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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


zwischen zwei der nach dem Markte gehenden Fenster eingefügt ist; auf dieser steht in goldenen Lettern geschrieben:

Friedrich Wilhelm III.
In seines Volkes Andenken
der Gerechte,
wurde in diesem Hause geboren.

Am 3. August 1870.
Die Stadt Potsdam.

Wie kommt die Wiege des Großneffen Friedrich’s des Großen, wie kommt der künftige Thronerbe von Preußen in dieses unscheinbare Haus, gegen welches selbst das Geburtshaus des Advocatensohnes von Ajaccio ein kleiner Palast ist? Umspielt seine Wiege etwa irgend ein romantisches Ereigniß? Trug vielleicht die Mutter nicht den Hermelin um ihre Schultern, um ihn über den schlummernden Säugling breiten zu können? Mußte der Vater, der spätere König Friedrich Wilhelm der Zweite, das Kind vor den Sonnen- und Blitzesaugen seines regierenden Oheims verborgen halten? Nichts von alledem! Potsdam war keine Stadt zu solcher Romantik gemacht, und Friedrich der Große hatte mit seinem achtundzwanzigsten Jahre, mit seinem Regierungsantritte, diese Anwandlungen für sich und sein Haus abgestreift. Der Vater des Kindes war der älteste Neffe des Königs, die Mutter eine Prinzessin von Hessen-Darmstadt, eine Frau, von der man nicht mehr viel Anderes weiß, als daß ihr Schicksal Leiden und Dulden war, jedenfalls eine vortreffliche Mutter.

Das Geburtshaus Friedrich Wilhelm’s des Dritten in Potsdam.
Nach der Natur aufgenommen.


Als der künftige Thronerbe sich verheirathete, wurde nach einer passenden Wohnung für den jungen Haushalt gesucht. Wohl besaß der König das geräumige Stadtschloß in Potsdam, er hatte außerdem das Neue Palais bauen lassen, Paläste, die Raum genug boten, aber er bestimmte deren keinen für seinen Neffen. Er wohnte zwar die meiste Zeit in Sanssouci, aber doch auch wieder eine kurze Weile in den beiden genannten Schlössern, so daß er sich durch eine zweite Hofhaltung gestört, beengt fühlte. Alternde Herren, die keine Frau haben, welche ihnen die Grillen abfangen kann, haben oft derlei Launen – genug, es wurde für den Thronerben ein Privathaus gemiethet, das oben beschriebene, am Neuen Markt gelegen, und als dieses sich nicht ausreichend erwies, nahm man das daranstoßende Bürgerhaus dazu und durchbrach die Zwischenwand, um so die Verbindung mit der Beletage des größeren, prächtigeren herzustellen. In dem nach der Schwertfegerstraße gelegenen Eckzimmer war das Schlafzimmer der Prinzessin von Preußen; da aber die Einwohner der gegenüberliegenden Häuser sehr neugierig waren und den ganzen Tag in den Fenstern lagen, um zu sehen, was da drüben für interessante Dinge vorgingen, so ließ die Prinzessin das Fenster zumauern und in diesem Zimmer hat der spätere König Friedrich Wilhelm der Dritte das Licht der Welt erblickt, in der ihm so schwere Anfechtungen aufbehalten sein sollten. Also keine Romantik, im Gegentheil: die Geburt des Fürstenkindes war eine sehr officielle.

Am 3. August 1770 nach acht Uhr wurde von den Thürmen der Stadt geblasen, soviel nur Posaunen in der Stadt zu finden waren; die Garnisonkirche spielte mit ihrem berühmten Glockenspiele einen Choral, um drei Uhr Nachmittags kam der König von Sanssouci in die Stadt geritten und hielt vor dem stattlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_437.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)