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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Ein Bild aus der deutschen Gegenwart.
Mit Portrait.


Nun, da unser Volk sich wieder einen Namen gemacht hat auf Erden, da wir etwas gelten unter den Menschen und, was höher anzuschlagen ist, selbst etwas auf uns halten, fühlen wir uns auch in erneuter Liebe, in gesteigerter Verehrung zu den Männern hingezogen, in denen unser nationales Wesen den treusten Ausdruck gefunden, die sich den Ehrenpreis verdient haben, unter den Deutschen die deutschesten zu sein. Zu ihnen wie zu Gipfeln unseres Volksthums, die der Wiederaufgang unserer Größe zuerst beleuchtet, blicken wir Anderen froh und stolz hinauf; wissen wir doch, daß, wie sie aus unserer Mitte aufgestiegen sind, wir Alle sie stützen und tragen, daß der Glanz, der um ihre Häupter spielt, auf uns selber freundlich zurückstrahlt. Deshalb geschieht es, daß wir heut durch Bild und Wort unseren Lesern die Gestalt Gustav Freytag’s entgegenführen, als eines alten guten Bekannten, den ein gemeinsames Geschick, das uns inzwischen betroffen, uns noch werther gemacht hat; denn freilich: wer wäre ihm nicht längst im Geiste begegnet? Von der Bühne her hat der Eine – bald ernst, bald heiter – die Stimme des Dichters vernommen, den Anderen hat der lebendige Zauber seiner Romane ein paar schöne Tage über den Drang gemeiner Wirklichkeit entrückt; den Historiker hat so Mancher nachdenklich in die Tage deutscher Vorzeit begleitet; die Mahnung des Journalisten endlich ist gar Vielen in’s Herz gedrungen, die vielleicht nicht einmal wußten, von wem sie ausgegangen. Nicht selten hat man ihn als den größten unserer heutigen Poeten, fast einstimmig als unseren ersten dramatischen Schriftsteller gefeiert; neben dem Lobe ist ihm dann auch Tadel nicht erspart geblieben, wie es Menschen, die sich schaffend regen, zu widerfahren pflegt.

Wir nun gedenken uns heut und hier solches Urtheils still zu begeben; diese Blätter sind der Ort nicht für eine ästhetische Abschätzung seiner Werke, so anziehend es sonst sein mag, seinem dichterischen Entwicklungsgange nachzuspüren, die Einwirkungen, die er etwa von Vorgängern oder Zeitgenossen erfahren, die Ziele, die er seinem Streben gesteckt, das Maß, in dem er sie erreicht, endlich das Verhältniß seiner Leistungen zu den ewigen, unwandelbaren Forderungen der Kunst in’s Licht zu setzen. Vielmehr liegt uns daran, seine nationale Stellung zu betrachten, und zwar nach den drei Seiten, in denen sie sich offenbart, daran zu erinnern, wie er einmal deutsches Wesen und Werden zum Gegenstande darstellender Geistesarbeit erkoren, wie er dann auch thätig an seinem Theile mit eingegriffen in die lebendige Gestaltung der vaterländischen Schicksale, wie er vor Allem selber in Sinn und Sitte, in der schlichten und doch edlen Erscheinung des alltäglichen Lebens sich zeigt als ein echtes Kind unseres Volkes. Zuvor wird ein rascher Blick genügen, uns die äußeren Momente seines Daseins in’s Gedächtniß zu rufen.

Gustav Freytag ist am 13. Juli 1816 zu Kreuzburg in Oberschlesien geboren; seit 1829 besuchte er das Gymnasium im nahen Oels, von wo er 1835 zur Universität Breslau abging. Es geschieht wohl heutzutage, daß man das landschaftliche Element in der Bildung des Menschen überschätzt, aber ohne Bedeutung war es doch keineswegs, daß Freytag dort am Ostsaume deutscher Ansiedlungen aufwuchs; im Gegensatze zur polnischen Nationalität, aus der sein Heimathsort sich als kleine deutsche Sprachinsel heraushebt, wie zur jüdischen – dort giebt’s allerdings noch eine solche – mußte sich das eigene Volksthum in ihm kräftigen und gleichfalls verdichten. „Soll und Haben“ ist von diesem muthvoll vordringenden, zukunftsgewissen Selbstgefühl des deutschen Ostgrenzers durchweht. Auch der Stammesart der Schlesier darf man wohl leichthin gedenken; so wenig ursprünglich sie sein mag, sie hat sich, wie es auf colonialem Boden bald geschieht, eigenthümlich entfaltet. Rührige Frische, lebhafte Empfindung, gemüthliche Laune, die sich selbst in der Mundart ausspricht, soweit man von einer solchen reden mag, das sind schlesische Eigenschaften, davon auch Freytag sein mütterlich Erbtheil erhalten, obwohl die unverwüstliche Heiterkeit seines Sinnes himmelweit entfernt ist von wirklichem Leichtsinn, daran so manches Talent jener Provinz zu Grunde gegangen. Zur Vollendung seiner Studien begab sich unser Freund nach Berlin; ihn beschäftigte besonders die froh aufstrebende Wissenschaft der deutschen Philologie, in Lachmann’s gedankenschärfender Unterweisung. Promovirt kehrte er nach Breslau zurück, wo er 1839 als Docent eben der deutschen Philologie auftrat und einige Jahre erfolgreich auch neuere und allgemeine Literaturgeschichte lehrte. Als man ihm aber die gewünschte Befugniß, auch rein historische Vorlesungen zu halten, versagte, wandte er sich von der Hochschule ab und lebte bis 1847 in Breslau in reichem geselligem Verkehr und vorwiegend poetischer Thätigkeit; seine Gedichte und ersten Dramen sind damals entstanden. Nach kurzem, geistig belebtem Aufenthalt in Dresden siedelte er 1848 nach Leipzig über und übernahm dort in Verbindung mit Julian Schmidt aus Kuranda’s Händen die Leitung der „Grenzboten“, die nun aus einem österreichischen Blatte zum deutschen wurden. Von da an bis heut ist er Journalist geblieben, stolz auf diesen unscheinbaren Namen, dem er freilich selber durch sein liebenswürdiges Lustspiel für alle Zukunft einen vollen, edlen Klang verliehen. Auch hat er alle die Zeit her seinen Wohnsitz in Leipzig ruhig behalten, nur daß er seit einer Reihe von Jahren die Sommermonate in Siebleben bei Gotha zubringt, wo er ein kleines ländliches Anwesen erworben. Dort hat ihm Herzog Ernst, der in den Tagen der Reaction die geistigen Häupter der nationalen Partei um sich zu sammeln bemüht war, in potitischen Nöthen die Hand geboten und zum äußeren Zeichen den Hofrathstitel zuerkannt. Die beiden letzten Jahrzehnte haben neben seiner journatistischen Thätigkeit seine Hauptwerke in Poesie und Wissenschaft gezeitigt: die Journalisten, die Fabier wie die Technik des Dramas, die beiden Romane, die Bilder aus der deutschen Vergangenheit und die Biographie Karl Mathy’s.

Ein Lebensgang, äußerlich ohne große Schickungen und jähe Wechsel, einförmig sogar, wenn man ihn etwa gegen die irrsalreiche Laufbahn des gleichgesinnten Freundes Mathy hält, die er so anziehend geschildert. Allein wer wüßte nicht, daß die wahre Geschichte des Dichters und Forschers im Binnenreiche seines eigenen Geistes abspielt? Was nun Freytag’s Dichtung angeht, so sehen wir unserem Vorsatze gemäß gerade von dem ihrer Zweige ab, dem er die emsigste Sorgfalt gewidmet und zuletzt die reifste Frucht abgewonnen: ich meine das ernste Drama; denn dies ist mehr als jegliche andere so zu sagen eine internationale Kunstgattung geworden. Fleißige Beobachtung der Natur unserer Bühne und tief eindringendes Studium der tragischen Meisterwerke vieler Zeiten und Völker, deren Ergebnisse Freytag in seinem trefflichen dramatischen Lehrbuche niedergelegt, haben ihn selbst zur Ueberzeugung geführt, daß gerade Stoffe aus der vaterländischen Historie für die Tragödie minder geeignet sind. So hat er denn auch zu seiner dramatischen Musterleistung lieber das römische Thema des Untergangs der Fabier erkoren, um darin die reinen Kunstgesetze zur Anschauung zu bringen, die ein menschliches Gemeingut sind; wiewohl sich natürlich im Geiste der Behandlung der deutsche Dichter nirgend verleugnet. Das Lustspiel dagegen thut allemal wohl, in’s nationale Dasein hineinzugreifen, und je unmittelbarer, desto besser. Wer hätte sich nicht auch um dessen willen an den „Journalisten“ schon herzlich erfreut? Es ist freilich keine breite, aber eine wichtige Seite des Volkslebens, welche sie poetisch verklären. Man bedenke nur, daß sie 1853 erschienen, wo fast alle Hoffnungen gescheitert waren und der dennoch zum Heile der Nation fortarbeitenden Kraft eben einzig der mühselige, tausendfach eingeengte Weg der Tagespresse noch offen stand. Wie Mancher erlag dabei der lauernden Feindschaft der Reaction, wie Viele verzagten ob der stumpfen Gleichgültigkeit des Publicums am Segen ihres Thuns! Da stellte Freytag mit der wundervollen Heiterkeit, die sein reiner Sinn ihm mitten in der dumpfen Stickluft der Zeit bewahrte, ein ideales und doch so treues Bild freisinniger deutscher Journalistik hin, in ihrem sittlichen Ernste, dem der kecke Uebermuth sprudelnden Humors nur dazu dient, die Seele unter all den kleinen Widerwärtigkeiten des Tages frisch und gesund zu erhalten. Und dabei darf man dies köstliche Gedicht keineswegs mit dem zweideutigen Namen eines politischen belegen, so fröhlich hoch schwebt es über allem vergänglichen Wesen und Unwesen des Augenblicks dahin. Das verheißt ihm unverwelkliche Jugend inmitten unserer schnell hinsterbenden, ja häufig todtgeborenen Komödien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_410.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)