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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 26.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Der Winter war vergangen; mehr als sechs Monate lagen zwischen jener Herbstnacht, die für so manches Leben verhängnißvoll geworden war, und dem Frühlingstage, der heute seine sonnige Pracht über B. ausgoß. Sechs Monate voll Schnee und Eis, voll neuer blutiger Kämpfe, voll neuer Siege und Triumphe. Jetzt war der furchtbare Streit geendet! Niedergeworfen in seinem letzten verzweifelten Ringen, erschöpft, bezwungen selbst im Herzen seines Landes, gab der Feind sich endlich überwunden. Der „letzte Krieg um den Rhein“ war ausgekämpft, fortan schützten neue Grenzen ihn und das Reich, das er durchströmte.

In den Rheinlanden war es gewesen, wo der erste Blitz des drohenden Kriegswetters aufzuckte, wo man am meisten gebangt und gezittert, am heißesten gebetet, weil hier die Gefahr am nächsten drohte, die Rheinlande waren es nun auch, die zuerst die Sieger, die Schützer begrüßen durften, und wie einst den Ausziehenden die Hoffnung, so wogte jetzt den Heimkehrenden der Jubel in tausendstimmiger Begeisterung entgegen.

Auch B. blieb nicht zurück in der Siegesfreude und dem Festesglanz, der sich über all’ die Städte und Flecken ringsum ergoß, auch hier wehten die Fahnen von Thürmen und Dächern, umkränzten sich Fenster und Pforten, wogte festlich buntes Leben überall. Das Haus des Doctor Stephan, sonst stets das erste, wenn es galt einen Sieg zu feiern, gehörte diesmal zu Denen, die kahl und schmucklos, mit geschlossenen Thüren und herabgelassenen Jalousien verkündeten, daß man dort einen Gefallenen zu beweinen habe. Der Tod seines Neffen und die Rücksicht auf die noch hier weilende Schwester des Verstorbenen legten dem Stephan’schen Ehepaare diese Zurückhaltung auf, aber all’ die gerechte Trauer um Friedrich, und alle billige Rücksicht auf Jane konnten den Doctor nicht daran verhindern, „seinem Professor“, dessen Rückkehr auf morgen zu erwarten stand, einen festlichen Privatempfang zu bereiten, und da sein Haus außen keinen Schmuck zeigen durfte, so war er ganz heimlich, nur in Begleitung seiner Frau, in die inneren Wohnungsräume des Professors gedrungen, wo Beide bereits den ganzen Nachmittag herumhantirten.

In diesem Augenblick stand der Doctor hoch oben auf einer riesigen Leiter, im Kampfe mit den widerspenstigen Enden einer Guirlande begriffen, die sich durchaus nicht in die vorgeschriebenen Windungen des Namenszuges fügten, der über der Thür des Studirzimmers prangen sollte. Die Frau Doctorin stand am Fuße der Leiter und übte eine ziemlich schonungslose Kritik über die Kunstfertigkeit ihres Eheherrn, bald war ihr das Gewinde zu hoch, bald zu niedrig, bald wollte sie es nach rechts, bald nach links geschoben wissen, endlich behauptete sie gar, der ganze Namenszug sei schief; der Doctor änderte, schwitzte und brummte abwechselnd, zuletzt verlor er die Geduld.

„Du kannst das von da unten gar nicht beurtheilen, mein Kind!“ sagte er ärgerlich. „Geh’ einmal bis an die Thür zurück und beschaue Dir von dort die Sache. Auf den Totaleindruck kommt es an und nicht auf die mathematische Genauigkeit der Linien, der Totaleindruck ist die Hauptsache!“

Die Frau Doctorin ging gehorsam rückwärts, aber gerade in dem Augenblick, wo sie sich an die Thür lehnte, um den wichtigen Totaleindruck besser zu genießen, ward sie von außen geöffnet und der unvermuthet Eintretende fing mit einem Ausruf des Schreckens und Bedauerns die alte Dame, welche beinahe gestürzt wäre, in seinen Armen auf.

„Herr College,“ tönte die Stimme des Doctors im tiefsten Basse von der Leiter herab, „bleiben Sie gefälligst so stehen! Richtig! Und nun sagen Sie mir, ob die Guirlande zu hoch und ob der Namenszug wirklich schief ist.“

Doctor Behrend, an den diese Worte gerichtet waren, hatte anfangs erschreckt in die Höhe und dann nicht minder erschreckt auf die Frau Doctorin herabgesehen, denn er war beim ersten Theil der Anrede noch in dem Irrthum befangen, er solle genau so wie in diesem Augenblick, nämlich mit der alten Dame in den Armen, stehen bleiben. Jetzt ließ er sie mit einer höflichen Entschuldigung frei, um das betreffende Arrangement in Augenschein zu nehmen.

„Es ist sehr schön! Ganz ausgezeichnet, aber –“

„Ich sage es ja, der Totaleindruck!“ rief der Doctor triumphierend, indem er mit einem letzten Hammerschlage das Gewinde an die Thür fesselte, dann den Hammer bei Seite legte und von der Leiter herabkletterte, mit dem jüngeren, ihm seit lange befreundeten Collegen die Hand zu reichen.

„Ich wollte nachsehen, ob Walther’s Wohnung einigermaßen in Ordnung ist,“ erklärte dieser, „und finde zu meiner größten Ueberraschung hier festliche Anstalten. Sie bemühen sich sogar in Person –“

„Selbst ist der Mann,“ sagte der Doctor mit Selbstgefühl. „Hier sind wir noch nicht fertig, aber kommen Sie mit mir in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_421.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)