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Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 7 In französischen Quartieren.
IV.


Auf unserem Vormarsche gen Orleans hatten wir vierzehn Marschquartiere, und dabei war ich heute bei einem Pächter, morgen bei einem Fabrikanten oder einem Rentier, übermorgen bei einem Priester untergebracht. Mit der Zeit aber gewinnt man an diesem Wechsel von Persönlichkeiten und Verhältnissen Geschmack, und wer Interesse daran findet, den Leuten ein Bischen in die Töpfe und in die Kammern des Hauses und des Herzens zu gucken, der konnte sich bei dieser Weise, durch das Land und unter Leute zu kommen, vollauf Genüge thun und hatte hinreichende Gelegenheit, über das französische Haus und das Leben und Weben in demselben manche Beobachtung zu machen, die einem unter anderen Verhältnissen Reisenden wohl vorenthalten blieben. Ein Quartierbillet, das nach dem Gesetze von 1792 dem Inhaber Quartier und einen Platz am Feuer einräumt, ist viel günstiger als ein Eisenbahnbillet, mit dem man wohl französische Städte und Hôtels kennen lernen, aber niemals den Pulsschlag nationalen Lebens im Innern der Häuser belauschen kann.

Das französische Haus und die Lebensweise in demselben ist bei Weiten weniger mannigfaltig und individuell als in einem deutschen. Es existiren zwar wohl auch Abweichungen, zum Beispiel zwischen einem Fischerdorfe in der Normandie und einem Flecken in dem Departement Basses Pyrénées, aber diese werden immerhin nicht so erheblich und charakteristisch sein, als die zwischen einem Dorfe des Schwarzwaldes oder des bairischen Hochgebirges und der Gegend um Pillkallen oder Aurich in Ostfriesland. Die französische Regierung hat seit dem Regime Richelieu’s eifrigst dafür gesorgt, daß die Eigenthümlichkeiten der einzelnen französischen Landestheile möglichst verwischt, und daß Land und Volk über einen Kamm geschoren werden. Wirklich ist dieses Ziel im Laufe zweier Jahrhunderte erreicht worden. Zum Beweise, bis zu welchem Grade in Frankreich Alles uniform geworden ist, will ich das erste beste Stück aus der häuslichen Wirthschaft herausnehmen, und so an dem kleinen das Große veranschaulichen. Mit dem Uebertritt über die französische Grenze bekommt man zum Milchkaffee ein Gefäß, das man im letzten bairisch-pfälzischen Grenzdorfe nicht kennt, welches jedoch eine halbe Meile weiter im ersten französischen seinen Anfang nimmt und dem man von da an durch ganz Frankreich begegnet, den sogenannten bol, einen schüsselartigen Napf von Porcellan oder Thon, in dem ein Eßlöffel liegt; dazu erhält man heiße Milch und in einer kleinen Flasche kalten Kaffee-Extract, den man in die heiße Milch gießt. Dieses Gefäß ist typisch durch das ganze Land, typisch wie die Einrichtung und die Lebensgewohnheit des französischen Hauses, typisch wie der Kamin und das ausgezeichnete Bett.

In jeder französischen Küche baut sich ein gewaltiger Kamin auf; an einer Kette, die in die Hinterwand eingefügt ist, hängt der Wasserkessel, unter demselben ist das Feuer angezündet und um dasselbe herum werden die verschiedenen Töpfe und Schmorpfannen gestellt. Alle Arbeit muß knieend verrichtet werden; zur Bequemlichkeit hat man niedrige Strohstühle mit Lehnen, auf denen sitzend man den Geheimnissen des Herdfeuers lauschen kann. In größeren und feineren Häusern sind neben dem Kamin auch noch Herde gebaut, dieselben haben Bratröhren und an der Oberfläche Vertiefungen von glasirten Kacheln, die mit Kohlen gefüllt und auf welche dann die Casserole gestellt werden. Das ist aber nur für Leute, die zum Diner wenigstens drei Platten und eine Revenue von mindestens fünfzehntausend Franken haben. Für die minder gut situirten Existenzen reicht der Pot au feu aus.

Einen gewissen Luxus findet man selbst in der bescheidensten Haushaltung, so den Marmorkamin im Wohn- oder Schlafzimmer und darauf die übliche Stutzuhr. Wie hatten uns im vergangenen harten Winter diese Kamine zur Verzweiflung gebracht! Nie, niemals, und wenn wir einen kleinen Wald in den Feuerraum legten, hatten wir im Zimmer das behagliche Gefühl, das ein deutscher Ofen verbreitet; vorn briet man und im Rücken setzten sich die Eiszapfen an. Wenn man den Franzosen dann sagte: „Seht ’mal, Ihr guten Leute, was Ihr doch bei Eurer sonstigen Sparsamkeit für arge Verschwender seid! Mit dem Holze, das Ihr an einem Tage für Euren Kamin braucht, heizt eine deutsche Hausfrau einen deutschen Ofen acht Tage lang. Das Zimmer wird badwarm und Allen darin wird es pudelwohl, aber mit Euren verwünschten Kaminen kommt man nie zu einem Gefühle des Behagens?“

„Eh-bien, was wollen Sie?“ war darauf die Antwort. „Wir sind es so gewöhnt, wir müssen das Feuer sehen.“

Darin sind die Franzosen wie die kleinen Kinder; vor dem Kamine sitzend, die Füße auf das garde-feu gestellt, arbeiten sie unaufhörlich mit der Feuerzange in der Gluth umher, legen sorgfältig ein Köhlchen auf das andere, erzählen sich was und bilden sich ein, sie wärmen sich. Dabei frieren sie wie die Betteljungen im Januar, haben rothe Hände und rothe Nasen, aber sie sehen das Feuer. Dabei existirte für uns auch noch die Annehmlichkeit, daß in den kleineren Orten der Fußboden mit Backsteinen ausgelegt war. Mancher von unseren Soldaten wird’s an seinen Füßen für sein Lebenlang spüren. Die Franzosen allerdings hatten einen Schutz gegen diese eisige Fußbodentemperatur. Sie trugen über den Strümpfen schwarze wollene Söckchen und bargen die Füße in warmen Holzschuhen, die nach Façon und Farbe das Aussehen von lackirten Stiefeln haben. Später allerdings, als unsere Soldaten einsahen, daß ihre Lederstiefeln für dieses Parquet nicht Schutz genug boten, bedienten sie sich ebenfalls mit Vorliebe dieser Holzschuhe, die zierlich gemacht und zugleich praktisch sind. Eine gewisse Berechtigung für diese Art der Feuerung und überhaupt für die Kamine liegt in der Milde des Klimas der dortigen Gegenden; der vergangene Winter war eine Abnormität.

Seit dreißig Jahren hatte man in Frankreich noch keinen solchen Thermometerstand gekannt wie im verflossenen December und Januar; die Lorbeerbäume, die im Freien überwintern, erfroren sammt und sonders. Wir ließen vom Hofe die größten Holzscheite holen und schoben davon drei, vier auf einmal in den Kamin; zur Hälfte lagen sie in der Gluth, zur Hälfte noch im Zimmer, so daß man sie, um das Feuer zu unterhalten, nur weiter vorzuschieben brauchte. Dadurch allein war es möglich, eine einigermaßen erträgliche Temperatur herzustellen. Für größere Räumlichkeiten reicht der Kamin nicht aus. In den Gerichtssälen und Localen, in den öffentlichen Gebäuden hat man eiserne Oefen, die mit Kohlen oder Coaks geheizt werden; auch ist vielfach die Luftheizung in Anwendung gebracht; auch schon in Privathäusern fängt man an, eine praktischere Heizeinrichtung herzustellen, indem man ein Mittelding zwischen Ofen und Kamin erfunden hat. Mein Wirth in Pithiviers, der Vorsteher der dortigen Jesuitenerziehungsanstalt, der immer eine kleine Bosheit gegen uns auf der Zunge hatte, sagte mir eines Tages, als ich ihm einen kleinen Vortrag über Oefen und Heizmethode hielt und es sonderbar fand, daß er für sein neues Haus diese neue Erfindung nicht benutzt hatte: „Allerdings hätten wir diese Kamine einführen können, aber wir lieben sie schon um ihres Namens willen nicht; ob ihres Sparsystems nennt man sie bei uns preußische Kamine.“

„Aber Sie sehen, hochwürdiger Pater, daß das preußische Sparsystem vortreffliche Früchte trägt, denn nur dadurch konnten wir ein solches Heer ausrüsten, so viele Kanonen gießen lassen. Ich kann Ihnen also nur rathen, es auch bei Ihnen einzuführen. Ihre Zöglinge werden sich viel wohler dabei fühlen, es sei denn, daß sie in majorem dei gloriam sich die Knochen im Leibe entzwei frieren müßten.“

Im Ganzen und Großen habe ich auf unseren Zügen durch die französische Provinz an häuslichen Einrichtungen nichts gefunden, was mir besonders imponirt hätte, geschweige denn, daß dieselben den Vorrang vor den deutschen beanspruchen könnten. Im Gegentheil, das französische Haus wird vom norddeutschen an praktischer Solidität, vom süddeutschen an elegantem Comfort übertroffen. Zu der Heimathlichkeit, Wohnlichkeit und Traulichkeit des deutschen Hauses fehlt dem französischen ein wesentliches Merkmal, die gute Wäsche. Wie das Quantum des Verbrauchs an Seife ein Maßstab für den Culturzustand eines Volkes ist, so ist es die Wäsche für den Grad häuslichen Behagens. Damastdecken zum Beispiel, wie sie bei uns jede nur ziemlich situirte Hausfrau besitzt, habe ich in Frankreich nur zweimal gesehen, bei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_434.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)