanna Gray“.

Möchten die vorstehenden Zeilen zur Abtragung dieser Ehrenschuld beitragen.

Friede seiner Asche!




Blätter und Blüthen.

Die Kunst und die deutschen Industriellen. Durch den furchtbaren Schlag, mit dem die Deutschen die Franzosen von der eingebildeten Höhe ihrer politischen Stellung herabgeschmettert haben, ist auch ihre Industrie, die in Wirklichkeit auf der höchsten Stufe stand, sehr hart betroffen worden. Was der Krieg selbst nicht that, das vollführte die wahnsinnige Maßregel der Ausweisung aller Deutschen, worunter sich die besten Arbeiter jeder Art befanden.

Man knüpfte hieran in Deutschland überschwengliche Hoffnungen für die Industrie und glaubte mit den Arbeitern die Sache selbst in der Hand zu haben. Die Leute wurden gesucht, angestellt und sollten nun alle jene eleganten, reizenden Sachen liefern, die wir gewohnt sind, von Paris zu erhalten. Was jedoch zum Vorschein kam, war nach wie vor deutsch, urdeutsch, und die Herren Fabrikanten standen verblüfft und wußten den Grund dazu nicht zu finden, weil der Grund – in ihnen selbst lag!!

Ich habe diesen Mißerfolg einer Concurrenz, mit der französischen Industrie genau vorausgesagt, und sage hier nochmals, daß er so lange dauern wird, wie die Ursache davon besteht, und die Ursache sind nicht die Arbeiter, sondern die Fabrikanten selbst und ihre echt deutsche Gewohnheit, die Modelle und Entwürfe zu ihren Fabricaten von Pfuschern zu den möglichsten Spottpreisen herstellen zu lassen. So lange diese unselige Gewohnheit an unseren Fabrikanten haftet, wird unsere Industrie auch noch jene Masse plumper, geschmackloser Sachen liefern, welche das Auge mehr ärgern, als erfreuen. So lange die Fabrikanten an der Hauptsache, am Modell, sparen, werden wir weit hinter den Franzosen zurückbleiben.

Mag ein Pariser Fabrikant eine Tapete, eine Lampe, eine Zuckerzange oder sonst etwas fabriciren wollen, so geht er zu dem ersten Künstler, den es für dieses Fach giebt, läßt sich von ihm die Sache entwerfen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_457.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)